Oden an die freundliche Stahlstadt
„In This City They Call You Love“: Richard Hawley setzt seiner Heimat Sheffield einen weiteren, mit edlem Songschmelz überzogenen Markstein.
Alle, die damals dabei waren, 2012 im Wiener Theater Akzent, bekommen heute noch glänzende Augen (und Ohren), wenn sie an den Auftritt von Richard Hawley denken. Es war ein denkwürdiges Konzert, wie aus einem Guss, von erhabener Souveränität, mit einer Aura von Zeitlosigkeit umgeben. Und diese Zuschreibungen sind bis heute weniger nostalgisch verklärt, als genuine Eigenschaften, die für fast jede Veröffentlichung des mittlerweile 57-jährigen britischen Sängers, Songwriters und Gitarristen gelten. So auch für sein neues, insgesamt zehntes Soloalbum, „In This City They Call You Love“.
Die City ist natürlich einmal mehr Sheffield, Hawleys Geburtsort und Lebensmittelpunkt, dem er nahezu alle seine bisherigen Alben gewidmet hat (zwischen 2003 und 2007 sogar in Form einer eigenen Trilogie). Neben Joe Cocker, ebenfalls dort auf die Welt gekommen (was im besten Album von dessen Karriere, „Sheffield Steel“, verewigt wurde, mit den unvergessenen Reggae-Dub-Pionieren Sly & Robbie 1982 eingespielt), ist Hawley der wohl berühmteste musikalische Sohn der englischen Industriestadt, welcher Maggie Thatcher die Stahlindustrie brutal ausgetrieben hat. Das einzig Gute daran: Hawley, dessen Familie dem stählernen Gewerbe entstammt, musste nicht mehr an den Hochofen, sondern konnte – worin bereits die Eltern hobbymäßig Erfahrung hatten – ganz auf die Musik setzen.
Als Gitarrist in Pubs, in Begleitung des Vaters, u.a. auf der Hamburger Reeperbahn in dortigen Clubs, und schließlich als Musiker der Britpop-Ikonen Pulp, aber auch für Größen wie Arctic Monkeys, Robbie Williams, Billy Bragg, Elbow, Shirley Bassey oder Frank Black tätig, veröffentlichte Hawley zur Jahrtausendwende, tatkräftig unterstützt vom anderen Cocker, nämlich Freund Jarvis (ja, auch der stammt aus Sheffield!), sein erstes Soloalbum, das gleich seinen Namen trug (2000 als Miniversion, 2001 in erweiterter Fassung erschienen).
Unerschöpfliches Reservoir an Immergleichem
Fortan goss der traditionsbewusste Brite seine musikalischen Ideen in haltbare, gewissermaßen erzerne Formen und schuf ein zeitloses Gesamtwerk, dem trotz seines altmeisterlichen Gestus’ jeglicher Anflug von Patina fehlt. Spätestens seit „Truelove’s Gutter“ (2009), mit Balladen im Stile der 50er und 60er Jahre, erneuert Hawley das angloamerikanische Songbook alle paar Jahre mit neuen Beigaben, die allesamt tief vertraut klingen, aus einem unerschöpflichen Reservoir klassischen Liedguts stammen und – von immergleicher Güte – stets auf Hochglanz poliert und erfrischend aufbereitet werden.
So nun auch auf „In This City They Call You Love“, das ein wenig rumpelig beginnt, aber spätestens mit Song Nr. 3, „Prism In Jeans“, zu dieser schmelzenden Balladenform findet, einem – da hat die „Irish Times“ in ihrer Einschätzung ganz recht – jinglehaften Prä-Beatles-Pop, der auf einer Cliff-Richard-Platte aus den frühen 60er Jahren auch nicht unangenehm aufgefallen wäre. „There’s an epic loneliness/ That you just can’t hide and you just can’t fix“, heißt es in dem bezaubernd melancholischen Stück. Aber ja, wenn einer diese Atmosphäre von epischer Einsamkeit fixieren kann, dann ist es Richard Hawley, dieser Zeitanhalte- und Verzögerungskünstler von hohen Graden & Gnaden.
Noch eindrücklicher kommt das im gleich nächsten Song zum Ausdruck, in „Heavy Rain“, das mit den feuchtwarmen Zeilen „In my dreams I tell you that/ I always dream about you in my dreams“ beginnt, einer luzid-träumerischen Feststellung, die bei anderen Sängern mit der hohen Gefahr li(e)dschweren Kitsches verbunden wäre, bei Hawley aber, mit unerschrocken klarem Bariton intoniert und von dezent singenden Gitarren begleitet, durch eine traumwandlerische Regennacht führt, aus der man so rasch nicht mehr erwachen möchte. Was auch gar nicht notwendig ist, denn „Hear That Lonesome Whiste Blow“ (Nr. 6) ist eine weitere traumverhangene Anverwandlung, diesmal an Elvis. (Hawleys Aufnahmestudio trägt nicht von ungefähr den Namen „Disgraceland“.)
Rockistische Würze
Erst „Deep Space“ rüttelt einen dann wieder wach, ein flottes Stück Brit-Pop, mit einem heulenden Gitarrensolo, das Hawley ebenfalls elegant aus dem Handgelenk schüttelt, und womit er seine Alben gerne würzt. „Standing At The Sky’s Edge“ (2012) hat die rockistische Seite des handwerklich vielseitigen (und -saitigen) Briten bisher am nachdrücklichsten gezeigt und vorgeführt. (Mit diesem Album im Gepäck kam Hawley damals auch nach Wien, um zwischen die rhythmusbetonten Stücke freilich jede Menge funkelnder Songperlen zu streuen, was zu dem in jeder Hinsicht ausbalancierten, unvergesslichen Abend führte.)
Auf dem aktuellen Album folgt mit „Deep Water“ gleich wieder ein in gedrosseltem Tempo und mit reduzierten Mitteln vorgetragener River-Song in bester Blues-Tonlage. Und auch die restlichen Beiträge zum vollen Song-Dutzend gleiten in ruhigem Belcanto und saitengedämpfter Instrumentierung (an Gitarre wie bei Streichern) in ein beschauliches, das Licht allmählich dimmendes Finale (und heißen bezeichnenderweise „When The Lights Go Out“ und „‘Tis Night“).
Der Album-Titel bezieht sich auf eine in Sheffield angeblich übliche Redewendung, wonach fast jeder Satz, jede Ansage mit „Love“ beendet wird: „Gehst du mit mir spazieren, Love?“, heißt es dann – und ist, Hawley zufolge (was in dem Song „People“ näher ausgeführt wird), Ausdruck einer grundsätzlichen Freundlichkeit, für die englische Arbeiterstädte ansonsten nicht unbedingt berühmt sind. Der heimatverbundene Musiker macht mit seiner Kunst allerdings auf überzeugende Weise Glauben, dass das eine unverbrüchliche emotionale und humane Grundausstattung nicht nur der Bewohner Sheffields sein könnte.
Wenn einer die Atmosphäre von epischer Einsamkeit fixieren kann, dann ist es Richard Hawley, dieser Zeitanhalte- und Verzögerungskünstler von hohen Graden & Gnaden.