Eine große Erzählung
Eine Würdigung des Werks des großen, am Wochenende verstorbenen Songwriters und Sängers Kris Kristofferson.
„Feeling Mortal“ hieß sein letztes reguläres Album aus dem Jahr 2012. Damals war Kris Kristofferson zwar erst 76 Jahre alt, aber den Anhauch der Endlichkeit vermochte er im Titelsong auf seine Weise so eindrucksvoll zu vermitteln wie Leonard Cohen in „You Want It Darker“. Gerade mit dieser brüchigen und nicht immer im richtigen Ton liegenden Stimme wie hier bei dieser Session-Aufnahme.
Kris Kristofferson als Sänger – das ist die Krux in der Beurteilung des Künstlers. Kristofferson gilt zwar als einer der größten – für gar nicht so wenige als der größte – Songschreiber des Country-Genres und als einer der bedeutendsten Songschreiber der Pop-Geschichte überhaupt, aber vielerorts auch als, sagen wir, suboptimaler Interpret seiner Lieder.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass seine allerbekanntesten Songs gemeinhin mit Versionen anderer Künstler verbunden werden: „Me And Bobby McGee“, die gleichnishafte Ballade von Freiheit als Nichts-mehr-zu-verlieren-haben, wurde ein postumer Hit für Janis Joplin, „Sunday Morning Coming Down“ haben zunächst der Novelty- und Country-Sänger Ray Stevens und dann auch Johnny Cash erfolgreich interpretiert. Von Kristoffersons vermutlich meistgecovertem Song „Help Me Make It Through the Night“ gibt es nicht nur Fassungen von Elvis Presley oder Mariah Carey, sondern auch eine steirische Dialekt-Adaption durch STS.
Indessen hatte Kristoffersons tiefe, brummelnde Stimme durchaus ihre markante Funktion im Werk des gebürtigen Texaners, der sich als Hubschrauberpilot, Bodenwischer, Boxer und Rugbyspieler verdingt hatte, ehe er Ende der 60er Jahre in die Country-Hochburg Nashville ging.
Denn Kristoffersons musikalisches Œuvre, das von einer erfolgreichen Schauspielkarriere mit großen Rollen in Filmen wie „The Last Movie“, „Alice lebt hier nicht mehr“, „Pat Garrett jagt Billy the Kid“, „A Star Is Born“ oder „Convoy“ flankiert wird, ist – im deutlichen Unterschied zu dem Johnny Cashs – wesenhaft nicht eine Ansammlung von (selbst- und fremdgeschriebenen) Songs, die von der Intonation leben, sondern eine große Erzählung.
Sie handelt von Männern, die „next to nothing“ vom Leben erwarten wie der verbitterte Duvalier, der die Menschen meidet und die Nacht herbeisehnt, die ihren Anblick tilgt. Von Enttäuschten, Desillusionierten, Glücklosen. Von Hasardeuren und Desperados. Von Trinkern und Einsamen. Von Beziehungen und Affären, die man – mögen sie Gutes bringen oder nicht – eingeht, um sich über Leere und Trostlosigkeit hinwegzuretten. Und da ergibt das zurückgenommen, bisweilen fast retardiert Scheinende im Gesang durchaus Sinn.
Es ist kaum Pathos in dieser Erzählung – so wenig wie Kristoffersons letzter live-Auftritt in Wien im Sommer 2018 in der Stadthalle F Pathos verströmte. Das kam auch deshalb nicht auf, weil der damals 82-Jährige, der in den 80er Jahren Teil der kurzlebigen Country-„Supergruppe“ The Highwaymen mit Johnny Cash, Waylon Jennings und Willie Nelson gewesen war, auf der Bühne keinerlei Zeichen von Gebrechlichkeit zeigte. Lediglich seine Stimme legte Zeugnis ab von einer einer ansehnlichen Vita aus Suchtproblemen, Krisen und Krankheiten (und drei Ehen).
Am Samstag ist Kris Kristofferson 88-jährig zu Hause auf der Insel Maui, Hawaii, gestorben.