Style it takes
Frauen-Power: Lucius editieren ihr Debütalbum „Wildewoman“ neu, La Luz brillieren mit „News Of The Universe“.
Vor und in der frühen Ära der Beatles gab es sie zahlreich, zwischendurch waren sie fast verschwunden, und nun sind es ihrer so viele wie noch nie: die sogenannten Girl Groups – Bands, die zur Gänze oder im Kern aus Frauen bestehen.
Der Terminus Girl Group indiziert dabei eine besondere Pop-Schlagseite – in Abgrenzung zu den lauten, agitierten Riot Grrrl-Bands, die als feministische Variante von Grunge die Runde durch die 90er Jahre machten. The Shangri-Las, The Ronettes, The Shirelles oder The Supremes gehören zur Ahnentafel der Girl Groups. Nicht zuletzt The Chiffons, die mit „He’s So Fine“ 1963 vier Wochen lang die US-Charts anführten.
In kreativer Hinsicht waren diese Acts allerdings durch die Bank Spielbälle von männlichen Songschreibern und Produzenten. In den frühen 70er Jahren kam mit der US-Formation Fanny die erste (bekannte) Frauen-Band, die ihre Songs großteils selbst schrieb; in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts folgte ihnen die gleichfalls aus den USA stammende Gruppe Heart mit Nancy und Ann Wilson im Zentrum. Ab Mitte der 80er Jahre schlugen den Bangles einige große Stunden.
Die Sängerinnen und Keyboarderinnen Jess Wolfe und Holly Laessig, die, attestiert von Dan Molad an den Drums und Gitarrist Peter Lalish, als Lucius ab den frühen Zehner-Jahren von sich reden machten, haben als Girl Group kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Etwas Besonderes sind sie indes sehr wohl.
Wolfe und Laessig sind zwei sehr attraktive, vor allem aber unglaublich gut gestylte Frauen aus Brooklyn, die im Partnerlook agieren. Stets tragen sie die selben Frisuren (bisweilen auch Perücken), den selben Schmuck und meist auch die selbe Kleidung (wenn nicht, sind die Kontraste genau abgestimmt). Dabei sehen sie sich grundsätzlich nicht besonders ähnlich: Jess ist von lieblichem Typus und etwas rundlich, Holly größer, dünn und verströmt eine leicht mondäne Aura.
Ihre Stimmen indessen sind tatsächlich wie eins; harmonieren und verfließen ineinander auf so einzigartige Weise, dass es bei einem Blindtest so gut wie unmöglich ist, sie individuell auseinanderzudröseln. Namhafte Musiker haben sich schon ihrer bedient, unter ihnen Roger Waters, Harry Styles, Jeff Tweedy, Jackson Browne, John Legend, Mavis Staples, John Prine, Sheryl Crow, The War on Drugs, Brandi Carlile, Brandy Clark und Joni Mitchell.
Legendär schon vor dem Platten-Debüt
Lucius hatten noch nicht einmal eine Platte am Markt, da erregten sie schon durch eine mitreißende Performance im Rahmen der Tiny Desk-Concerts des öffentlich-rechtlichen Radio-Sender-Syndikats NPR Aufsehen.
Die Tiny-Desk-Concerts sind eine seit 2008 laufende Serie von Auftritten in SEHR beengtem (Büro-)Rahmen, die im Netz übertragen wird und im Laufe der Jahre ungeahnte Popularität gewonnen hat. Superstars wie Taylor Swift, Justin Timberlake, Dua Lipa, Miley Cyrus, Ed Sheeran, Moby oder Billie Eilish haben hier schon konzertiert; und außer ihnen ungefähr die gesamte Prominenz aus dem Indie-Kosmos und wesensverwandten Universen, Angel Olson etwa, The Flaming Lips, The Walkmen, The National, Bill Callahan, Sharon Van Etten, Steve Earle, Iron & Wine, Yaya Bey, PJ Harvey, Sparks, Cypress Hill, Dinosaur Jr., Alt-J, Big Thief und und und.
Dass die mittlerweile legendäre TDCs-Performance von Lucius oben im Video wiedergegeben ist, hat einen triftigen Grund: Das Repertoire stammt nämlich ausnahmslos von ihrem 2014 weltweit veröffentlichtem Debütalbum „Wildewoman“ (sic!). Und dieses wird dieser Tage in einer überarbeiteten und um den schönen Song „Housewarming“ erweiterten Version wiederveröffentlicht: „Wildewoman (The New Recordings)“ heißt es jetzt.
Lucius haben, was bei dem ergreifenden Gesang der beiden Frontfrauen naheliegt, eine Affinität zu Country. Aus diesem Grund evozierte ihre letzte reguläre, für den Tanzboden produzierte LP „Second Nature“ Irritation bis sogar Frustration: Obwohl nicht wirklich schlecht, rief sie den Eindruck hervor, Wolfe und Laessig vergeudeten in diesem Disco-Folk-artigen Format fahrlässig ihre Talente.
Widerstand aus weiblicher Perspektive
Alle Unzufriedenen werden mit der Neuauflage des LP-Erstlings befriedet. Die seit der Erstveröffentlichung vergangenen zehn Jahre merkt man nicht den Stimmen an, sondern der deutlich runderen, erfahreneren, fülligeren Produktion. Die nimmt einzelnen Songs zwar schon manche Kante, rückt die Platte aber andererseits mehr Richtung Pop, was auch nicht ganz falsch sein kann.
