Berghonig und Röstigraben
Feel-Good-Klänge à la française: Neue Alben von Miel de Montagne und Kids Return.

Kids Return: 1997 (Ekleroshock / Popup-Records)
In der Schweiz gibt es den berüchtigten sogenannten „Röstigraben“. Damit wird kulinarisch-bildhaft die Kluft zwischen dem deutschsprachigen und dem französischsprachigen Teil der Eidgenossenschaft bezeichnet, eine Kluft, die sich bei Volksabstimmungen und Wahlen besonders deutlich manifestiert. Auch hierzulande gibt es eine Art „Röstigraben“: Er verläuft zwischen Frankreich und dem deutschsprachigen Raum, und er sorgt dafür, dass die musikalische Kluft zu Rock und Pop aus Frankreich deutlich tiefer ist als etwa zu den musikalischen Errungenschaften der angelsächsischen Welt.
Sicher, immer wieder schaffen auch französische Künstler und Gruppen den Sprung über den Graben und in die deutschen und österreichischen Charts. Das Duo Air ist gerade auf sentimentaler Retro-Tour mit seinem legendären ersten Album „Moon Safari“, Zaz ist den meisten Menschen auch hierzulande vertraut, und die junge Sängerin Zaho Mélusine Le Moniès de Sagazan (so heißt sie tatsächlich mit vollem Namen) füllte jüngst die Hallen von Hamburg bis Wien.
Soundtracks für jede Gefühlslage
Aber man muss nur einen französischen Plattenladen betreten, um sogleich erstaunt festzustellen, was alles nicht und nur auf verschlungenen Pfaden den Weg in deutschsprachige Gehörgänge findet. Selbst ein so bekannter und umstrittener Künstler wie Bertrand Cantat – einstmals Frontmann von Noir Désir und wegen Totschlags an seiner Freundin Marie Trintignant zu mehrjähriger Haft verurteilt – wird mit seinem neuen Projekt Détroit, dessen zweites Album „L’Angle“ jüngst erschienen ist, kaum beachtet und besprochen; Benjamin Biolay war mal hip, ist aber inzwischen fast vergessen; und Carla Bruni ist uns dann doch eher als Ehefrau von Nicolas Sarkozy und weniger als Sängerin in Erinnerung geblieben.
Umso bewundernswerter ist die Beharrlichkeit, mit der sich das Label Popup-Records im deutschsprachigen Raum für französische Popmusik stark macht. Auch Miel de Montagne erscheint dort, der mit bürgerlichem Namen Milan Daudin-Kanche heißt und soeben sein drittes Album veröffentlicht hat. „Ouin Ouin“ (Recherche & Développement / Popup-Records) ist es betitelt, und darauf liefert der 28-Jährige angeblich den „Soundtrack für jede Gefühlslage“. Hauptsache entspannt, könnte man sagen, und genau so plätschert dieses Album dahin. Belangloser Elektropop, vorgetragen mit einer Stimme, die keine Ausschläge kennt. Das eignet sich vor allem als Soundtrack für Klamottenläden, und von den zwölf Songs hat eigentlich nur einer das Potential, nicht gleich wieder in Vergessenheit zu geraten: „Des heures“ heißt er, und vielleicht sind es die Reggae-Rhythmen, die ihn aus diesem Einheitsbrei herausheben. Keine Ahnung, wie Berghonig schmeckt, aber das hier klingt eher nach billigem Kunsthonig.
Musikalisch interessanter sind da Kids Return. Dieses 2020 gegründete Duo besteht aus Adrien Rozé und Clément Savoye, und den Bandnamen haben sie sich vom gleichnamigen Film des japanischen Regisseurs Takeshi Kitano entliehen. Frönte ihr Debüt noch eher den beschaulichen Popklängen der 1970er und 1980er Jahre, so orientieren sie sich nun auf „1997“ (Geburtsjahr der beiden) am Britpopsound der 1990er Jahre. Das funktioniert in einigen Fällen („Time to Time“, „My Hero“) richtig gut – und nur gelegentlich gar nicht („Seattle Boat“) –, und wer das fürchterliche Englisch in Erinnerung hat, mit dem Noir Désir vor allem in den Anfangsjahren aufwarteten, wird hier absolut positiv überrascht.

Unverkennbar am Britpop a la Oasis orientiert: Adrien Rozé und Clément Savoye von Kids Return. (© Kids Return)
Stimmlich bleiben die beiden aber leider weit hinter den annoncierten Vorbildern wie Oasis, Blur oder den Strokes zurück, das reiht sich doch sehr in den schmerz- und emotionsfreien Gesang ein, der bei den Importen aus Frankreich seit Jahren dominiert (vor allem bei den Frauen, die oft mehr lolitahaft hauchen als singen).
Vielleicht hat der große Erfolg von Zaz und Zahon de Sagazan ja auch damit zu tun, dass sie stimmlich mit einem deutlich größeren Repertoire und mit mehr Wumms aufwarten können. Es wäre jedenfalls zu wünschen, dass wieder öfter etwas widerborstigere, handfestere, emotionalere Musik den „Röstigraben“ überspringt. Nicht nur nette, aber letztlich austauschbare Feel-Good-Klänge à la française.

Kids Return: 1997 (Ekleroshock / Popup-Records)