Der große Individualist

Vor zwei Jahren ist Tom Verlaine gestorben. Wie sich die Bestürzung über seinen eher unerwarteten Tod gelegt hat, wird der Blick klarer auf die Grandezza seines Vermächtnisses. Eine Erinnerung an ein persönliches Gespräch im Februar 1993.

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11. Jänner 2025

Tom Verlaine im Februar 1993 in einem Café an der 8th Avenue in New York © Tamara Starl-Latour

Normalerweise stehe ich nicht so früh auf“, waren seine ersten Worte, als wir uns an einem Samstag im Februar 1993 bei rund -15 Grad (Celsius) Außentemperatur um vier Uhr Nachmittag in einem Café an der 8th Avenue in New York zum Interview trafen. Und Zeilen wie „it was noon at midnight“ oder „all afternoon gazing at the moon“ ergaben gleich einmal mehr Sinn.

Aufhänger für das Gespräch mit Tom Verlaine war das überraschende Comeback seiner Band Television, die sich mit ihrem ersten Longplayer auf einen Schlag den Status einer Punk-/Rock-Legende erspielt hatte und nach einem rasch nachgeschobenen, oft unterschätzten Nachfolger fast ebenso unvermittelt wieder verschwunden wie sie aufgetaucht war.

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Nach fast 15 Jahren hatten sich Television wiedervereinigt und eine dritte, unbetitelte LP eingespielt. Naturgemäß gut, aber den zwei originalen Television-LPs wie auch Verlaines besten Solo-Platten nicht ebenbürtig, bot das Album immerhin die Möglichkeit zur Gesprächsanbahnung mit einem der großen Individualisten und Singer/Songwriter des Rock.

Verlaine frühstückte Omelett ohne Zwiebel; zu reichlich Kaffee folgten in den nächsten zwei Stunden mindestens zehn Zigaretten. Rauchen sei, versicherte er, sein einziges nennenswertes Laster: nach eigenen Angaben war er „nicht verrückt auf Alkohol“; Drogen illegaler Art waren schon seit Jahrzehnten kein Thema mehr.
Ich habe Drogen genommen, als ich um 18, 19 war, später nicht mehr. Heute fände ich ausgesprochen schwierig, mit jemandem zu arbeiten, der auf Drogen ist.“

Tom Verlaine und sein bisweilen schwieriges Verhältnis zur Presse: „Zeitungen sollten statt Idioten besser geeignete Leute schicken.“ © Tamara Starl-Latour

Die Dauer des Interviews verrät, wie es – nach kleineren anfänglichen Anpassungsschwierigkeiten – gelaufen ist. Dabei stand Tom Verlaine, einer der intelligentesten Rock-Musiker, die mir je begegnet sind, im Ruf, ein schwieriger Gesprächspartner zu sein.

Möglich gewiss, dass Verlaines Naturell – ähnlich seiner Musik – etwas latent Ungnädiges innewohnte. „Idioten“ war ein recht häufig genutztes Substantiv in seinem Vokabular. Ziemlich sicher aber dürften Konflikte mit der Journaille primär durch deren Inkompetenz ausgelöst worden sein.

Einem Schreiberling, der offensichtlich seinen Werdegang überhaupt nicht kannte, empfahl er, die von der Plattenfirma verteilte Biographie zu lesen: „Er rief daraufhin die Plattenfirma an und sagte, ,Dieser Bastard hat keine meiner Fragen beantwortet!‘ Nun stellen sich Plattenfirmen in so einem Fall immer auf die Seite des Journalisten. Und ein Jahr später hörst du irgendeinen Sprecher der Company sagen, ,Verlaine ist wirklich schwierig zu interviewen!‘ Statt dass er sagt, die Zeitungen sollten statt solchen Idioten besser geeignete Leute schicken. Zu vergessen sind auch Magazine, wo der Chefredakteur jemanden schickt, der Bass in einer Punk-Band spielt und überhaupt kein Interesse an journalistischer Arbeit hat.“

