Das Beste, das wir nicht gespielt haben (1)

Platten, die es verdient hätten, hier erwähnt zu werden, sollen zum Jahresende wenigstens gerafft vorgestellt werden. In der ersten Tranche: Faye Webster, Brigade Futur III, Barry Adamson, PeterLicht und Sleater-Kinney.

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13. Dezember 2024

Einkaufen, um nicht mehr „Underdressed In The Symphony“ zu erscheinen: Faye Webster (© Secretly Canadian)

Es gibt hauptsächlich zwei Gründe, warum Platten, die es wert gewesen wären, besprochen zu werden, auf dieser Plattform nicht vorgekommen sind. Erstens: es ist sich mit den vorhandenen Kapazitäten nicht ausgegangen. Zweitens: Man hat sie zunächst falsch eingeschätzt, sprich: unterschätzt.

Trotz seines weltmeisterlichen Titels und hochkarätigen Gästen wie Wilcos Super-Gitarrist Nels Cline gehört Faye Websters fünftes Album „Underdressed In The Symphony“ (Secretly Canadian) in diese Kategorie.

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Alles an dieser Platte mutet zunächst irgendwie um eine Nuance zu leichtgewichtig an: Websters hohe, süßliche Stimme, die scheinbar antriebsarm dahinplätschernden, dabei stilistisch vielseitig zwischen Country, Pop, Folk und Blue-eyed-Soul angelegten Arrangements; dazu inhaltliche Untiefen, die in Songtiteln wie „Feeling Good Today“ oder „He Loves Me Yeah!“ repräsentiert scheinen.

In Wahrheit ist das alles Understatement der raffiniertesten Art: Webster positioniert sich als eine Art Antithese zu überbordender Bedeutungs-Produktion à la Conor Oberst und die Musik passt sich solchem Understatement perfekt an.

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Als Ganzes ist „Underdressed in the Symphony“ indessen nicht wirklich eine fröhliche Platte. Sie habe, bekennt Webster im Titelsong, ein reifes Talent, ihr Glück in die Flucht zu schlagen. Themen wie Kaufsucht zur Stimmungsaufhellung nach Beziehungsbrüchen/-krisen ziehen sich durch mehrere Songs. Geld ausgeben, um wenigstens irgendetwas zu spüren – und sei es mit der Konsequenz, bankrott zu gehen – das ist so ein inhaltlicher Anker dieser LP, die ihre Tiefe nicht für oberflächliches Hinhören hergibt.

Jazz für Freigeister

Jetzt wird´s „politisch“ und es geht in Richtung eines Stils, zu dem diese Plattform eine respektvolle Distanz zu halten pflegt, nämlich dem Jazz.
Ungefähr entlang dieser Koordinaten nämlich verläuft die Wirkungsgeschichte der LP „Ein bisschen Zeit haben wir ja noch“ von Brigade Futur III (WhyPlayJazz): Außer auf der Website von Amnesty International  ist sie praktisch nur in Jazz-Magazinen besprochen worden. Pop-Medien haben diese Platte ignoriert – was sehr schade ist -, lediglich der kulturell universelle Deutschlandfunk widmet ihr einen Podcast.

Die Brigade, hier in Infanteriestärke © Beat Halberschmidt

Wir sprechen hier allerdings von einem Jazz, dessen Radikalität sich gerade aus einer undogmatischen Freigeistigkeit speist. Einiges vom Humor einer Carla Bley findet sich darin, auch deren Verbundenheit mit europäischen Musiktradtionen wie Märschen oder Liedern im Stil eines Kurt Weill; ein paar zarte Dosen Neue E-Musik und Pop dürfen durchaus auch vorkommen und das alles verbindet sich mit prononciert linken – von der Klimakrise, vor allem aber dem Turbokapitalismus in allen seinen hässlichen Facetten dominierten – Inhalten zu einer explosiven Packung.

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Brigade Futur III sind ein deutsch-schweizerisches Quartett mit Homebase in Berlin und tun sich, so wie hier, gerne mit dem Leipziger Musikkollektiv Spielvereinigung Sued zusammen. Das ergibt bisweilen ein bis zu achtzehnköpfiges Bläserinferno, kann aber auch Momente voller melodiöser Schönheit abwerfen wie im eröffnenden Chanson „Hikikomori“, dessen Titel Menschen in Japan bezeichnet, die sich freiwillig in ihrer Wohnung oder ihrem Zimmer einschließen und den Kontakt zur Gesellschaft meiden bzw. auf ein Minimum reduzieren.

Elia Rediger, Stimme von Brigade Futur III © Beat Halberschmidt

Sehr schön bringt „Privare“ die divergenten Stilelemente von „Ein bisschen Zeit haben wir ja noch“ zusammen: Der Song über Methoden zur Besitzakkumulierung beginnt mit einem Prince nicht unähnlichem Falsettgesang, schweift in einen Refrain ab, welcher der historisch etwas unterbewerteten Düsseldorfer Elektronik-Band Der Plan nicht schlecht angestanden wäre, und samplet eine Rede des ehemaligen SPD-Politikers Hermann Scheer: „Privatisierung kommt von ,privare‘, ein lateinisches Wort, es heißt ,berauben‘. Wenn nun eine Privatisierung stattfindet, dann werden Gemeinschaftsgüter von privaten Interessen aufgekauft, oder sogar verschenkt. Das ist nichts anderes als eine Beraubung der Gemeinschaft. Man kann es noch zuspitzen: Hier wird die Gesellschaft enteignet für einen Privaten. Für eine Sache, die für einen Privaten interessant ist, das heißt, die für ihn profitträchtig ist.“

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Europa“ wiederum startet mit ironischem Anzitieren des „Final Countdown“ der Band Europe und beschreibt in einem melancholischen Schwanengesang ein wirtschaftliches und moralisches Endspiel des Alten Kontinents. „Ein bisschen Zeit haben wir ja noch“, beruhigt am Ende in „Kipppunkte“ eine onkelhafte Stimme mit gemütlichem Lachen Ängste vor einem irreversiblen Klima-Kollaps.

