Ausstellung in Tönen

Krautrock revisited: Die deutsche Band Faust veröffentlicht mit dem Album „Blickwinkel“ eine treibende, zuweilen trancehafte musikalische Odyssee.

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14. September 2024

Faust: Blickwinkel (bureau b)

Neu!, Can und dann war da noch – Faust. Mit diesen drei deutschen Bands wird üblicherweise der Begriff „Krautrock“ assoziiert. Der Begriff tauchte erstmals 1971 in einer Werbeanzeige im „Billboard Magazin“ auf, um ein deutsches Tournee-Management und eine Plattenfirma anzupreisen. Nicht nur Militärhistoriker wissen freilich, dass die Alliierten den Namen „Krauts“ den deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg verpassten. Lebensmittel waren knapp und Sauerkraut, weil vitaminreich, bot sich als Marschverpflegung an. Faust griffen die Bezeichnung affirmativ auf: Auf ihrem Album „IV“ hieß der erste Song „Krautrock“.

Faust wurde 1970 von Werner „Zappi“ Diermeier, Gunther Wüsthoff, Jean-Hervé Péron, Rudolf Sosna, Hans Joachim Irmler und Arnulf Meifart in Hamburg mit Hilfe des Journalisten Uwe Nettelbeck gegründet. Nettelbeck hatte Kontakt zum Label Polydor, das nach einer neuen deutschen Band suchte, die nach den Beatles klingen sollte. Nettelbeck brachte die Bands Nukleus (Péron, Sosna, Wüsthoff) und Campylognatus Citelli (Diermaier, Irmler und Meifert) zusammen. Nach einem Intermezzo in der Villa von Nettelbecks Frau in Schwindebeck bezog die Band ein altes Schulhaus im niedersächsischen Wümme, das zu einem Tonstudio umgebaut wurde.

Reinfälle & Verluste

Mit der Orientierung an den Beatles wurde es freilich nichts, vielmehr standen von Beginn an Avantgardistisches, Experimentelles, Dada und Fluxus im Mittelpunkt. Wegen musikalischer Differenzen zu den anderen „Fäustlingen“, die zum Teil von Üben nicht viel hielten, und zu Nettelbeck wurde Meifart alsbald aus der Band geworfen, wirkte indes auf dem ersten und dritten Album mit. Die ersten beiden Alben („Faust“, „So Far“) erschienen zwar auf Polydor, waren für das Label aber ein Reinfall. Die Band zog es daraufhin 1973 nach England, wo Richard Branson sie für Virgin Records unter Vertrag nahm („The Faust Tapes“, „Faust IV“). Nach einer verlustreichen UK-Tour kehrte Faust nach Deutschland zurück, wo sie in Giorgio Moroders Münchner Musicland Studio ein neues Album einspielte. Die Band glaubte damals, noch zur Virgin-Familie zu gehören. Doch da irrten die Protagonisten: Branson war nicht bereit, für die Rechnungen aufzukommen, sodass die Beteiligten in Gewahrsam genommen wurden – bis die Mütter von Irmler und Sosna die ausstehende Summe beglichen. Danach war erst einmal Schluss.

Ober-„Fäustling“ Werner „Zappi“ Diermeier (c) Sigrun Drapatz

Ab Beginn der 1990er Jahre wurde Faust in wechselnden Besetzungen wiederbelebt. Es folgten diverse Alben (u.a. wurde 2021 das überarbeitete Material der Münchner Aufnahmen als „Punkt“ veröffentlicht) und Tourneen. Und nun gibt es also „Blickwinkel“. Die Session dazu begann mit „Zappi“ Diermeier am Schlagzeug und Dirk Dresselhaus am Bass; Elke Drapatz (monobeat original – ein neues Projekt von Diermeier) steuerte Drumeffekte bei. Es entstanden sechs Stücke, die an Gunther Wüsthoff, Sonja Kosche, Jochen Arbeit (Einstürzende Neubauten, Die Haut), Andrew Unruh (Einstürzende Neubauten) und Uwe Bastiansen (stadtfisch) verschickt wurden, die ihre Instrumentierungen beisteuerten, ohne von den anderen zu wissen – ein Konzept, das bereits beim Vorgänger „Daumenbruch“ durchgeführt worden war. Wüsthoff benutzte seine Spieluhr (ein selbsgebastelter Sequenzer für einen ARP Synthesizer) und Kosche eine aus den Drähten eines Bettes gebastelte Harfe sowie einen Ventilator, Arbeit bespielte Gitarre, Kalimba und Harmonium, Unruh perkussive Objekte, allein Bastiansen kümmerte sich um Melodiöses.

Noise & Melodienfragmente

Herausgekommen ist eine psychedelische musikalische Erkundung: Drone-Elemente werden von Industrial abgelöst oder von Noise überlagert, Melodienfragmente tauchen auf und werden wieder weggeweht, wobei Rhythmen Disparates zusammenhalten; mal erinnert das Ganze an Sonic Youth („Sunny Night“), dann klingt es wie eine in Zwölftonmusik gebadete „Künstliche Intelligenz“ oder es grüßt FM Einheit („For Schlaghammer“). „Blickwinkel“ ist eine treibende, zuweilen trancehafte Odyssee, die nebst Experimentierfreude auch Tanzbares („Kratie“!) vorzuweisen hat. Aufgrund der Machart wirkt das Album mitunter wie eine in Töne transponierte Ausstellung, der allerdings nichts Museales anhaftet.

Faust: Blickwinkel (bureau b)

Mit der geplanten Orientierung an den Beatles wurde es nichts, vielmehr standen bei Faust von Beginn an Avantgardistisches, Experimentelles und Dada im Mittelpunkt