R.I.P., Psychomodo
Mit Steve Harley (1951 - 2024) verliert die Popmusik eine weitere stilprägende Persönlichkeit.
Nun ist also auch Steve Harley gegangen. Eine Krebserkrankung hat dem 73 Jahre langen Leben des Sängers und Songschreibers, der mit seiner Band Cockney Rebel in den frühen und mittleren 1970ern große Erfolge in England und auf dem Kontinent gefeiert hatte, ein Ende gesetzt. Wieder einer dieser Verluste, die in älteren Zeitgenossen das ungemütliche Gefühl hervorrufen, wieder falle über einen Teil ihrer Biographie der Deckel.
Die Frankfurter Rundschau verweist in ihrem Nachruf auf einen Moment auf dem Cockney Rebel-Live-Album „Face To Face“, in dem Harley den Titelsong seines dritten, erfolgreichsten und möglicherweise auch besten Longplayers „The Best Years Of Our Lives“ mit den Fans im wahrsten Wortsinn zelebriert: Harley stimmt die einzelnen Strophen der Ballade, die emotional alle vorstellbaren Zustände von melancholisch über tapfer bis zum blanken Sarkasmus durchläuft, immer nur kurz an, dann übernimmt das Publikum.
Ein solchen Magic Moment gab es auch 1990, als Harley mit reformierten Cockney Rebel in der Szene Wien gastierte. Auch hier war sein Auslöser nicht einer der Single-Hits, deren größter (das ebenfalls aus „The Best Years Of Our Lives“ stammende) „Make Me Smile“ war, sondern „Tumbing Down“, der Schlusssong des zweiten Cockney Rebel-Albums „The Psychomodo“, in dessen langer, schwanengesangsartiger Coda Harley wie ein Mantra „Oh, dear, look what they done to the blues“ skandiert. Das brauchte Harley in der Szene Wien aber gar nicht mehr zu singen, das übernahm nämlich das bestens „präparierte“ Publikum, nachdem er eingangs auf Deutsch „Schau, was sie dem Blues angetan haben!“ gerufen hatte.
Diese Momente intensiver Publikumsnähe – eines buchstäblichen Entgegenkommens zu seinen Anhängern – passten eigentlich überhaupt nicht zu einem Mann, dem der Ruf eines Narzissten und manischen Egozentrikers nacheilte. Genausowenig übrigens wie sein ziemlich friktionsfreier, freundlicher Umgang mit der Presse.
Es passten im Prinzip überhaupt keine logischen Maßstäbe bei Steve Harley, der mit bürgerlichem Namen Stephen Malcolm Ronald Nice hieß, infolge einer Kinderlähmung zeit seines Lebens gehbehindert und trotzdem ein exaltierter, meist auch mitreißender Performer war.
Rein technisch war er ein unmöglicher Sänger, der einzig seine üppigen Manierismen („Sebastian“! „The Psychomodo“!, „Cavaliers!“undundund) im Griff zu haben schien, aber keinerlei Kontrolle erkennen ließ, wann sich seinem dünnen Stimmchen ein Aufjaulen, ein zitterndes Schwanken oder zur Abwechslung sogar einmal ein sauberer Ton entringen würde. Dagegen hatte er in Cockney Rebel eine fähige Begleitband, an der vor allem eine Vielfalt an Klangfarben, die Dominanz einer elektrischen Geige und äußerste Zurückhaltung an Rockismen auffiel. Das honorierten die Kritiker dazumal allerdings genausowenig wie die bisweilen eindrucksvollen Texte, deren Hauptthema psychische Desorganisation/Verstörung/Verwirrung war. Als Harley einmal sagte, er werde lieber Fensterputzer als in einer drittklassigen Band zu spielen, rieten sie ihm, doch gleich zum Putzlappen zu greifen.
Heute wissen wir, dass Cockney Rebel – hauptsächlich wegen Harleys exaltiertem öffentlichen Auftreten gemeinhin im Glam verortet – maßgebliche Wegbereiter der New Wave waren.
Leider überwarf Harley sich bald mit seinen Mitstreitern. Nur die ersten beiden LPs erschienen unter dem Namen „Cockney Rebel“, die nächsten drei, darunter „The Best Years of Our Lives“ (1975) als „Steve Harley & Cockney Rebel“, der Rest – neben einem Cover-Album noch sechs reguläre Studio-LPs – unter eigenem Namen.
Keine von diesen ist wirklich schlecht. Aber es passierte, was in solchen Fällen immer passiert: Wie sich die stimmlichen Manierismen ausschliffen, Harley sogar ein relativ akzeptabler Sänger wurde, die Texte etwas freundlicher wurden und sogar eine humanistischer Schlagseite annahmen, wie alles Manische entwich, kurz gesagt die Musik normaler wurde, wurde sie halt auch durchschnittlicher.
Daran muss man nichts kritisieren, sowas passiert, so ist das Leben. Die alten Großtaten sind damit ja nicht aus der Welt: „I seen Quasimodo hanging on my gate“.
R.I.P., Psychomodo.
Rein technisch war er ein unmöglicher Sänger, der allenfalls seine üppigen Manierismen im Griff zu haben schien.