Die Geschichte der schwarzen Musik, erzählt von Barry Adamson

Barry Adamson, vor 66 Jahren in Manchester geboren, hat eine unglaublich weitreichende künstlerische Vita. Er war Bassist der frühen New-Wave-Band Magazine, kurzfristig auch bei der Synthi-Pop-Formation Visage dabei und werkte dann lange im Umkreis von Nick Cave – zuerst bei der Birthday Party, dann bei den Bad Seeds. Von diesem Erbe war allerdings relativ wenig zu spüren, als er sich Ende der 80er Jahre selbstständig machte und eigenwillige Alben veröffentlichte, die sich mit Rückgriffen auf Soul, Jazz, südamerikanischen Tanzstile und etliche andere nicht unmittelbar mit Pop und Rock konnotierte Einflüsse individualistischen Freiraum erschloss.

Großer Individualist: Barry Adamson © Jone Reed

Oft mutet Adamsons expressives, weiträumig arrangiertes Schaffen an wie Filmmusik – und ist es oft auch: Bisweilen als Soundtrack für fiktive/imaginäre Filme, häufiger aber für echte Leinwandwerke, darunter so bedeutende wie David Lynchs „Lost Highway“ oder Oliver Stones „Natural Born Killers“.
Auf seinem Album “Cut To Black“ (Barry Adamson Incorporated/[INTEGRAL]), das das zugänglichste seiner gesamten Solo-Karriere sein könnte, versenkt sich Adamson allerdings tief in die Geschichte schwarzer Musik der 50er , 60er und 70er Jahre und zelebriert Soul in all seinen Varianten von Motown bis Stax, Rhythm & Blues, Funk, die Philly-Soul-typischen Streichersätze und sogar die Pionierzeit des Rock´n´Roll. Sogar Adamsons langjährige Partnerschaft mit Nick Cave dringt beizeiten durch („These Would Be Blues“).

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Mit einer Gesangsstimme, von der man gar nicht gewusst (oder schon vergessen) hat, wie charismatisch sie sein kann, erzählt Adamson vom gewaltsamen Tod des Soul- und R&B-Wegbereiters Sam Cooke durch die Schrotkugeln einer zwielichtigen Motelmanagerin („The Last Words Of Sam Cooke), streift die schwarze Bürgerrechtsbewegung und zerlegt die Legende vom Blues als Musik des Teufels. Dieses im mittelbaren Sinn als autobiografisch zu verstehende Stück Vergangenheitsbewältigung ist formal und dramaturgisch perfekt abgestimmt, mit Intelligenz und Gefühl in Szene gesetzt und führt in seiner produktionstechnischen Raffinesse obendrein vor, dass auch „retro“ modern klingen kann.

Eine Klasse für sich: PeterLicht, Sleater-Kinney

Wir schulden euch nichts / aber ihr schuldet uns die Welt“. Gewohnt griffig beginnt die siebte LP des Mannes mit dem bürgerlichen Namen Meinrad Jungblut, der als PeterLicht außer hervorragenden Platten auch Theaterstücke, Kurzgeschichten, Hörspiele und Zeichnungen fertigt.

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Weil PeterLicht die phraseologisch vielgeschundene „Klasse für sich“ genuin ist, kann er auf „Alles klar“ (Tapete Records) das machen, was er seit seinem plötzlichen Auftauchen mit dem Elektronik-Hit „Sonnendeck“ 2001 immer gemacht hat, ohne damit irgendwie zu langweilen oder das Gefühl aufkommen zu lassen, er trete auf der Stelle: Klassischen Melodie-Pop, hier vielleicht etwas stärker akustisch nuanciert als beim Vorgänger „Beton und Ibuprofen“, und eine abenteuerliche Mischung aus kindlicher Direktheit, Dadaismus und abgefeimten, sophistischen Wortspielen und Sinnverdrehungen.

Gerne auch einmal etwas abgehoben: Der Mann, der sich PeterLicht nennt (© Christian Knieps)

Oft findet man das – wie zum Beispiel in „Problemlöser“ – alles zusammen in einem Song: Was sich zunächst als eine Aneinanderreihung naiv formulierter No-Na-Kausalitäten darstellt – „Wenn du ein Problem hast dann ist es ganz einfach / dann musst du das lösen“; „Wenn’s keine Lösung gibt dann ist es ganz einfach / es ist dann unlösbar“ etc. – führt unvermutet zum Klimawandel: „Wenn dir zum Beispiel zu heiß ist dann ist es ganz einfach / dann ziehst du was aus / dann wird es dir kühler / du gehst in eine Gondel / und fährst nach oben / auf einen Gletscher / wenn kein Gletscher mehr da ist dann ist es ganz einfach / dann fährst du wieder runter / in den Keller / setzt dich auf den Boden deiner Tatsachen.“

Als verlässlich erweisen sich einmal mehr Sleater-Kinney: Nach dem Ausstieg von Schlagzeugerin Janet Weiss zum Duo geschrumpft, kleiden Corin Tucker und Carrie Brownstein als Überlebende der Riot-Girl-Bewegung auf ihrem Album „Little Rope“ (Loma Vista) Themen wie Verlust(ängste) und die Position von Frauen jenseits der 40 in dynamisch und melodiös bisweilen famos akzentuierte Songs. Selten haben sich existenzielle Unsicherheit und Grandezza so gut vertragen.

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