Der Rest ist Schwelgen

Gutes aus Österreichs letzter Halbjahresproduktion, Teil 2: Vom Gitarren-Rock und Punk über Electronica und Industrial bis zum sentimentalen Soundtrack für echte wie auch imaginäre Filme.

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25. April 2025

Ein grosses, cinomatographisches Stück Pop liefern Ronia & Thelema mit „Salty Water“ (Seayou Rec.)

Geheimtipp wäre schon weit untertrieben: Lissabon ist eine Art Sehnsuchtsort von Musikern. Noah Lennox, der Panda Bear des Animal Collective, lebt hier seit Jahrzehnten, die Walkmen haben, basierend auf überwältigenden Tour-Eindrücken, eine ihrer besten LPs „Lisbon“ genannt, und alle schwärmen von der „Weißen Stadt“. Der Faszination der Künstler folgt Gewehr bei Fuß die Immigration durch Reiche und Geschäftemacher; Mieten steigen, die Lebenskosten natürlich auch, einkommensschwächere Bevölkerungsteile werden verdrängt – das ganze Programm, bekannt als Gentrifizierung, nimmt seinen Lauf.

Diesem Drama trägt die Wienerin Nora Blöchl, die selbst zwei Jahre in Lissabon verbracht hat, unter ihrem Moniker Elastic Skies in der Single „Collapsing Places“ (Feber Wolle) inhaltlich Rechnung – musikalisch verpackt in einen schön fließenden Darkwave-Track mit dystopischen Noise-Schüben.

Sorgen um Lissabon: Nora Blöchl alias Elastic Skies (© Vivian Bausch)

Was ein paar stilistische Determinanten – den flotten Rhythmus und lärmige Auszackungen – angeht, ist „mondsong“ (Ink Music) von der ebenfalls aus Wien stammenden Künstlerin RAHEL gar nicht einmal soweit – sicher nicht Welten, geschweige denn Planeten – von den „Collapsing Places“ entfernt. Aber der „mondsong“ rockt mit lakonischen Gitarren, und obwohl RAHEL von einer schlaflosen Nacht singt und an einer Stelle Sehnsucht bekundet, „ein bisschen zu weinen“, hat ihr Vortrag (in Denglisch) mit hoher, kieksender Stimme etwas Aufgekratztes, beinahe Übermütiges.

Endless Wellness haben sich die Latte mit ihrem letztjährigem Debütalbum „Was Für Ein Glück“ hoch gelegt. Vermutlich liegt´s daran, dass ihre hämmernde Single „Die Guten Jahre“ zunächst … nicht wirklich begeistert. Nicht entmutigen lassen, der Punk-ähnliche Kracher mit besinnlichen Zwischentönen wächst mit jedem Durchgang: „Ach hätten wir gewusst / dass da ein Herz schlägt in unserer Brust / das wie ein Presslufthammer zum Stillstand kommen muss“.

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Konventioneller (gitarrengetriebener, melodischer) Mainstream-Rock wird in der Wiener Szene durchaus noch gepflegt, wie „What I´m Missing“ vom Frauen-Trio Lou Pa (Blank Spot Records)und das rhythmisch etwas vertracktere „Rules“ (messybutnice) vom ebenfalls rein weiblichen Duo Glut belegen.

Von jugendlichem Leichtsinn in Form von Ungestüm, unheiliger Bierlaune und noch ungeschliffenem Punk-Spirit zeugt „AMS“ vom Linzer Quartett ZAK! (Problembär Rec.).

Die Trompete macht den Ton

Auch Jeanny ist eine musikalische Sozialisation durch Punk noch anzuhören, aber die Band hat sich mit Indie-Gitarren, insbesondere aber mit einer prägnanten Trompete in eine interessante Richtung (Aeronauten!) weiterentwickelt, wovon ihre inhaltlich selbstreflexiven und stellenweise -quälerischen Songs „Vielleicht Beginn Ich Dann Zu Fühlen“ und „Hauptsache Selbst“ (Problembär Rec.) Zeugnis ablegen.

Einmal mehr gnadenlos gut sind die Laundromat Chicks. Das ultrabeschwingte, mit einer grandios lässigen und unaufgeregt intonierten Melodie geadelte „Secrets“ (Siluh Rec.) mag sich an noch so vielen Ahnen des Indie-Gitarren-Pop-Songs von den Byrds über die (von den Byrds abkupfernden) frühen R.E.M. bis zu Belle & Sebastian anlehnen – es ist und bleibt einfach Weltklasse.

