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Eine Nachbetrachtung zu einer absurd gehypten Platte: Dua Lipas „Radical Optimism".

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10. Mai 2024

Dua Lipa: Radical Optimism (Urban/UMG)

Wieder so eine Sache, die nur nur mehr steinalte Semester live miterlebt haben: Bis in die späten 70er Jahre war „Pop“ in Publikums- und Kritikerkreisen, die sich für avanciert hielten – „anspruchsvoll“, wie man dazumal zu sagen beliebte – ein negativ konnotierter Begriff. Als solcher bezeichnete er, was man als „Kommerz“ verwarf: eingängige, auf Massentauglichkeit hin produzierte Musik, Wegwerfmusik. Als einzig maßgebliche Populärmusik dieser Periode spielte sich Rock mit elendslangen Soli und machistischem Geschrei und Gekrächze (die Blues-Rock-„Röhren“) auf.

Punk und New Wave zertrümmerten dann dieses Wertigkeitssystem bis auf die Grundfesten. Es ist seither mit dem Superioritätsanspruch des Rock ein für alle Mal vorbei.

Laute Gitarren, agitierte Shouter, akrobatische Fingerübungen, das alles ist natürlich in verschiedenen Reinkarnationen – Metal, Grunge, die Retro-Welle der frühen Nuller-Jahre – zu verschiedenen Zeiten und bisweilen sogar marktbeherrschend wiedergekommen. Aber die Führungsposition innerhalb der Populärmusik anmaßen konnte sich Rock nie und nimmermehr.

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Pop als Leitwährung für Coolness

Vielmehr übernahm Pop dominant das Ruder und wurde zur Leitwährung, in der alles, was sich als cool geriert (gerieren will), aufgewogen wird. Und obwohl diese Entwicklung ihren Höhepunkt schon lange hinter sich hat, repräsentiert Pop noch immer eine enorme kulturelle, wirtschaftliche und in einem weit ausgelegten, Fragen um Mode, Sexualität und Lebensstil umfassenden Sinn auch ideologische Macht.

Das führte, wie der Musiker und Journalist Robert Rotifer 2011 dem Autor in einer E-Mail-Korrespondenz differenziert erläuterte, zu einem eigentümlichen Zwangsverhalten: „Aus dem richtigen Diktum, dass man sich mit allem auseinandersetzen muss, was Pop ist, wurde vielfach das Missverständnis, alles, was groß ist, auch irgendwie gut finden zu müssen – wie zu beobachten an Phänomenen wie Beyoncé oder Lady Gaga: Ich kenne jede Menge JournalistInnen, die das aus Prinzip großartig finden aber verständlicherweise nie anhören.“

13 Jahre nach dieser Korrespondenz ist die Stufe „verständlicherweise nie anhören“ rest- und rückstandslos überwunden. Nicht nur setzt sich die Journaille bereitwillig den Werken einer Beyoncé, einer Miley Cyrus, besonders einer Taylor Swift aus, sondern scheint auch grimmig entschlossen, ihnen nachgerade geistesgeschichtliche Bedeutung einzuräumen.

Bis zu fünf Helferlein beim Songwriting

Jüngstes Anschauungsbeispiel für dieses Phänomen ist Dua Lipa mit ihrem megaerfolgreichen neuen Album „Radical Optimism“. Als seriös geltende Medien wie die „New York Times“, „The Guardian“, „Die Zeit“ oder „FAZ“ haben sich auf diese Platte gestürzt. Das Branchenportal „Pitchfork“ gibt ihr 6.6 Punkte  – mehr als die meisten Platten der Magnetic Fields oder Yeasayer dort im Regelfall kriegen, ich will’s nur gesagt haben.

Für „Radical Optimism“ benötigt die albanischstämmige Londoner Sängerin Dua Lipa bis zu fünf Helferlein beim Songwriting und vier Produzenten. In beiden Sparten ist Kevin Parker, Kopf der zum Mainstream-Elektronik-Pop konvertierten ehemaligen Psychedelic-Prog-Rock-Band Tame Impala, der wichtigste. Denn einiges von dem melodiösen Schmelz, mit dem Parker selbst noch trivialste Allerweltstücke aufpolieren kann, hat sich auch hier hereingeschmuggelt.

Dua Lipa hat eine schöne, von einer gewissen überlegenen Lässigkeit untertönte Stimme, die man (ich) übrigens gerne einmal in einem anderen Kontext als dem hier allzeit dominanten Disco-Pop-Format hören würde. Ein paar Songs wie „These Walls“ (mit fast George Harrison-artiger Gitarre), „French Exit“, „Maria“ oder selbst „Watcha Doing“ haben attraktive Hooklines und sind imstande, müde Beine munter zu machen.
So weit, so gut.

Dua Lipa: Tolle Stimme, weniger tolle Arrangements. © Tyrone Lebon / Universal

Aber über die vollen 36:36 Minuten fehlt es der Musik einfach an Variantenreichtum. Das Tempo ist ziemlich gleichförmig mittelschnell, die Bässe und Synthies klingen fast überall gleich, den Rhythmusstrukturen wird kaum eine Variation gestattet, so dass schon eine Intensivierung von Dynamik wie in „Falling Forever“ als wohltuende Abwechslung empfunden wird.
Ein alter Miesmacher, wer das als industriell kalkulierte Konfektionsware versteht? Aber gerne!
„Selbst Ecken und Kanten sind mit dem Geodreieck gezeichnet“, schreibt übrigens „Der Spiegel“ als eine der wenigen etwas kritischen Stimmen im Chor der Jubelarien auf diese Platte.

Lyrische Güteklasse: „Ooh, what you doin‘?“

Und nun zum vieldiskutierten Titel! Es stimmt schon, wir brauchen nicht extra noch mit der Nase in die Scheiße gestoßen werden, die sich gegenwärtig über die Welt ergießt. Aber ist es etwa schon als politisches, philosophisches oder wie auch immer geartetes Zeichen zu verstehen, wenn eine Platte „Radikaler Optimismus“ genannt wird?
Oh, this love is fadin‘“, „Whatcha doin‘ to me, baby?“, „Ooh, what you doin‚?“ „I’m falling deep / deep in your arms, baby“, „Remember when we used to do anything for love?“ „Grateful for all the love you gave“, „Oh, I must’ve loved you more than I ever knew“ – das ist die lyrische Güteklasse hier.

Soll sein und ist für sich durchaus ok. Etwas eigenartig wird’s nur, wenn in sowas tiefere Bedeutung hineingeschrieben wird. Etwa gar die eines Selbstbehauptungswillens gegen den globalen Schrecken? Ich bitte Sie!

Dua Lipa: Radical Optimism (Urban/UMG)

Ein alter Miesmacher, wer das als industriell kalkulierte Konfektionsware versteht? Aber gerne!