Die Themen sind und bleiben natürlich die gleichen und sind eindeutig Country, Alternative-Country, um genau zu sein. Da geht es immer um Widerstand, und in diesem Fall recht explizit aus weiblicher Perspektive. So handelt der Titelsong mit seiner eigentümlichen, garantiert in keinem Dictionary verzeichneten Wort-Kreation – übrigens wird das „Wilde“ von Wolfe und Laessig wie im Deutschen ausgesprochen – von einer Frau, die (ganz im Gegensatz zu ihren Schöpferinnen) keinerlei Wert auf ihr Äußeres legt, indessen „only bound by the things she chooses“ und „fearless like Chicago winds in the winter time“ ist.
In „Go Home“ wiederum gibt es ein emotionales Warm-Kalt-Programm für den Lover, der alsgleich ein Ex sein wird: „I’m hard headed / but completely soft inside“, heißt es da, vermeintlich einladend, und im nächsten Moment: „I don’t need you, go home“.
Literatur als Inspiration
La Luz ist ein 2012 in Seattle gegründetes und nun in L.A. ansässiges All-Female-Quartett um Sängerin, Gitarristin und Songschreiberin Shana Cleveland, die auch als Einzige von der Urbesetzung noch dabei ist. Cleveland ist auch Literatin, was sich nicht zuletzt in den Einflüssen für ihre Texte manifestiert. So war die zweite La Luz-LP „Weirdo Shrine“ (2015) inspiriert von Charles Burns Graphic Novel „Black Hole“; der Titelsong des neuen, exzellenten Band-Albums, „News Of The Universe“, beschreibt einen Erkenntnismoment durch die Science-fiction-Autorin Octavia Estelle Butler, die wiederholt Veränderung als das einzige Grundgesetz des Lebens proklamiert hat: „I was in a dream, but now I can see that change is the only law“.
Während die Musik von La Luz, in der sich die ausgefeilten vielstimmigen Vokalarrangements der Beach Boys wiederfinden, oft als Surf-Musik bezeichnet wird – was Frohsinn, Unbeschwertheit suggeriert -, ist die Geschichte der Band und ihrer Leaderin nicht arm an Dramen und Konflikten, wie auch die vielen Umbesetzungen indizieren.
2013 verunglückte ihr Tourbus schwer. Dabei wurden nicht nur Gefährt und Equipment zerstört, sondern auch alle Mitglieder erheblich verletzt. Ende 2021 wurde bei Cleveland ein paar Monate, nachdem sie einen Sohn geboren hatte – die Schwanger- und Mutterschaft reflektierte sie 2023 auf dem sehr zurückgenommenen, hochgelobten Solo-Album „Manzanita“ – Brustkrebs diagnostiziert.
Es gibt ein paar Textstellen auf „News Of the Universe“, die durchaus als Überlebensstatement gelesen werden können. „All this year I thought I’d disappear under the weight of troubles (…) and now across the field the poppies come again“ heißt es etwa in der wunderschönen Ballade „Poppies“.
Ein buchstäblich malerisches Klangbild
„News Of The Universe“ ist das nunmehr sechste La Luz-Album. Es verstärkt den seit jeher latent immanenten psychedelischen Einschlag, der schon dem unbetitelten Vorgänger von 2021 vorteilhaft angestanden war. Gleich der Anfang ist berauschend: Auf ein textloses (bzw. onomatopoetisches), kunstvoll vertracktes Vokal-Arrangement folgt ein von rumpelnden Drums belebtes und von Distortion-Gitarre unterlegtes Uptempo-Stück, in dem die Protagonistinnen sich mit eigentümlich anmutendem mehrstimmigem Stoizismus Mut in einer „Strange World“ zusprechen.
Nachdenklichkeit in zweierlei Hinsicht – In-sich-Gehen wie auch nachträgliches Bewusstmachen und Verarbeiten zurückliegender Ereignisse – ist einer der prägenden inhaltlichen Stränge des Albums; sich von der Natur oder beiläufigen Alltagseindrücken wegtreiben lassen ein anderer. Mit der Musik in ihrer vokalen Pracht, ihrer beileibe nicht sparsam dosierten Dynamik, der robusten Rhythmus-Achse und der instinktsicher-variantenreichen Interaktion zwischen Gitarren und Keyboards synthetisiert sich das Ganze zu einem Erlebnis, das man früher vielleicht als Trip bezeichnet hätte.
Ein buchstäblich malerisches Klangbild mit schroffen und lieblichen Teilen auf engem Raum, Traumlandschaften, viel Weite und Begegnungsräumen.
Sagen wir es einfach so: Wenn man wissen, besser gesagt erfahren will, was Psychedelia hier und jetzt (noch immer) kann – einfach diese Platte aufmerksam hören. Und so sehr die eine oder andere Stelle manche Saite in Anschlag bringen mag, die Erinnerungen an . . . zu wecken scheint, so sehr klingt es letztlich einzig und allein nach La Luz.
Frühe Girl Groups waren Spielbälle von Songschreibern und Produzenten, heutige nehmen die kreative Gestaltung ihrer Musik selbst in die Hand