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Ende 1949 als Thomas Miller in Wilmington, Delaware geboren und an der Grenze von Norden und Süden der USA in einer, wie er sagte, vorstädtischen und von Rednecks dominierten Gegend aufgewachsen, kam Verlaine Mitte der 60er Jahre nach New York. Sein Interesse für Literatur manifestierte sich zunächst in der Wahl seines Künstlernamens, den er wie Robert Zimmerman von einem Dichter, in seinem Fall dem symbolistischen französischen Lyriker Paul Verlaine (1844-1896), bezog. Um 1973 herum hatte er einmal einen kleinen Gedichtband gemacht, von dem er zum Zeitpunkt des Gesprächs bereits jede Spur verloren hatte. Später verwies eine Kurzgeschichte auf der Innenhülle seines Albums „Cover“ plus einer Ankündigung eines „work in progress“ mit dem Titel „41 Monologues“ auf nach wie vor existente literarische Ambitionen; vollendet hat er das angekündigte Projekt gleichwohl nie.

Zündende Metaphern

Was von seinem verbalen Geschick bleibt, sind Songtexte mit zündenden, bisweilen fast knalligen Metaphern, die meistens nicht eindeutig zu entschlüsseln sind. Auf dem monolitischen Television-Werk „Marquee Moon“ von 1977, mit dem sich Verlaine auf der einen Seite unkündbar im Pantheon der Rockmusik eingemietet hat, das andererseits insofern zur Belastung wurde, als alle nachfolgenden Arbeiten Verlaines daran gemessen oder dazu in Beziehung gesetzt wurden, fordert er oft kühn die Gesetze der Physik heraus: „Ich wachte auf und es war gestern“. Ein „boat made out of ocean“ wird gewünscht; ein Berg soll mit einem Sprung erobert werden. Dunkelheit verdoppelt sich, Blitze entzünden sich an sich selbst. Dass „die Welt so dünn zwischen meinen Knochen und meiner Haut“ war, könnte sich natürlich einfach auf die beinahe ungesund schlanke, wenn auch gut 1,90 Meter große Gestalt des Autors beziehen.

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Fast überirdisch (diesfalls überhöht) sind auch die romantischen Bilder, die Verlaine von – hier passt das Wort sogar wirklich – Angebeteten entwarf. Etwa: „The whole wide world was your medaillon / the stars like a necklace so bright“. Oder : „Like a golden gown the day on you, the day on you / like a golden crown the night is down, down on you.“
Man liegt vermutlich ziemlich daneben, solch entrücktes Schwelgen als Teil einer Verführung zu sehen. Diese Bilder bleiben als Betrachtungen für sich stehen, und wenn sie überhaupt etwas bezwecken, so ist es, Zeugnis abzulegen von der Brillanz ihres Autors. Sein lyrisches Subjekt indes scheut im Regelfall eine Affäre/Beziehung – wie der Wissenschaftler im herausragenden Song „The Scientist Writes A Letter“.

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Vor allem auf Verlaines späteren Alben treten oft Menschen in Dialog zueinander – aber nur selten offenbart sich dabei ein vernünftiger Sinn. Meist erwecken seine Figuren den Eindruck, neben ihren Schuhen zu stehen. „Sie scheinen in ihrer eigenen Welt zu leben, die für sie Sinn macht, nicht aber für Andere. Würde man sie besser kennenlernen, würde es nicht so irrational anmuten. So ist es schwer, nachzuvollziehen, was sie sagen, tun, durchmachen. Es ist manchmal Ironie dabei, aber ich betrachte sie mit Zuneigung. Keineswegs mache ich mich über sie lustig.“

Musikalisch sozialisiert mit Jazz

Von der musikalischen Prägung her gab es zunächst keine Direkt-Verbindung zur Rock-Musik. Tom hatte als Kind Klavier gelernt, später Saxofon gespielt und in den 50ern fast nur Jazz gehört. „Der einzige Rock & Roll, den ich mochte, waren Novelty Songs* wie ,Flyin‘ Saucers Rock’n’Roll‘, ,The Mummy‘, ,The Spiders From Hell‘ – diese seltsamen, lustigen Songs. Aber auch in den 60er Jahren erwischten mich erst die Kinks, weil die eine so heftige Rhythmusgitarre hatten, und die Yardbirds, deren Live-Platte ähnlich wild war wie es einige Jazz-Platten waren. Aber eigentlich spielte für mich Gitarrenmusik nie eine besondere Rolle – Klavier lernen und Saxophon spielen hat mich viel mehr geprägt. Das Saxophon ist ein viel ausdrucksstärkeres Instrument als die Gitarre. Ich hab´s hauptsächlich deswegen aufgegeben, weil ich nicht zur selben Zeit singen und Sax spielen konnte.“**

