Falsch ist das echt Wahre
Atemberaubende Performances und Stylings kennzeichnen das frankoamerikanische Brüderpaar Virgile und Elliott Arndt, das als Faux Real mit der Electro-Pop-LP „Faux Ever" debütiert.
Wer einmal eine Performance dieses Duos gesehen hat, wird es nicht mehr vergessen: Hier trifft sich die motorische Virtuosität exaltierter Pop/Rock-Performer wie Prince, Michael Jackson, Mick Jagger oder Iggy Pop mit ausgeklügelten Boy-Band-Choreographien und plastischen Gestalt(ungs)effekten, die bisweilen fast an die lebenden Skulpturen des Künstlerpaars Gilbert & George erinnern.
Übrigens ist die Musik von Faux Real auch nicht schlecht.
Faux Real sind das französisch-amerikanische Brüderpaar Virgile und Elliott Arndt. Wie französisch und wie amerikanisch genau, wo die Brüder geboren und aufgewachsen sind, sagt keine Quelle bzw. weiß es eindeutig nicht (klärendes Gespräch ist angefragt).
Es sind aber zwei Interviews verfügbar, wo sich die zwei selbst zu ihrer Adoleszenz äußern. Beide diese Interviews fanden übrigens – nicht unlogisch angesichts ihrer extravaganten Outfits und Auftritte – in Style-Magazinen statt. Sie passen nur leider inhaltlich nicht ganz zusammen.
Widersprüche
Auf der See-And-Be-Seen-Plattform The Fashionagraphy geben die Arndts 2021 zu Protokoll, dass es ihre Eltern als interessantes soziologisches Experiment angesehen hätten, sie beide mit unterschiedlichen Sprachen aufwachsen zu lassen.
Wäre also einer in Frankreich, der andere in den USA aufgewachsen?
Dass die französischen Passagen, die hin und wieder das makellose, nach alltäglicher Anwendung klingende Englisch als Gesangssprache interpunktieren/konterkarieren, ausschließlich von Virgile intoniert werden, würde dieser Spekulation sogar ein gewisses Gewicht verleihen.
Dem Magazin i-d sagte Virgile jedoch ein Jahr vorher: „We grew up around Europe, moving around a bit as kids“.
Alle Klarheiten beseitigt.
Kaum Fragen lässt indes die Präsentation der Brüder offen. Das prominent ausgestellte frankophile Element ist ein Distinktionsmerkmal, bei dem bewusst in Kauf genommen wird, dass es sich bildungs- und fremdsprachenfernen Amerikanern gerne einmal als Snobismus darstellen kann.
Außerdem verführt der Bandname zu herzhaften Missverständnissen: „Faux“ heißt ja falsch, unecht. Phonetisch hört es sich ähnlich an wie das englische „for“. Während „Faux Real“ – ein sprachenübergreifendes Oxymoron – also etwas Unechtes, Vorgetäuschtes bezeichnet, klingt es für Angloamerikaner wie „echt jetzt“, „wirklich“.
Dazu ist der Name aber auch Programm für die künstlerische Richtung. Auf einen Nenner gebracht: Hier wird alles verworfen, was der Rockmusik als „authentisch“ teuer und wertvoll ist. Bewusst und innig wird dem Künstlichen, Kalkulierten, dem Effekt gehuldigt. „Don´t tell me the truth / I want the story / I don´t need the fact / just need the glory“ heißt es da an einer Stelle. Es fügt sich ins Bild, wenn respektlos großes Kulturgut paraphrasiert wird: Der Titel von Miles Davis´ als epochal eingestuftem Album „Sketches Of Spain“ wird hier zu „Sketches Of Pain“.
Ihre Musik nennen Faux Real (oder ihre Propagandakanäle) „Anti-Rock“. Nicht übrigens, dass sie keine Gitarren einsetzten, sie erlauben ihnen nur nicht, vorlaut zu werden.
Disco und Electro-Pop sind die dominanten Stile auf „Faux Ever“. Das kann manchmal durchaus ein bisschen billig klingen, manchmal einen Schuss Techno drin haben, manchmal Richtung beidem (billig wie Techno) gehen, manchmal überraschende Wendungen annehmen wie in „Rent Free“, wo ein kurzes Gitarrenbreak eine Zäsur anzudeuten scheint – stattdessen aber besonders stumpfsinnigem Euro-Disco-Gestampfe den Weg ebnet.
In den melodiös stärkeren Teilen wiederum kommt die Musik – wenig verwunderlich – etwas ins Fahrwasser der Pet Shop Boys. Dass dagegen „Full Circle“, einer der Höhepunkte der LP, Assoziationen zum gutgelaunten Fast-Hit „Circles“ von der großen New Yorker Electronic-Rock-Band Soul Coughing weckt, liegt in erster Linie natürlich an der Ähnlichkeit der Titel – vielleicht aber auch daran, dass Songs, die sich um Kreise (oder in Kreisen) drehen, so besonders kräftig pumpende Grooves zu inspirieren scheinen…
Hier wird alles verworfen, was der Rockmusik als „authentisch“ teuer und wertvoll ist. Bewusst und innig wird dem Künstlichen, Kalkulierten, dem Effekt gehuldigt.