Anverwandeln statt abkupfern

Musikalische Tiefenbohrungen mit faszinierenden Ergebnissen: Auf dem Album “Torso” setzt Anja Plaschg alias Soap&Skin neue Maßstäbe in der Kunst des Coverns.

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27. November 2024

Versteht es, jedem fremden Song eine eigene Färbung zu geben: Anja Plaschg alias Soap&Skin (c) Katarina

Dass Anja Plaschg alias Soap&Skin irgendwann ein reines Cover-Album machen würde, ist nun wahrlich keine Überraschung. Bei Spotify etwa gehören ausgerechnet zwei Coversongs zu den meistgestreamten Titeln von ihr: „Me and the Devil“, ein Uralt-Blues-Klassiker von Robert Johnson, und „What A Wonderful World“, das 1960 von Louis Armstrong in den musikalischen Kosmos eingebracht wurde. Dass in beiden Fällen vom Original kaum noch etwas übrig ist, zeigt, welches Prinzip hier beim Covern regiert: anverwandeln statt abkupfern. Vor zwei Jahren, beim Donau-Festival in Krems, war Plaschg eingeladen, ihren Auftritt mit Interpretationen fremden Liedguts zu gestalten, und daraus ist das nun erschienene Album mit dem schillernden Titel „Torso“ entstanden.

Soap&Skin: Torso (PIAS)

Das Album-Cover ziert denn auch ein solcher: der Rumpf eines menschlichen Körpers aus Stein, dem die Gliedmaßen und der Kopf fehlen. Erwarten uns also verstümmelte Versionen der Songs? Oder positiver formuliert: Wurden die Songs auf das Nötigste, auf ihre „Mitte“ reduziert und von allem Beiwerk befreit? Immerhin verlor der Torso spätestens mit Michelangelo den Ruch des Unvollkommenen, nur fragmentarisch Überlieferten und wurde zu einer eigenen Kunstform. Später dann, bei Auguste Rodin, erwuchs aus dessen Torsi gar eine Revolutionierung der Bildhauerei. Nicht ohne Grund findet sich einer der meistzitierten Verse des großen Rodin-Bewunderers Rilke in dem Gedicht „Archaïscher Torso Apollos“: „Du musst dein Leben ändern.“

Selbstbegegnung in fremden Kleidern

Doch im Falle eines reinen Cover-Albums steht vor dem Wie der Interpretation naturgemäß das Was. Welche Songs gecovert werden, sagt zunächst einmal etwas über die Vorlieben der Interpretin aus, aber sie positioniert sich damit auch pophistorisch: Vorbilder, Traditionslinien und Einflüsse werden sichtbar, und wenn Anja Plaschg davon spricht, in Coversongs könne sie sich selbst entkommen, so ist das allenfalls die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte besagt, dass sie sich in fremder Verkleidung am Ende dann doch nur wieder selbst begegnet – es sei denn, covern erschöpft sich tatsächlich im bloßen Imitieren des Originals.

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Plaschg jedenfalls sorgt schon bei der Auswahl des Materials für den einen oder anderen Aha-Effekt. Gut, Cat Power und Lana del Rey sind nicht ganz so fern der eigenen Sangeskunst angesiedelt, und dass das bereits gecoverte „Voyage, Voyage“ erneut zu hören ist (diesmal in einer Lifetime-Version, was auch immer das heißen mag), überrascht nicht weiter. Auffallend ist eher, dass von den restlichen Titeln viele aus den 1960er und 1970er Jahren stammen (The Doors, Shirley Bassey, Tom Waits, Velvet Underground, Janis Ian) und dass Anja Plaschg keinerlei Scheu vor den ganz Großen der Musikgeschichte hat. Und wenn sie sagt, sie höre einen Song und habe dann das Gefühl, dem noch etwas hinzufügen zu müssen, dann lässt auch das auf ein gesundes musikalisches Selbstvertrauen schließen.

Vielfalt an Gefühlslagen

Den Auftakt des Albums macht denn auch ein Kracher, der sogar für den Oscar (als bester Filmsong) nominiert war: „Mystery of Love“ von Sufjan Stevens, berühmt geworden als Teil des Soundtracks zu dem Film „Call Me by Your Name“. Und hier zeigt sich sogleich, was Anja Plaschg hinzuzufügen hat: Dramatik, emotionale Tiefe und Vielfalt der Gefühlslagen. Und so wird aus einem eher brav dahingeträllerten Liebesliedchen für Millenials eine changierende, mal düster, mal hoffnungsfroh anmutende Erkundung der Liebe, die dem Titel wahrlich gerecht wird: geheimnisvoll, mysteriös, unergründlich. Dazu trägt auch die Instrumentierung bei: Das Klavier sorgt für deutlich mehr Tiefe als Stevens‘ Geklampfe, und Cello sowie Horn und Posaune steuern zusätzliche Nuancen bei.