„Das Saxophon ist ein viel ausdrucksstärkeres Instrument als die Gitarre.“ (© Tamara Starl-Latour)

Es ist also eine gewisse Ironie der Geschichte, dass der „Gitarrengott“ der Generation nach Hendrix eigentlich nur aus pragmatischen Gründen überhaupt in die Saiten gegriffen hatte. Mit seinem Schulfreund Richard Hell (vulgo Meyers) gründete er Anfang der 70er Jahre eine Band, die sich zuerst Neon Boys und später Television nannte. Bald entstanden und wuchsen Spannungen zwischen Verlaine und dem exaltierten Hell, der immerhin die Punk-Ästhetik und zunächst auch das Repertoire von Television wesentlich mitkreiert hatte. Mitte der 70er Jahre eliminierte ihn Verlaine aus der Band, was Hell naturgemäß nicht sehr gut aufnahm.

Aber auch Verlaine hatte seine Gründe für Ressentiments: „Gelegentlich renne ich in jemanden, der mit Richard Platten gemacht hat. Die rollen alle mit den Augen und sagen, das machen sie nie wieder“, lachte er. „Er ist ein guter Schreiber – ich lese immer gerne, was er geschrieben hat. Aber er hat über die Jahre enorm viele üble Dinge über mich gesagt, daher rede ich im Allgemeinen nicht über ihn. Letztes Jahr habe auch ich böse Dinge über ihn gesagt, nur damit er mal erfährt, wie sich das anfühlt. Es wurde gedruckt und kam dumm rüber. Und viel mehr ist darüber nicht zu sagen.“

Ohne Hell entwickelten Television ihren rhythmisch strengen, eisig-eleganten, von Jazz-beeinflusstem Schlagzeug und versatilem Bass getragenen, die damals dominanten Blues- und Hardrock-Klischees nicht einmal ignorierenden Gitarrenstil – eine mit völlig konventionellen Mitteln generierte, urbane, angespannte, dynamische Musik, wie von Fließbändern und Energiemaschinen angetrieben.

Television setzten neue Maßstäbe im Umgang mit Gitarren, an denen sich später ihrerseits wegweisende Bands wie Sonic Youth orientierten. Zwar wandte Verlaine im Gespräch vorsichtig ein, dass sich Sonic Youth vielleicht schon als Antithese zu immerhin noch songorientierten Bands wie Television verstanden haben mochten, aber tiefe Respektbekundungen zu Verlaines Ableben bezeugen die Wertschätzung der SY-Akteure für einen, den sie als maßgeblichen Wegbereiter verehrten.

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Verschiedentlich ist die Musik von Television und des Solisten Verlaine als Kann-nur-in-New-York-passieren interpretiert worden – ein Mythos, den etwa Lou Reed bereitwillig bedient hat. Verlaine, der vor seiner Karriere mit Television ein kurzes Verhältnis mit Patti Smith hatte und auf deren Debüt-Album „Horses“ den Song „Break It Up“ mit kompositorischem Beitrag und Gitarrensolo bereicherte, verwehrte sich hingegen nachdrücklich gegen eine solche Deutung, hatte er doch drei Jahre (84 – 87) in London gelebt, ein paar Wochen in Paris und auch einige Zeit in Schweden verbracht.

Dabei änderte sich fallweise übrigens auch seine nocturne Arbeitsroutine. In New York stand Verlaine, eingestandenermaßen kein Familienmensch, üblicherweise am späten Nachmittag auf, kam gegen vier Uhr früh ordentlich auf Betriebstemperatur und ging gegen sieben Uhr ins Bett. „Als ich aber in Europa lebte, bin ich meist gegen elf Uhr aufgestanden, habe oft den ganzen Nachmittag gearbeitet und ging um ein oder zwei Uhr nachts schlafen. Es war eine neue, eine recht frische Erfahrung für mich. Vielleicht schreibt man dann etwas leichtmütigere Songs – ich weiß es nicht.“

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Immerhin entstand hier ein beträchtlicher Teil des Albums „Cover“ von 1984, der ersten klar als nicht „depressiv“ erkennbaren Verlaine-LP. Davor hatten die Alben „Tom Verlaine“ (1979), das schneidende „Dreamtime“ von 1981 und das zwischen getragener Ballade, Rap-Adaption, elektronischem Groove im Schlagabtausch mit semiakustischer Gitarre und Saxophon sowie Rock in verschiedenen Formen von zerfasert bis seriell mäandernde „Words From The Front“ (1982) in eher düsteren Farben gestrahlt.

