Das Vermächtnis des Unbeugsamen lebt

Umfangreich ist das Gedenken an den 2016 verstorbenen Sänger, Songschreiber und Poeten Sigi Maron zu dessen 80. Geburtstag.

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17. Mai 2024

Er war ein überzeugter Roter: Sigi Maron mit den Rocksteady Allstars 2008 beim Volksstimmefest der KPÖ. © Manfred Werner - Tsui / Wikipedia

So sind wir nicht!“, hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen berühmterweise in Reaktion auf das berüchtigte Ibiza-Video gesagt, das übrigens auf den Tag genau (17.5.) vor fünf Jahren rasend schnell die Runde durch die Sozialen Netzwerke und etablierten Medien machte. „so sind wir!“ behauptet – wie in halsstarrigem Widerspruch dazu – ein Flugblatt.

Das Flugblatt ist freilich von 47 Jahren vorher, 1972, und der Claim „so sind wir!“ steht hier auch keineswegs in apodiktischer Singularität, sondern wird von der Frage „sind wir so?“ konterkariert – ist also Teil eines Diskurses. Und dieser dreht sich um die Bedeutung und Verwendung des Begriffs „progressiv“.

Abgebildet ist ein junger Mann mit sehr fröhlichem Lachen, der im Rollstuhl sitzt und eine Gitarre wie einen Rucksack über die Schulter geschwungen hat. Der junge Mann ist Sigi Maron, hat einen gewichtigen Helfer im Schauspieler Herwig Seeböck und verspricht „belanglose bemerkungen zu unserer zeit(,) im rollstuhl erdacht und in wort und lied weitergegeben“.

Im Übrigen hätte der 1944 in Wien geborene, seit seinem 12. Lebensjahr wegen einer Kinderlähmung im Rollstuhl sitzende, 2016 in Baden verstorbene Sigi Maron zu Ibiza ganz sicher tatsächlich „so sind wir!“ gesagt. Die kontrapunktische Frage „sind wir so?“ hätte er natürlich weggelassen.

80 Jahre alt wäre Sigi Maron dieser Tage geworden. Zu diesem Anlass haben die Journalistin, Aktivistin und Wissenschafterin Margit Niederhuber und der umtriebige Musikverleger, Journalist und Autor Walter Gröbchen – der übrigens über Maron ein hörenswertes „Radiokolleg“ in Ö1 gestaltet hat – im Mandelbaum Verlag das Sigi Maron LesebuchRedn kaun ma boid“ herausgegeben, in dem sich neben Bildern, Song- und Prosatexten des Künstlers Erinnerungen von Zeitzeugen, Weggefährten und Nachgeborenen und Dokumente von Veranstaltungen wie der eingangs beschriebenen finden. Flankiert ist das Ganze von einer auf 500 Stück limitierten Best-of-Vinyl-Platte gleichen Titels bei Sony.

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Das große Sigi Maron Lesebuch

Im Buch kommen u.v.a. der Literat Peter Turrini, der Musiker und Journalist Robert Rotifer, der Kabarettist Lukas Resetarits, die Sängerin Birgit Denk zu Wort; weiters der schon legendäre „Musikarbeiter“ der Straßenzeitung „Augustin“ und Sänger Rainer Krispel und der Komponist und Produzent Mischa Krausz, Arrangeur und per nominem Co-„Komponist“ von Marons größtem, musikalisch allerdings ziemlich dreist vom Kinks-Song „Don’t Forget To Dance“ abgekupferten Hit „Geh no net furt“.

Den bayerischen Liedermacher Konstantin Wecker, der Maron produziert hat, nehmen die Buch-Herausgeber* ebenso ins Gebet wie Marons Mitarbeiter und Co-Autor Fritz Nussböck, der gemeinsam mit dem Musiker, Autor und Journalisten Erich Demmer befragt wird.

Bei den Politikern* Elke Kahr und Andreas Babler, mittelbar aber auch im Beitrag der Battle-Rapperinnen Mieze Medusa & Yasmo (als MYLF alias Mothers You’d Like To Flow With) wird auf Marons ideologisch explizit linke Position Bezug genommen, während seine ehemalige Arbeitskollegin Heidi List, heute Kulturmanagerin, Autorin und Journalistin, sowie überlebende Verwandte und Nachkommen des Musikers besondere Seiten seiner Persönlichkeit offenbaren. Die Texte der Herausgeber* Niederhuber und Gröbchen runden das große Ganze stimmig ab.

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Frappierende Werkanalyse von Robert Rotifer

Es ist natürlich problematisch und bestimmt nicht fair, aus dieser dichten Kompilation mit den vielen informativen, empathischen, oft genug wirklich liebevollen Beiträgen einen Text besonders herauszuheben, aber auf Robert Rotifers Essay „Laut und Leise“ muss einfach näher eingegangen werden.
Augenscheinlich ist Rotifer, wie sich schon bei seinem preiswürdigen Vorwort zu Ernst Moldens „Liederbuch“ gezeigt hat, in der Werk-Analyse Wiener** Dialektsänger unschlagbar.
An diesem Punkt schließt sich übrigens insofern eine Klammer, als Ernst Molden im Gespräch mit mir einmal deklamiert hat: „Maron ist mein Gott.“

© Mandelbaum Verlag

Dass sich Rotifer so gut auf beide versteht (und gewiss auch den Nino aus Wien bis in die letzte Faser zu durchleuchten wüsste), ist eigentlich alles andere als schlüssig zu begründen: Lange schon ist das UK sein Lebensmittelpunkt; seit jeher bedient er sich hauptsächlich des Englischen als Gesangssprache. Aber in seinen Betrachtungen von Wiener Songwritern liegt eine Verständigkeit und ein Tiefenwissen, als würde er sich mit nichts Anderem beschäftigen.

