Viel besungene Mörderballade

Angeblich existieren 1.800 Coverversionen von "Hey Joe", das freilich bis heute in erster Linie mit Jimi Hendrix verbunden wird.

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24. Juli 2024
Under Cover

Wer „Hey Joe” hört, der denkt natürlich an – Jimi Hendrix. Und in der Tat: In kaum einem anderen Fall sind ein Song und sein Künstler so eng, ja fast schon schicksalhaft mit der Rockgeschichte verwoben. „Hey Joe“, das war die erste Single, die Hendrix zusammen mit seiner Band Experience im Dezember 1966 veröffentlichte. Es war der Song, den er am Abschlusstag des Woodstock-Festivals als letzte Zugabe spielte – Schlusspunkt des wohl noch immer berühmtesten Konzertereignisses der Pophistorie. Als Hendrix am Montagmorgen seinen verspäteten Auftritt hatte, waren von den ursprünglich rund 400.000 Besuchern allerdings nur noch rund 35.000 geblieben. Und auch bei seinem letzten Festivalauftritt am 6. September 1970 auf der Insel Fehmarn gab er „Hey Joe“ zum Besten – angeblich lustlos, uninspiriert und in erbärmlichem psychischen Zustand. Keine zwei Wochen später starb er – mit 27 Jahren, wie vor ihm Brian Jones und nach ihm Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Cobain und Amy Winehouse.

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Hendrix’ Version von „Hey Joe“ war aber auch noch in anderer Hinsicht wegweisend. Denn in punkto Urheberschaft hieß es auf der Single nur: „trad. arr. J. Hendrix“. Nun gilt diese (nicht besonders tiefsinnige) „murder ballad“ von einem, der seine Frau erschießt, weil sie mit einem anderen „rumgemacht“ hat, und dann vor der zu erwartenden Todesstrafe nach Mexiko flieht, tatsächlich bis heute gerne als „Traditional“, also als Folksong ohne benennbaren Urheber. Das aber stimmt nicht. Zwar ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt, wer diesen Song geschrieben hat, doch in den meisten Fällen wird als Copyright-Inhaber der Folksänger Billy Roberts genannt. Er schrieb Musik und Text Anfang der 1960er Jahre, nahm den Song aber nie selbst auf. Dafür andere: Die Erstveröffentlichung 1966 kann sich die US-Garagenrockband The Leaves ans Revers heften, ein paar Monate später erschien eine lustige Version der Surfrockband Surfaris.

Under Cover, Folge 1 der Serie (siehe dazu auch die Einführung) Cartoon: Margit Krammer)

Ebenfalls 1966 – eine Art annus mirabilis für „Hey Joe“ – präsentierten die Byrds eine Version, desgleichen Tim Rose. Seine Interpretation wurde insofern wegweisend, als er das ursprünglich recht flotte Stück deutlich verlangsamte, was den düster-tragischen Aspekt dieser Mörderballade merklich verstärkte. Auch Hendrix orientierte sich am Tempo von Rose, übernahm aber auch Elemente anderer Interpreten und schuf so eine besonders mitreißende Version, bei der nicht mehr so recht zu entscheiden ist, was daran noch Cover und was schon wieder Original ist.

Angeblich gibt es bis heute mehr als 1.800 Coverversionen von „Hey Joe“, und darunter finden sich so illustre Namen wie Cher, Wilson Pickett, Robert Plant (klingt, als wäre der Song von Led Zeppelin), Patti Smith (mit einer textlich angepassten Version), Deep Purple (mit sehr eigenwilligem Intro unter Federführung von Jon Lords Hammond-Orgel), Nick Cave (in einer ebenfalls orgelbetonten Version auf seinem Cover-Album Kicking Against the Pricks“) oder ZZ Top (nur als Livetrack). Mitunter wird musikalisch experimentiert, mitunter auch am Text etwas geändert, manchmal beides.

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Bemerkenswert sind auch die fremdsprachigen Varianten: Die norddeutsche Blödelrockband Torfrock hat den Song textlich recht frei ins Deutsche übertragen, in Johnny Hallydays französischer Version ist schon in den 1960er Jahren kaum noch etwas vom Originaltext übrig geblieben, und die österreichischen Anarcho-Rocker von Drahdiwaberl machen den Ehegattinnenmörder Joe im wuchtigen „Heast Franz!“ zum Amokläufer, der von einem „starken Abgang“ träumt und noch ein paar „Oaschlöcher“ mit ins Jenseits nehmen will.

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Als am stärksten erweist sich „Hey Joe“ durchwegs in kräftigeren, gitarrenlastigen (Blues)Rock-Fassungen, ob von Popa Chubby oder Body Count. Aber auch die klagende Interpretation von Israel Nash (mit einem wunderbar langgezogenen „Heyyyyyyy“) ist sehr zu empfehlen, genauso wie die hochoriginelle (und sehr bekannte) Latino-Version von Willy DeVille. Meinen persönlichen Liebling gibt es zum Glück gleich zweimal: Otis Taylor hat den Song auf seinem Album „Hey Joe Opus Red Meat“ (2015) wunderbar bluesig in zwei dezent unterschiedlichen Varianten eingespielt, mit langen Instrumentalpassagen und einer herrlichen Leichtigkeit. Zweimal 7:38, die schlicht großartig sind.

Under Cover

Diese „murder ballad“ von einem, der seine Frau erschießt, weil sie mit einem anderen „rumgemacht“ hat, und dann vor der zu erwartenden Todesstrafe nach Mexiko flieht, gilt bis heute als „Traditional“, also als Folksong ohne benennbaren Urheber. Das aber stimmt nicht.