„Cover“ war eine Platte, der der Künstler selbst einen hohen Stellenwert einräumte, während die Rezensionen teilweise reserviert ausfielen. Gleiches gilt auch für das Album „The Wonder“ von 1990 (das sich schon allein wegen des bitteren „Pillow“ lohnt). Diese beiden Platten haben übrigens auch gemeinsam, dass auf ihnen die Gitarren deutlich zurückgenommener sind als auf anderen Verlaine-Werken.

Als er in Euorpa lebte, stand Verlaine früher auf und ging früher schlafen als „zuhause“ in New York. „Vielleicht schreibt man dann leichtmütigere Songs – ich weiß es nicht.“ © Tamara Starl-Latour

„The Wonder“ war Verlaines erfolgreichstem und von der Kritik bejubelten Solo-Album „Flash Light“ von 1987 gefolgt. Trotz seiner vermeintlich günstigen Vorgeschichte hatte Verlaine den Eindruck, die Plattenfirma Phonogram rühre keinen Finger für dessen Promotion.

Eine skurrile Auseinandersetzung Verlaines mit seinem – wie sich herausstellte: mental kranken – A&R***-Mann hatte zur Folge, dass es, bereits Ende 1987 aufgenommen, zweieinhalb Jahre auf Eis lag.

Der A&R-Mann sagte mir, ,ich werde diese Platte nicht rausbringen‘“, erzählte Verlaine mit witziger stimmlicher Nachahmung seines „Künstlerbetreuers“. „Dann rief er mich an und zählte auf, ,dieser Song hier geht, dieser geht auch, aber der geht überhaupt nicht, der auch auch nicht.‘ Ich sagte ihm, ,gut, ich habe noch drei Songs, ich werde sie aufnehmen und schicken.‘ Er sagte, ,Gut!‘ Danach habe ich nichts mehr gehört.“

So war der Musiker überrascht, als er einen Anruf von Phonogramm erhielt und gefragt wurde, ob er nicht für ein paar Pressetermine nach Europa kommen wollte. „Ich fragte, ,Wofür?‘, und sie sagten, ,Nun, deine Platte kommt nächsten Monat raus‘. Ich sagte, ,Ich habe sie nie gehört!‘ Die Pressefrau fragte ungläubig, ,Was, du hast deine eigene Platte nicht gehört?‘ Ich sagte ,Nein, ich habe sie dem A&R-Typen vor einem Jahr abgeliefert und seither nichts gehört‘. Sie war furchtbar peinlich berührt und schrie den A&R-Mann an: ,Dir ist bewusst, dass der Mann hier ein Jahr herumgesessen ist und du hast es nicht der Mühe wert gefunden, ihm ein Tape zu schicken?‘ Da sagte er, ,Das ist nicht wahr, ich habe ihn angerufen, aber er hat sich geweigert, mit mir zu reden.‘ Das war die Art von Lügen, die dieser Typ immer wieder verbreitet hat. Die Pressefrau sandte mir sofort ein Tape. Aber dann verschoben sie auch noch die Veröffentlichung. Ich war richtig erstaunt, dass es letztlich doch herauskam. Ich bin allerdings unglücklich mit dem Mix. Ich würde ihn ändern, wenn ich je die Gelegenheit dazu bekäme.

Der Schock eines Rückkehrers

Tom Verlaine war kein prononciert politischer Songwriter. Man kann in einzelne Songs, etwa „Kingdom Come“, das David Bowie gecovert und dabei die einsame Eindringlichkeit des Originals um Längen verfehlt hat, „Politisches“ hineininterpretieren, aber sehr deutlich stand es nicht auf Verlaines Agenda, in diesem Sinn Propaganda zu betreiben. Das hieß allerdings nicht, dass er das politische Geschehen in den USA teilnahmslos verfolgte.