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Und so geht es weiter: Shirley Basseys orgel- und orchesterlastige Liebeschnulze „Born to lose“ wird zu einer düster dräuenden Verlustklage, aus „Gods & Monsters“ von Lana del Rey (selbst mit einigen Untiefen gesegnet) macht Plaschg eine elektronisch unterlegte Geisterbahnfahrt. Noch am nächsten am Original bleibt sie bei „Maybe Not“ von Cat Power (einer Seelenverwandten, die ihrerseits ja bereits zwei fulminante Cover-Alben vorgelegt hat), und „Johnsburg, Illinois“ klingt ohne die Stimme von Tom Waits nicht ganz so überzeugend.

Ganz anders der Eindruck bei „Girl Loves Me“, einem späten Song von David Bowie, dessen nach oben kippende Stimme Plaschg locker um ein Vielfaches toppt und dem sie deutlich Leben einhaucht, genauso wie Lou Reeds Anmachersong „Pale Blue Eyes“ aus dem Jahr 1965, der 1969 auf dem Album „The Velvet Underground“ zu hören war (und der u.a. schon von Patti Smith, R.E.M. und den Kills gecovert wurde). Stets wirken Plaschgs Versionen vielschichtiger, weniger monoton, unergründlicher. Das hat mit der enormen Wandlungsfähigkeit ihrer Stimme zu tun, die aus mal mehr, mal weniger komplexen Liebesliedern existenzielle Sangesexerzitien macht, musikalische Tiefenbohrungen, die mit jeder neuen Textzeile, jeder neuen Strophe unerwartete Wendungen nehmen können.

Mehr Schrei als Gesang

Im kürzesten Stück des Albums, „God Yu Tekkem Laef Blong Mi“, komponiert von Hans Zimmer für den Kriegsfilm „Thin Red Line“, wagt sie sich sogar ganz allein an einen Hymnus, der im Original von einem ganzen Chor von den Solomon-Inseln gesungen wird, und in Tonhöhen, die eher nach Schrei als Gesang klingen – und in die sie sich vor allem auf ihrem Debütalbum „Lovetune for Vacuum“ (2009) gerne begeben hatte. Selbst aus einem Gassenhauer wie „What‘s Up?“ von den 4 Non Blondes, der 1993 sage und schreibe 13 Wochen auf Platz 1 der österreichischen Charts stand und immer wieder gerne als Partyhit gecovert wird – etwa als „Hey, was geht ab“ von Antonia aus Tirol – macht sie große Kunst, indem sie ständig die Tempi wechselt und das eher vorwärts drängende Original immer wieder gleichsam zügelt und in seiner (auch gesanglichen) Dynamik bremst.

„Under Cover“ (Cartoon: Margit Krammer)

Dass sie auch ein Stück der bei uns nicht allzu bekannten Singer-Songwriterin Janis Ian im Programm hat, hat möglicherweise mit biografischen Parallelen zu tun: Die 1951 in New York geborene Ian war ebenfalls ein musikalisches Wunderkind, das schon mit zwölf Jahren seinen ersten Song schrieb – ein Lied über eine „interracial love“, das ihr noch für Jahrzehnte Morddrohungen einbrachte – und mit 25 den ersten von zwei Grammys bekam. Das hier zu hörende „Stars“ veröffentlichte Ian mit Anfang 20 – in einem Alter, in dem Anja Plaschg ihr zweites Album vorlegte und erstmals als Schauspielerin in dem Film „Stillleben“ in Erscheinung trat.

Todtraurige Abschiedsballade

Der absolute Höhepunkt dieses grandiosen Cover-Albums findet sich, wie es sich gehört, am Ende. Dort wagt sich Plaschg an einen Song, der vermeintlich untrennbar mit seinem ursprünglichen Interpreten und dessen kurzem Leben verbunden ist: „The End“ von den Doors, das Abschiedsdrama des frühverstorbenen Sängers und Poeten Jim Morrison. Zwar hat schon Nico 1974 vorgeführt, wie man – als Frau – dieses ödipale Monumental-Epos bravourös deuten kann – eine Herausforderung bleibt es allemal. Plaschg schafft nicht ganz die fast zwölf Minuten des Originals, aber gut acht Minuten schwelgt auch sie im Leid einer verlorenen Liebe. Vor allem aber schafft sie es ganz allein mit ihrem Klavier, aus diesem Song eine derart komplexe, tief- wie abgründige, todtraurige Abschiedsballade zu machen, dass man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Es wirkt, als wäre dieses Lied für niemand anderen als nur sie geschrieben.

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Nein, sein Leben muss man nicht gleich ändern nach dem Hören dieses „Torsos“. Aber in der Kunst des Coverns hat Anja Plaschg mit diesem Album ohne jeden Zweifel neue Maßstäbe gesetzt.

Versteht es, jedem fremden Song eine eigene Färbung zu geben: Anja Plaschg alias Soap&Skin (c) Katarina

Wenn Anja Plaschg sagt, sie höre einen Song und habe dann das Gefühl, dem noch etwas hinzufügen zu müssen, dann lässt das auf ein gesundes musikalisches Selbstvertrauen schließen.