Aber vielleicht sind sich britischer Pop und Wiener Liedermacherei nicht so fremd, wie man annehmen möchte. Sigi Maron hat ja auch sein maßgebliches Album „05 vor 12“ in London in der Produktion von Kevin Coynes Mitstreiter Bob Ward aufgenommen.

Ein kritischer Punkt

Obwohl Rotifer als glühender Anhänger Marons bekannt ist, wagt er es – was sonst kaum geschieht -, in dessen Vortrag einen bestimmten Aspekt zu kritisieren, der auch mir beizeiten schon sauer aufgestoßen ist: Maron hatte die Angewohnheit, Idiome von Ausländern aller möglichen Ethnien – Gastarbeitern, in prekären Jobs arbeitenden Migranten etc. – auf eine Weise zu reproduzieren, die oft an Parodie grenzte. Indem er das tat, reproduzierte er aber auch die (herablassende bis feindselige) Haltung der Mehrheitsgesellschaft diesen Menschen gegenüber, und erreichte dabei bisweilen eher das Gegenteil dessen, was er intendierte, nämlich die Beschämung des Alltagsrassisten, vielleicht auch des Rassisten in einem* selber.

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Der erste Song, bei dem mir dieses Phänomen auffiel, war „ali ewadi zakria“, die Geschichte eines schlecht verdienenden scheinselbstständigen Zeitungskolporteurs, der im Job überfahren und getötet wird. Wenn Maron wiederholt in fremdländischem Akzent „Krone! Kurier! Krone!, Kurier!“ ruft, so könnte diese Fremdheit in der Mehrheitsgesellschaft durchaus dem Aufbau von Superioritäts-Dünkel Vorschub leisten. Bei allen solchen – vielleicht pedantischen – Einwänden muss im Visier behalten werden, was Rotier relativierend zu bedenken gibt, nämlich „dass die heutige Taktik, rassistisches Allgemeingut konsequent zu tabuisieren, jenes nicht wegmacht“.

„Unprogrammierte“ Höhepunkte

„ali ewadi zakria“ war ironischerweise einer der zwei Songs, die Robert Rotifer bei der groß aufgezogenen Präsentation – bzw., wie man fast schon zu sagen geneigt ist, Live-Umsetzung – des Maron-Lesebuchs im Rabenhof Theater zum Besten gab. Die potentielle Falle der „Krone! Kurier!“-Passage umging Rotifer instinktsicher, indem er sich dabei zunächst weit vom Mikrophon abwandte, dann diesem unter Vermeidung jeglichen Akzents lauter werdend sukzessive näher kam.

Ein paar konnten an diesem Abend nicht ihre Aufwartung im Rabenhof machen, Peter Turrini etwa ließ sich entschuldigen. Konstantin Wecker spielte immerhin per Video eine Performance von „Au“. Dafür lieferten zwei, die im Buch gar nicht vorkommen, nämlich Attwengers Hans-Peter Falkner und der vielbeschäftigte Sänger und Songwriter Pau-T, der u.a. auch in den Bands von Der Nino aus Wien und Clara Luzia Bass und Klarinette spielt, schöne Auftritte.

Ein weiterer Höhepunkt war gleich am Anfang der vielköpfige Chor, der Marons bekanntermaßen recht derbe Texte in vielstimmiger und recht lustiger Feierlichkeit zelebrierte. Auch Mieze Medusa und Yasmo überzeugten mit ihrer Spoken-Word-Performance. SPÖ-Chef Andreas Babler vermochte im Gespräch mit Rainer Krispel glaubhaft seine Affinität zu Sigi Maron zu belegen; Krispel wiederum führte mit Birgit Denk souverän und unterhaltsam durch den Abend.

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Eine ziemlicher Triumph, das Ganze. Das Haus war bis zum letzten Platz gefüllt; dass sich in den engen Sitzen des ehemaligen Kinos eine Veranstaltungslänge von fast drei Stunden ohne Pause als veritable, sagen wir, Herausforderung gestaltet, naja.

*Weibliche Form mitgemeint wie bei allen generischen Maskulina
**Faktisch war Maron Niederösterreicher, klang aber so sehr nach grundigem Wiener, dass er gemeinhin als solcher identifiziert wird

 

Er war ein überzeugter Roter: Sigi Maron mit den Rocksteady Allstars 2008 beim Volksstimmefest der KPÖ. © Manfred Werner - Tsui / Wikipedia

80 Jahre Sigi Maron. 5 Jahre Ibiza-Video. Maron hätte „so sind wir!" gesagt