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Die Jahre von Reagan und Bush (Sen., Anm.) waren ein Horror. Ich lebte in Europa und hatte keine Ahnung, was sich da entwickelte. Da war ein Plattenladen, wo ich Platten um 99 Cent eingekauft habe; tausende Platten mit keiner bestimmten Richtung – Beethoven fand sich da neben George Jones. Als ich zurückkam, war statt dem Plattengeschäft hier eine chice Bar. Davor Obdachlose, von denen man immer mehr auf der Straße sah. Ich hatte da noch keine Ahnung, dass das alles mit Reagan zu tun hatte. Ich habe Wochen damit verbracht, die Auswirkungen von Reagan zu studieren. Es war richtig krank, wie viele Leute den Typen gewählt haben, wie sie diesem vermeintlich großväterlichen Schwachkopf verfallen waren. Es ist krank, wie ungebildet Amerikaner sind und auf alles hereinfallen, was ihnen im Fernsehen gesagt wird. Wie sich da Leute in dummen Shows produzieren, die in Europa höchstens in einer Dokumentation über Psychos vorkämen.

Nun ja, das war wie gesagt 1993. Nicht nur Tom Verlaine konnte sich damals nicht vorstellen, dass noch viel üblere Typen als Ronald Reagan und George Bush sen. ins Weiße Haus ziehen würden und sich Europa überschlagen würde, um nur ja schnell jede Blödheit aus den USA nachzuäffen.

Rückzug auf Raten

Das Comeback von Television verlief sich zu dem, was die Wirtschaftssprache „Liebhaberei“ nennt: Es gab noch gelegentliche Auftritte und kurze Tourneen; aber keine großen Aktivitäten, geschweige denn Kampagnen mehr. Ein viertes Television-Album blieb, wiewohl 2013 sogar schon vom „Rolling Stone“ annonciert, ein Gerücht.

Verlaines Figuren scheinen oft neben ihren Schuhen zu stehen. „Sie scheinen in ihrer eigenen Welt zu leben, die für sie Sinn macht, nicht aber für Andere. Würde man sie besser kennenlernen, würde es nicht so irrational anmuten.“ © Tamara Starl-Latour

Von Tom Verlaine erschienen 2006 simultan zwei letzte Alben: Eines, das instrumentale „Around“, führte seine Verwurzelung im Jazz vor; das andere, „Songs And Other Things“ präsentiert ihn noch einmal als Singer/Songwriter. Entspannt, lässig, selbstbewusst, stilistisch vielfältig (und übrigens nicht unsexy) in Szene gesetzt zwischen gleitendem Rock, Funk und bisweilen fast ans Chanson anstreifender Ballade, ist es definitiv ein Alterswerk – nur ohne irgendeinen Anhauch jener Beschaulichkeit, die mit diesem Begriff beinahe reflexhaft assoziiert wird.

In seinen letzten Jahren konnte man Tom Verlaine Stunden vor der Buchhandlung Strand (am unteren Broadway, Höhe 12th Street) zubringen sehen, wie sich durch obskure Raritäten wühlte, ein Schwätzchen mit Sonic Youths Thurston Moore hielt und natürlich immer mal wieder rauchte. An der Pflege seiner Legende hatte er null Interesse, auch Interviewanfragen ignorierte er schon lange.
Am 28. Jänner 2023 starb Tom Verlaine in New York nach, wie es offiziell hieß, kurzer Krankheit. Laut Wikipedia, die sich wiederum auf Verlaines Gitarren-Partner bei Television, Richard Lloyd, beruft, war ein metastierender Prostatakrebs die Todesursache. Er wurde 73 Jahre alt; sein künstlerisches Vermächtnis aber wird ihn lange überleben.

 

*Stücke mit Nonsens-Themen und meist auch entsprechender musikalischer Form

**Patti Smith begründet in ihrem vielzitierten und -gerühmten Nachruf im New Yorker Verlaines Rückzug vom Saxophon damit, dass er sich beim Hockey-Spielen einen Zahn ausgeschlagen hatte


***Artist&Repertoire-Manager entscheiden, welche Künstler unter Vertrag genommen werden und sind für ihre Betreuung zuständig

Tom Verlaine im Februar 1993 in einem Café an der 8th Avenue in New York © Tamara Starl-Latour

Mit völlig konventionellen Mitteln generierte Tom Verlaine mit Televison eine wie von Fließbändern und Energiemaschinen angetriebene urbane, angespannte Musik