Zurück nach einem Vierteljahrhundert
Fast 25 Jahre nach ihrem letzten regulären Longplayer bringen Propaganda ein neues, schönes, unbetiteltes Album heraus.
Mitte der 80er-Jahre feierte die Düsseldorfer Electro-Pop-Formation Propaganda mit dem Album „A Secret Wish“ und Singles wie „Duel“ und „Dr. Mabuse“ auf Trevor Horns Plattenfirma ZTT internationale Erfolge. Da sie indes bei dem Label, das Frankie Goes To Hollywood groß gemacht hat, legendär schlecht behandelt wurden, verbrachten Keyboarder und Texter Ralf Dörper, Percussionist und Haupt-Komponist Michael Mertens sowie die Sängerinnen Claudia Brücken und Susanne Freytag den Rest der 80er-Jahre, sich aus den Verträgen herauszuboxen.
Nach ein paar Umbesetzungen – Dörper suchte das Weite, Betsi Miller übernahm das Mikro – gab es 1990 ein weiteres Album („1234“), das weder kommerziell noch substanziell das Format des Vorgängers erreichte. Was folgte, war der branchenübliche Ablauf von Alleingängen, Projekten in anderen Formationen, einmaligen Reunions-Gigs und außermusikalischen Aktivitäten.
Fast ein Vierteljahrhundert nach ihrem letzten regulären Longplayer haben sich Dörper und Mertens wieder zusammengetan und mit der Sängerin Thunder Bae ein neues, unbetiteltes Album veröffentlicht.
Es ist eine formidable Platte, die Electro-Beats mit breitflächigen Ambient-Sounds, introspektive mit orchestralen und burlesken Momenten kontrastiert und dabei melancholische, in melodiöser Schönheit gebadete Grandezza verströmt.
Dass sich der früher stark rhythmisch-maschinell geprägte Auftritt von Propaganda spürbar Richtung einer beseelt-nachdenklichen Aura verschoben hat, ist nicht zuletzt das Werk der ausdrucksstarken, angedunkelten Stimme der Vokalistin Thunder Bae, von der man bislang überhaupt nichts weiß außer ihrem Alter (24), was sich aber garantiert ändern wird.
Das eine oder andere lyrische Highlight gibt es auch. So heißt es etwa in „Purveyor Of Pleasure“, einer schwülen Liebe-und-Sühne-Geschichte: „Filled pages of passion / in my diary of zest / knew no boundaries / just infinite jest“. „Infinite Jest“ ist der amerikanische Originaltitel von David Foster Wallace‘ Monsterroman „Unendlicher Spaß“ – ein Fingerzeig für das, was man „Dissoziation des Individuums“ nennt und einen brauchbaren Leitfaden durch die nicht wirklich optimistischen Themen dieses Albums (Umweltzerstörung, Isolation… ) abgibt.
Das Stück, das am meisten Aufmerksamkeit generiert, passt zum einen inhaltlich perfekt in diesen Rahmen und fällt zum anderen, weil Coverversion und als einziges deutsch gesungen, formal heraus: Friedrich Hollaenders Chanson „Wenn ich mir was wünschen dürfte“, bekannt geworden in den 30ern durch Marlene Dietrich, wird mit einem gespenstisch präpariertem Klavier von Oscar-Preisträger Hauschka als Hohelied der emotionalen Distanz – zu Selbstüberschätzung, aber auch Glücks-Euphorie – zelebriert. Die Art von Song, die man sich gerne für einschlägige Listen besonderer Einzel-Tracks herausgreift.