Smoothies mit Geschmack
Zwei mal R&B, aber sehr unterschiedlich aufbereitet: Existenzialistisch bei Yaya Bey, sonnig bei Milan Ring.
Nicht sehr häufig strahlen Inhalte und Musik eine dermaßen frappant kontrastierende Aura aus wie bei Yaya Bey. In ihren Texten bedient sich die Enddreißigerin aus Queens, die schon im Kindesalter Songs geschrieben, aber erst 2016 ihre erste, von einem Buch und einer digitalen Collage begleitete EP aufgenommen hat, ungeniert bei härtestem HipHop-Slang. Sich selbst und ihr soziales Umfeld nennt sie mit Vorliebe „nigga(s)“ – in jener vom Gangster-Rap vertrauten doppelt ironischen Brechung des diskriminierenden N-Worts also, die für Ewiggestrige, die schon nicht verstehen, warum „man jetzt nicht einmal mehr Neger sagen darf“, eine besondere Provokation darstellt. Der ausgiebige Gebrauch von Four-Letter-Words versteht sich da praktisch von selbst.
Dagegen ist die Musik erstaunlich gedämpft, fast smooth, wie der Amerikaner sagt. Grundsätzlich im R&B und Soul geerdet, aber auch mit Ausläufern Richtung HipHop und einer eher beschaulichen, Nightclub-orientieren Spielart von Jazz, wie ihn empfindliche Zeitgenossen beifällig als „angenehm“ komplimentieren, wird sie kaum je heftig, geschweige denn laut.
Beschaulich ist hier trotzdem genau gar nichts. Im Inneren des Sounds brodelt eine subtile Intensität und Anspannung – dafür sorgt allein Beys Stimme, die alles kann, Rap, Soul, Jazz, Pop-Harmonie, und in feinnervigen Nuancierungen manchmal sogar an die große Anita Baker erinnert: Auf ihrem neuen Album, „Ten Fold“, etwa in „chrysanthemums“ (wie alle Song-Titel bei Bey klein geschrieben). Dazu entwickelt das Ganze Ton um Ton, Schicht um Schicht so unauffällig wie unwiderstehlich einen Sog, den man durchaus hypnotisch nennen darf.
Trauerarbeit
In dem Jahr, als Yaya Bey mit der LP „Remember Your North Star“ ihren Durchbruch schaffte, 2022, starb ihr Vater Ayub Bey, der als Grand Daddy I.U. in den späteren 80er Jahren Mitglied des wegweisenden New Yorker HipHop-Kollektivs The Juice Crew gewesen war. Die Beziehung zu ihm war augenscheinlich durchaus nicht unschwierig; noch ein Jahr vor seinem Tod beklagte sich die Tochter auf der EP „The Things I Can’t Take With Me“ im Song „the root of a thing“, dass ihr Vater nie eine Frau gut behandelt hätte, das er keine Frauen möge, die nicht gut aussehen, die nicht gut kochen können, die an Gewicht zulegen, und resümierte sinngemäß, dass er grundsätzlich keine Ahnung habe, was es heißt eine Frau zu sein.
Zugleich aber war der MC und Produzent für Yaya auch Bezugsperson und Anker in schwierigen Situationen; ratgeberische Aussagen und Lebensweisheiten von ihm sind in Form von Samples – sei es aus Dialogen oder sonstwie generiert – lose über das Album verstreut.
Aber nicht nur der menschliche Verlust belastete die Künstlerin, sondern auch die Begräbniskosten. „Ѕее, І gоt аll thіѕ mоnеу / Аnd І’m ѕtіll fucking brоkе / ‘Cause а niggа раy hеr tахеѕ / Рut hеr dаddу оn а bоаt / Тhrоugh thе ѕkу, hе іn hеаvеn / Rеmеmbеr еvеrу wоrd hе ѕроkе“ kommentiert sie – mit sarkastischem Seitenhieb auf vermögende Steuerzahlungsvermeider, gegen die man als ehrliche Haut immer die/der Dumme ist – im Opener mit dem schönen Titel „crying through my teeth“.
Thema: Sich behaupten
Überleben, sich zu behaupten, ihre Identität zu stärken, das ist daher Yaya Beys Thema auf „Ten Fold“, an das fünf Produzenten – Corey Fonville, Karriem Riggins, Jay Daniel, Exactly und Boston Chery – Hand angelegt haben.
In „the evidence“ verbündet sich Beys hier fast tranceartig in die Tiefe sinkende Stimme mit sphärischen Keyboards zu einem besinnlichen Stück Selbst-Beschwörung. „slow dancing in the kitchen“ fällt als gemütlich schaukelnder Reggae ein wenig aus dem Rahmen, während mit der formidablen Ballade „yvette’s cooking show“ und dem abschließenden „let go“ – beides Songs mit mehr oder weniger unterschwelligem Jazz-Appeal – der Spannungspegel wieder seinen normalen Bereich erreicht.
Milan Ring: R&B mit Rock-Schlagseite
Wie bei Yaya Bey ist auch bei der um ein paar Jahre jüngeren Australierin Milan Ring R&B Fokus eines grundsätzlich weit reichenden stilistischen Spektrums. Bei Ring schlägt das Pendel, auch weil sie eine recht versierte Gitarristin ist, mehr Richtung Rock aus, was ihrer Musik bisweilen eine gewisse Ähnlichkeit mit jener der Isley Brothers verleiht; auch ist die Dynamik bei ihr etwas deutlicher kanalisiert. Jazz- und HipHop-Einflüsse finden sich aber auch hier; dazu kommen dezente Folk-Einsprengsel und ein paar Tupfer Sehnsuchts-Pop.
„Mangos“ ist Milan Rings zweites Album nach „I’m Feeling Hopeful“ von 2021, das ihr bereits Zuspruch und Airplay in renommierten internationalen Stationen wie BBC Radio 1 oder KCRW eingebracht hat. Zu Hause in Australien ist die Sängerin, Songschreiberin und Produzentin, die schon mit Kalibern wie den Avalanches, Questlove oder Chance The Rapper zusammengearbeitet hat, ohnedies seit längerem eine Fixgröße in der Szene und mit mehreren Preisen ausgezeichnet.
Milan Ring scheint eine Frohnatur mit der Gabe, selbst finsterste Gemüter in Sekundenschnelle aufzuheitern, zu sein. Allein ihre helle Stimme weckt Bilder von Sonnenschein, Ausgelassenheit, Unbeschwertheit. In Texten, die eher keinen Anspruch auf Literaturpreise erheben, beschwört sie das potentiell Heilsame an turbulenten Lebensphasen, die Macht und Bedingungslosigkeit der Liebe. Recht sexy, das Ganze, bedenkenlos selbstbewusst und alles in allem sehr einnehmend.
Zunächst mutet Yaya Beys Musik ziemlich gedämpft an. Beschaulich ist hier aber genau gar nichts.