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2017 hat sich eine Gruppe von Musikschaffenden und Kulturarbeitern unter dem Namen „Teil des linken Musiker*innenrat Netzwerks“ zusammengefunden. Neben Demobesuchen und Workshops veranstaltet das Netzwerk auch musikalische Feste mit dem Titel SIGNALE. Zwei haben deren schon (2018 & 19) stattgefunden, ein weiteres steigt am 8. Mai – dem Tag der Befreiung vom Nazi-Terror – im Flex Café.

Mit dabei Vereter, den man an dieser Stelle nicht mehr vorstellen muss, die eigenwillige junge Frauen-Band Zum Scheitern Verurteilt und das Duo Laut Fragen, das wie andere Acts aus dieser Auflistung in diesem Portal schon einmal gewürdigt worden ist.

Ungemütlich, kontrastreich

Laut Fragen – Didi Disko und Maren Rahmann – haben eine neue Mini-EP mit drei Songs (Numavi Rec.) herausgescheibt, die zu durchwegs tollen Inhalten ihre musikalische Reichweite demonstrieren. Der Titelsong „Ich weiß es nicht“ – das denkbar einfache und für Omniszienz-Anmaßer doch schier unmögliche Bekenntnis – hämmert im Stil der Electric Body Music. „Nebelgranaten“, das von Desinformation durch Ablenkung handelt, kombiniert über einem Hybrid aus technoidem Rhythmus und ornamentalen orientalischen Einflüssen Rap und wütend/ratlos/verzweifeltes Schreien („Wo bin ich?“). „In der Echokammer“ – dort, wo sich Verschwörungsphantasten zur gegenseitigen Bestätigung treffen – schiebt eine elektronische Welle, anfangs unterstützt von einem fast impressionistischen Piano, eine Reihe von Slogans vor sich her: „Lüge ist die neue Wahrheit, Krieg ist der neue Frieden, Liebe ist der neue Hass“.

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Culk, deren Sängerin Sophie Löw gerade eine zweite, einmal mehr formidable Solo-Arbeit als Sophia Blenda  abgeliefert hat, haben sich letztes Jahr mit dem angesagten Wiener Musiker und Produzenten Wolfgang Lehmann zusammengetan. Schon im Sommer ist dabei die hübsche countryeske Single „Come Home“ herausgekommen. „Nail Studio“ (Siluh Rec.) aus dem November ´24 kommt indes mit seinem musikalischen Industrial-Design dem vertrauten Culk-Sound näher. Der Text ist ein sehr effektives Misstrauensvotum gegen Männer, unter deren woker Schale alte Denk- und Verhaltensmuster wuchern.

Berglind, das deutschsprachige Melancholie-Dream-Pop-Projekt von Giovanna Fartacek und ihrem Bruder Mario (mit dem sie auch das Electro-Pop-Duo Mynth betreibt), hat eine weitere Single in den Äther geschickt: „Dreck dieser Welt“ (Morinoko) ist ein latent angespanntes Stück Electro-Pop mit hier eher rudimentären Rock-Einsprengseln und einem treffenden Text über Reizüberflutung, sei die nun durch Überkonsum sozialer Medien oder globalen Krisen-Overkill hervorgerufen.

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Mit dem Album „waltz in“, dessen 12 Songs komplett im Dreiviertel-Takt gehalten waren, hat die in Graz aufgewachsene und in Wien lebende Künstlerin Ronja Klug aka Ronia vor ein paar Jahren ein bemerkenswertes Debüt gegeben.
Für ihre neuen Arbeiten hat sie sich mit dem österreichischen Komponisten Thelema zusammengetan, mit dem sie den Hang zu Minimalismus und eine Liebe zu Filmmusik teilt. So kommt es zu einer recht ungewöhnlichen Cover-Version: Ronia & Thelema interpretieren das Titellied des Filmes „Die Dinge des Lebens“, in dem Romy Schneider und Michel Piccoli die Hauptrollen spielen und für den sie das Duett „La chanson d’Hélène“ (1970) gesungen haben. An der deutschen Fassung, die Schneider auch aufgenommen hat, orientiert sich, unglaublich stilecht und vor Sentiment zerfließend, die Version von Ronia & Thelema Seayou Records).

Mit „Salty Water“ demonstrieren die beiden indes eindrucksvoll, dass sie Schwelgen in Gefühligkeit auch mit einem Original können: ebenfalls klavierbasiert, von Ronia superb gesungen und untermalt mit cinematograhischen Klängen wie Meeresrauschen, Kinderlachen – und dem Klappern einer Schreibmaschine, die einerseits das hastige Festhalten von Gedanken symbolisiert, andererseits auch perkussive Funktion übernimmt. Da geht es schon nahe Richtung Musique concrète.

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Ein dritter Ösi-Rundumschlag wird noch kommen und in Bälde geliefert.

 

 

 

Ein grosses, cinomatographisches Stück Pop liefern Ronia & Thelema mit „Salty Water“ (Seayou Rec.)