Die Welt ist lustig, aber nicht lang

Viel (Irr-)Witz, über dem eine Atmosphäre aus Ratlosigkeit und Verzweiflung schwebt: Das Debütalbum von Endless Wellness

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12. März 2024
Endless Wellness

Endless Wellness: Was für ein Glück (Ink Music)

Eigentlich verdienen Songinhalte den Status einer eigenständigen literarischen Kategorie mit dem Vermerk „Dazu gibt es Musik!“. Und es geht bei dieser virtuellen Kategorie nicht vorrangig um die sattsam bekannten lyrischen Exkurse einer Patti Smith oder eines Jim Morrison, die notabene oft als alibimäßiger Literaturersatz für Menschen, die zu faul zum Lesen sind, fungieren. 

Nein, es geht um eine Form des Erzählens, die nur im Zusammenspiel mit (Pop)Musik möglich ist oder jedenfalls scheint. Die sich noch im Nahbereich der Realität aufhält, aber über die Musik als Freiheitsraum einerseits, andererseits aber auch über Limitationen wie den Reimzwang und/oder Wiederholungen, wie sie der Songform gewöhnlich immanent sind, semantische Verschiebungen und verbale Kunstgriffe auslöst bzw. notwendig macht. Etwas einfacher ausgedrückt: Es geht um clevere kleine oder auch größere Geschichten, Sketches und Assoziationsketten mit viel Alltag, Ausnahmezuständen durch alle möglichen und unmöglichen Formen von Liebe und Hedonismus mit gewitzt-verschrobenen Wendungen und kunstvollen Verfremdungen. 

Just der deutschsprachige Indie-Pop/Rock österreichischer Provenienz hat in diesem Bereich erstaunliche Leistungen hervorgebracht. Die heilige Dreifaltigkeit des österreichischen Indie-Rock – Garish, Kreisky, Ja, Panik – hat große verbale Jongleursakte kreiert; ebenso Das Trojanische Pferd des Hubert Wertheimer; vor ihnen (weitgehend unbedankt) Shy und in rudimentären  Maßen und mit anderer stilistischer Orientierung auch Falco selig. 

In den letzten Jahren schien diese Kunst ein wenig zu verkümmern, doch jetzt haben wir Endless Wellness. Viel Hype und zahlreiche Singles sind bereits der Veröffentlichung ihres Albums „Was für ein Glück“ vorausgegangen, (berechtigte) hymnische Kritiken mit vielen schlauen Interpretationen der Inhalte gefolgt. 

Endless Wellness sind Sänger, Texter und Rhythmusgitarrist Philipp Auer, Bassistin Milena Klien, Gitarristin Adela Ischia sowie der bereits der durch seine Mitwirkung bei den lyrischen Melancholikern Oehl bekannte Keyboarder Hjörtur Hjörleifsson. Sie alle kennen sich aus Salzburg, in musikalischer Mission zusammengefunden haben sie aber erst in Wien. 

Was dabei herausgekommen ist, ist stilistisch eigentümlich schwer dingfest zu machen: Durch die organische Machart und die Dominanz der Gitarren grundsätzlich im Indie-Bereich geerdet, eignet der Musik eine unberechenbare Sprunghaftigkeit und eine Vielseitigkeit, die nicht, wie es Vielseitigkeit gemeinhin tut, versiert, alleskönnend und nicht einmal in auffälligem Ausmaß abwechslungsreich, sondern vielmehr fast launisch anmutet. Punkkracher kontrastieren mit jammervollen Balladen von einer Gangart, für die das Attribut „Schneckentempo“ wie eine Übertreibung anmutet. Für eine schluchzende Pedal-Steel-Gitarre ist genauso Platz wie für impressionistelnde Kontemplation am Klavier. 

In den schnellen Songs bauen sich immer mal wieder Breaks als Schlaglöcher auf, und manchmal klingt es glatt so angelegt, als solle die eine Hand nicht wissen, was die andere tut. So stehen sich in ein und demselben Song (dem grandiosen „Schöne Dinge“) ein Nachhall der frühen Cure, ein burleskes Zwischenspiel und ein von bleischwerer Distortion-Gitarre getragener Schlussteil von fast sakraler Feierlichkeit wie hermetisch abriegelte Blöcke  gegenüber. Ein paar lakonische Mid- bis Uptemporocker wirken demgegenüber wie ein neckischer Fingerzeig, dass man durchaus auch geradeaus könnte.

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Und dazu DIESE Texte! „Hab nicht so eine Angst vor dir / du bist g’scheit, sogar wenn du was sagst.“ „Mach dir nicht so viel Stress, du kannst nicht jeden lieben / die die da sind, sind so viel wert, viel mehr wär übertrieben.“ „Ich war der Vater mit dem Metallstaub in der Lunge / und das Bier, das ihn gereinigt von den Sünden und freischrieb vom Gehirn.“ „Vielleicht werd’ ich Langstreckensteward und ich steig’ nie aus dem Flugzeug aus / stellt sich vielleicht auch nicht die Frage nach zuhaus.“

Aber was ist das erst gegen die universal referenzierbaren Perlen dieser Platte! Den Penis gülden anmalen! Der kühne Reim von „Spatzi“ auf „Nackerbatzi“, der sich überall sonst hochkant derstess’n hätte! Die raffinierten Referenzen auf die Neue Deutsche Welle (Grauzone, Nena), Bryan Adams’ Hadern „Summer of 69“ und – was die meisten schlauen Rezensenten übersehen haben – Reinhard Mey: „Was ich noch zu sagen hätte / hat sicher schon wer besser g’sagt.“

Der kühne Irrwitz, den das Ganze generiert, ist natürlich unweigerlich auch ziemlich lustig. Aber wie auch die unvermittelten, heftigen, an den frühen Robert Smith erinnernden stimmlichen Ausbrüche Auers indizieren, schwebt über dem Witz eine düstere Wolkendecke und über dieser eine Atmosphäre aus Ratlosigkeit und bisweilen auch Verzweiflung. Wie man weiß, ist die Welt, die junge Menschen von ihren Altvorderen geerbt haben, kein global schöner Ort und was in ihr vorgeht, kann schon einmal Zweifel an der eigenen Existenz oder sarkastische Selbstzerstörungsphantasien auslösen: „Vielleicht will ich keine langfristige Zukunft bauen.“ „An manchen Tagen will ich sterben und an andern lieber nicht“ vs. „An manchen Tagen will ich leben und an andern lieber nicht.“ „Ich will mich ausnehmen / in den Ofen legen bei 200 Grad / bis ich das knusprigste Objekt bin, das der Küchentisch je zu bieten gehabt hat.“

Da ist dann schnell Schluss mit lustig. Und die Stufe erreicht, die diese Platte groß macht. 

Live am 9. April im Wiener Porgy & Bess.

Endless Wellness

Endless Wellness: Was für ein Glück (Ink Music)

Es geht um clevere kleine oder auch größere Geschichten, Sketches und Assoziationsketten mit gewitzt-verschrobenen Wendungen und kunstvollen Verfremdungen.