Staunen, Bezauberung
Das Kind in der Frau (re)animiert Cassandra Jenkins auf ihrem exquisiten dritten Album „My Light, My Destroyer".
Während die Vorboten des Herbstes schon nicht mehr zu übersehen sind – die welken Blätter, das intensive Blau des Himmels, natürlich das frühere Dunkelwerden -, klingt noch der Sommer mit einer der eindrücklichsten Platten der Saison nach.
Cassandra Jenkins ist eine rund 40-jährige, in einer musikalischen Familie in Manhattans Upper West Side aufgewachsene Sängerin, Songschreiberin und Gitarristin. Entfernt erinnert ihre vielseitige, vom Folk kommende, dazu Elemente aus Jazz, Kammermusik, Rock, Electronica und Ambient integrierende und letztlich auch ein Herz für durchaus eingängigen Pop offenbarende Musik an Loma – zumal Jenkins ähnlich unaufgeregt singt wie Emily Cross, und zum anderen mit dem formidablen US-Trio ein Faible für Field Recordings teilt: Klänge und Geräusche, die nicht unmittelbar zum Zweck des Musikmachens außerhalb eines Studios entstanden und aufgenommen worden sind. Während aber Loma hauptsächlich die Fauna und Natur ihrer jeweiligen Aufenthaltsorte in ihre Platten einbringen, sind das bei Jenkins eben veröffentlichtem drittem Album, „My Light, My Destroyer“, meist Gesprächsausschnitte.
Naheliegenderweise sind solche Tonquellen Teile eines dramaturgisch gebundenen Ganzen, das im engsten Sinn nicht wirklich ein Narrativ, aber eine Art thematischer Rahmung ergibt. Am nachdrücklichsten zeigt sich das in einer Suite-artigen Verschränkung dreier Stücke, „Shatner´s Theme“, „Aurora, IL“ und „Betelgeuse“, die allesamt mit außerirdischen Räumen zu tun haben.
Das Triptychon, wenn man es so nennen will, beginnt mit Weltraumflirren, Statik-Geräuschen und dem Zirpen von Grillen (was zweifelsohne alles auch aus einem Sampler kommen könnte – den recht peniblen Credits zufolge aber eben auf Field Recording beruht).
Dann schwenkt Jenkins in einem Song, der grundsätzlich davon handelt, wie sie krank im Bett liegt, zum Schauspieler William Shatner, der sich mit 90 Jahren einen Lebenswunsch erfüllte und – mit Milliardär Jeff Bezos als Expeditionsleiter – in den Weltraum reiste, nachdem er ein halbes Jahrhundert vorher fürs Fernsehen mit dem „Raumschiff Enterprise“ durchs All geflogen war. Statt Euphorie rief der Space-Trip in Shatner nur Traurigkeit hervor, weil er ihm bewusst machte, wie verletzlich unser Planet ist.
Schließlich hört man, zu zart impressionistelndem Piano, sanftem Saxophon und etwas Rauschen, einen Dialog zwischen Cassandra Jenkins und ihrer Mutter, während sie mit Ferngläsern den Himmel beobachten. Die Mutter spricht langsam, aber aufgeregt und leicht dozierend, was kein Wunder ist, denn sie ist Lehrerin für Naturwissenschaften. Cassandra, offensichtlich bezaubert, bleibt nicht viel mehr als Fragen zu stellen.
Mutter: Das ist der Mars. Siehst du… er ist wirklich recht rot.
Cassandra: Ja…
Mutter: Und das da – so hell! – Venus. Schau nur! Es ist verrückt, wie hell das ist.
Cassandra: Und was ist da?
Mutter: Das ist Betelgeuse. Das ist ein Teil des Orions.
Cassandra: Oh!
Mutter: Es ist lustig, den Mond durch Ferngläser anzuschauen (leichtes Kichern).
Cassandra: Es ist lustig, da raufzuschauen.
Mutter: Ich hab‘ gerade gelesen, dass da ein Asteroid von der Größe eines Wolkenkratzers war, der sich Samstag Nacht zwischen Mond und Erde geschoben hat.
Cassandra: Haben wir´s gesehen?
Mutter: Irgendjemand hat´s gesehen.
Das Kind, das in der beschriebenen Szene zunächst einfach als Teil eines familiären Organismus auftritt, auch wesenhaft zu animieren, muss Jenkins´ Hauptanliegen für „My Light My Destroyer“ gewesen sein. Staunen, Verwunderung, Überwältigung durch Sinneseindrücke ziehen sich – gewissermaßen als Leitfaden von Befindlichkeiten – durch das Album, dessen musikalischer Bogen sich von schläfrigem R&B über Pop und leichten Jazz bis zu Anklängen an die Pixies („Petco“) spannt.
In einzelnen Fällen kann das ein wenig absurd geraten wie im dynamischen, von kräftigen Gitarren getragenen Midtempo-Rocker „Clams Casino“. Falls Sie fragen, was das ist – das fragt die Protagonistin im Song auch und niemand kann es ihr sagen. Ein Witz, der eine Pointe verweigert.
Ein assoziativer Zaubergarten erblüht demgegenüber in „Delphinium Blue“, in dem Jenkins zu magnifizientem Synth-Pop erzählt, wie sie in einem Blumengeschäft arbeitet (was sie einst aus Geldnot wirklich getan hat). Während sie den Boden aufwischt, eröffnet sie einem imaginären „Du“, wie sie seine/ihre Augen im titelgebenden Blau des Rittersporns (Delphinium) wiedererkennt und ihn/sie von der Sonne angestrahlt sieht, während rundherum die Narzissen blühen und die Luft mit ihrem Duft erfüllen. Dazwischen ermahnt sie sich in gesprochenen Passagen, in denen Jenkins ein wenig an Laurie Anderson anklingt, den Laden ordentlich am Laufen zu halten: „Chin up! Stay on task! Wash the windows! Count the cash!“. Ist die Arbeit getan, fällt der Vorhang über die botanische Wunderwelt: „The nights fall like thorns off the roses“.
Während wir nun das intensive Herbstblau des Himmels bestaunen dürfen, lässt sich Cassandra Jenkins vom Blau des Rittersporns betören