Am Archimedischen Punkt angelangt

Auf dem Album “Heat Ray” verwandelt das Will Gregory Moog Ensemble physikalische Gesetze in musikalische Gemälde.

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6. Juli 2024
Will Gregory Moog Ensemble

Will Gregory Moog Ensemble: Heat Ray (Mute)

Wer einen Spielplatz besucht, lernt das Hebelgesetz aus eigener Anschauung kennen: Auf einer Schaukel können schwerere Kinder/Erwachsene die leichteren problemlos in der Luft halten. Setzen sie sich allerdings näher zum Drehpunkt als ihr Gegenüber, so balancieren sich beide Seiten aus. „Kraft mal Kraftarm ist gleich Last mal Lastarm“: So wurde das Gesetz bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. von Archimedes formuliert, der denn auch gemeint haben soll: „Gebt mir einen festen Punkt im All, und ich werde die Welt aus den Angeln heben.“ Daneben hat der antike Gelehrte das nach ihm benannte Prinzip (Auftriebsgesetz) entdeckt und die Verhältniszahl Pi (π) beschrieben, ohne sie bereits als solche zu bezeichnen.

Was das mit Will Gregory zu tun hat? Wenn Corona auch eines mit sich gebracht hat, so war es Zeit: Freiberufliche, Künstler und Musiker hatten auf einmal – eher unfreiwillig – mehr als genug davon, um sie mit Beschäftigung zu füllen. Gregory blieb auf YouTube bei Mathematik-Vorlesungen hängen, bei denen sich Archimedes zu seinem Favoriten entwickelte. „Heat Ray“, eine Anspielung auf die Spiegel, mit deren Hilfe Archimedes der Legende nach die römischen Schiffe bei der Belagerung von Syrakus in Brand gesteckt haben soll, bei deren Eroberung er von einem Römer 212 v. Chr. erschlagen wurde („Störe meine Kreise nicht!“), spürt den Entdeckungen des griechischen Mathematikers, Physikers und Ingenieurs nunmehr in neun Stücken nach.

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Das Will Gregory Moog Ensemble trat zum ersten Mal beim Bath Festival 2005 auf. Nicht zufällig dürfte das Ensemble, dem neben Goldfrapp-Mitbegründer Gregory auch Adrian Utley (Portishead) angehört, der das Album produziert hat, bei ihrem ersten Auftritt Stücke von „Switched-on Bach“ gespielt haben, einem der meist verkauften Klassikalben aller Zeiten. „Switched-on Bach“ von Wendy Carlos (bekannt für die Soundtracks zu „A Clockwork Orange“, „The Shining“ oder „Tron“, und vor einer Geschlechtsumwandlung 1972 noch Walter Carlos), wurde 1968 veröffentlicht und machte den von Robert Moog entwickelten Synthesizer schlagartig berühmt.

Auf einmal interessierten sich Musikgrößen wie George Harrison, Mick Jagger oder auch Keith Emerson für die neuen Klangfarben. 1970 kam dann der Minimoog auf den Markt, der leichter bedienbar und bühnentauglicher war – eine Konzession an eine zwar experimentierfreudige, aber weniger zahlungskräftige Kundschaft – und auf dessen Gebrauch sich auch das elfköpfige WGME im Wesentlichen konzentriert.

Hat eine gut hörbare Verbindung von Archimedes zu Robert Moog hergestellt: Will Gregory (c) Paul Heartfield

Sowohl Moog als auch Carlos waren eigentlich Physiker. Und so verwundert es nicht, dass das WGME ausgerechnet physikalische Gesetze in musikalische Gemälde übersetzt. Das Ergebnis weist neben cineastischer Theatralik, wenig überraschend, Reminiszenzen an Johann Sebastian Bach auf, so etwa beim fugenhaften, von den Brandenburgischen Konzerten inspirierten „Law of the Lever“ oder dem verspielten, an das Wohltemperierte Klavier erinnernden „The Claw“. Dass sich dabei auch Assoziationen an Komponisten wie Dmitri Schostakowitsch oder Alfred Schnittke, die auf je eigene Art ebenso Beziehungen zu Filmmusik wie zu Bach pflegten, einstellen, mag Zufall sein, spricht aber wiederum für die Zeitlosigkeit der instrumentellen Besetzung, die problemlos barocke Elemente mit zeitgenössischem Tondesign vereint. Das ist ebenso spannend wie erfrischend.

 

Will Gregory Moog Ensemble

Will Gregory Moog Ensemble: Heat Ray (Mute)