Falsche Fährten und Bock-Sprünge
Eigenwillige Arrangements und überraschende Wendungen liefert die britische Singer/Songwriterin Naima Bock auf ihrem zweiten Album „Below A Massive Dark Land“
Langweiliger und uninteressanter kann man nicht in eine Platte starten. Es klingt definitiv so, als wolle hier jemand vorsätzlich die Hörerschaft mit Drögheit anöden: Naima Bocks zweites Album „Below A Massive Dark Land“ beginnt, von nicht mehr als einem einzigen Basston auf der akustischen Klampfe begleitet, mit einem scheinbar leblosen G’sangl, das erzählt, wie ein Mann in ihr Leben getreten ist, als sie noch jung war. Als dieses (G’sangl), ohne dass die Melodie auch nur das winzigste Teilchen Attraktivität gewänne, Gesellschaft von einer Klarinette, einer weiteren akustischen und dann auch einer elektrischen Gitarre bekommt, beginnt sich unvermittelt ein vitales Wechselspiel zu materialisieren. Schließlich wird, da sind wir dem Stück längst verfallen, die Stimme verstärkt zu gospelartigem, von melancholischer Weisheit um die Endlichkeit alles Schönen durchströmten Chorgesang. Und am Ende grätscht, untermalt von Partygeschwätz (oder sowas ähnlichem), für weniger als eine halbe Minute eine Rhythmussektion in das vierdreiviertel Minuten lange Stück, das den Titel „Gentle“ trägt.
Naima Bock kann das, Hörer auf falsche Fährten führen, hinhalten und dann mit überraschenden Arrangements und stilistischen Winkelzügen erwischen. Sie hat das schon auf ihrer ersten Solo-LP „Giant Palm“ (2022) vorexerziert – und tut das auch auf ihrem neuen Album.
Norma Bock ist gebürtige Londonerin und lebt in der Festival-Metropole Glastonbury. Ihre Mutter ist Griechin, ihr Vater Brasilianer (mit deutschen Vorfahren, wie der Nachname unschwer erkennen lässt). In Sao Paolo hat sie auch die ersten sieben Jahre ihres Lebens verbracht und dadurch eine frühe musikalische Prägung erfahren, die noch auf „Giant Palm“ prominent zu hören ist. Der letzte Song des Albums – eine Coverversion des sozialkritischen Klassikers „O Morro“ von Carlos Lyra und Gianfrancesco Guarnieri – ist sogar portugiesisch gesungen.
Einflüsse aus Kammer- und Kirchenmusik
Auf „Below A Massive Dark Land“ ist der Einfluss brasilianischer Musik nicht mehr so deutlich auszumachen, dennoch knüpft das Album schlüssig an den von der Kritik gefeierten Vorgänger an. Denn die Machart ist weitgehend dieselbe: die Songs basieren auf oft recht einfachen Folk-Strukturen und bekommen durch Einschübe unterschiedlicher Art – Elemente aus Kammermusik, Jazz, Soul, eher selten aus dem Rock, öfter dafür von kirchlicher/spiritueller Musik – neue Wendungen. Kein Gramm Elektronik kommt hier zum Einsatz, selten auch nur elektrisch verstärktes Instrumentarium – ein harscher Kontrast zu Bocks eher lauter Vergangenheit als Bassistin der hochgeschätzten britischen Psychedelic-Rock-Band Goat Girl, der sie bis 2019 angehört hat.
Die zentrale Kraft in diesem explorativen Gemenge unterschiedlicher musikalischer Idiome und Einflüsse, das stellenweise durchaus Echos von so riesigen Werken wie Van Morrisons „Astral Weeks“ weckt, ist Bocks von Tragik angewehter, gefühlvoller Gesang. Ein unsicheres Ringen um eine standfeste Position lässt das Schwanken ihrer Stimme erahnen, und selten sind die wesensverwandten Begriffe Kapitulation und Rekapitulation so spürbar vermittelt worden wie es hier geschieht, wenn Bock ein oder zwei Grade Intensität herausnimmt und in einen einigermaßen resignativen Es-ist-wie-es-ist-Modus übergeht.
Es ist, wie es ist – das korreliert mit einem Thema, das jeden (nicht früh verstorbenen) Menschen heimsucht und dessen simple Gesetzmäßigkeiten er nicht aushebeln kann: dem Altern. Für die hübsche Naima Bock, deren genaues Alter nicht bekannt ist, aber mit Sicherheit nicht über 25 liegt, ein physisch noch in der Zukunft schwebendes, mental aber bereits deutlich präsentes Damoklesschwert.
Eine – vom Wissen um die Unmöglichkeit verschattete – Sehnsucht, die jungen Jahre festzuhalten, kommt in etlichen Stellen auf „Below A Massive Dark Land“ zum Ausdruck: „In your mind your twenties never went away“, heißt es da einmal in „Age“.
Diese Sehnsucht, jung zu bleiben, bezieht sich nicht allein – vielleicht/vermutlich nicht einmal primär – auf den Erhalt optischer Attraktivität, sondern auch eines Mindsets, das Bock offensichtlich jüngeren Jahren vorbehalten wähnt (und mit zunehmendem Alter üblicherweise ja tatsächlich in einer aus Lebensenttäuschungen aufgebauten Schicht von Defensivkräften und Schutzmechanismen verschütt geht): Offenheit, Einfühlsamkeit, eine gewisse Verletzlichkeit. „You want me to stay young / I pray that I stay gentle, fragile“ singt sie im bereits erwähnten Opener „Gentle“.
Existenzielle Aspekte in Beziehungskrisen-Szenarien
Vordergründig sind Naima Bocks Texte um Beziehungen angelegt – immer um solche, in denen irgendetwas nicht passt. Das ist meistens recht kryptisch, bisweilen einfach lyrisch schön wie in „Takes One“, das mit der Zeile „You pushed me away as summer came to fall“ beginnt.
Doch offenbaren diese Szenarien noch tiefere Aspekte als „nur“ schmerzhaftes Auseinandergehen: Reue, Vergeltung, Wiedergutmachung. Schuld und Sühne. „See how I break seven times more than you / for every heart that I ripped out / I’m in pain I’m paying my dues.“
Es ist dabei eine auffällige Eigenart, dass Bock in ihren Beziehungs-Dramen oft auch die Perspektiven der – früheren oder anderen – Frauen ihrer Partner mitdenkt. Dass Liebesglück oft auf das Unglück eines/einer Dritten gebaut ist, ist ja ein Aspekt, den Songtexte üblicherweise auslassen. „She’s the one I think about and miss“, heißt jedoch bei Naima Bock. Oder: „Tell her I love her / and I’m sorry it all turned out this way.“