Die Rückkehr des Billy Joel . . .

. . . und weitere bemerkenswerte Songs aus dem ersten Quartal 2024, u.a. von Beyoncé, The Vaccines und Christl

Von
8. April 2024
Mixtape

Billy Joel: Turn The Lights Back On (Columbia Records)

Manche meinten gar, es sei der allererste Song nach 31 Jahren, den Billy Joel heuer im Februar veröffentlichte (und bei den Grammys live präsentierte). Aber nein, 2007 war das Liedchen „Christmas in Fallujah“ erschienen, sodass also „nur“ 17 Jahre seit dem letzten Song-Lebenszeichen des Pianoman vergangen sind (der freilich die gesamte Zeit über, in fast regelmäßigen Monatsabständen, seine legendären Madison-Square-Garden-Konzerte fortgeführt hat, halt ausschließlich mit altem Material).

Nun also ist „Turn the Lights Back On” auf der Welt, entstanden auf nahezu märchenhafte Weise, indem der mit 37 Jahren vergleichsweise junge Songwriter und Produzent Freddy Wexler den widerwilligen, im Mai 75 werdenden New Yorker Sänger und Pianisten zu diesem, von ihm, also Wexler, mitgeschriebenen Song buchstäblich überredete. (Die gesamte Geschichte dieses nicht unkomplizierten, dafür bisweilen berührenden Prozesses ist in der amerikanischen Ausgabe des „Rolling Stone“ detailliert nachlesbar.)

Und, o Wunder, „Turn the Lights …“, klingt wie ein altbekannter Billy-Joel-Song: mit wuchtigem Klavier, fast jugendhaftem Timbre – und breitem Streicher-Pathos im Abgang. Auch wenn es darin vordergründig um ein Paar geht, das alte romantische Zeiten heraufbeschwört, sind die Zeilen im tieferen Wesenskern wohl mehr auf des Sängers eigenes Schicksal und seine nunmehrige Wiederkehr bezogen: „But I’m here right now / And I’m trying to find the magic / That we lost somehow / Maybe I was blind / But I see you now.” Und wir wiederum sehen den guten & gut erhaltenen, leicht rundlichen Mann im dazugehörigen Video gleich in vierfacher Ausfertigung, somit auch in schlankerer Version, da er nämlich alternierend in vier verschiedenen Lebensjahrzehnten erscheint – dank im Übermaß eingesetzter KI. Den nächsten Song (oder gleich ein ganzes Album?) schreibt diese dann vielleicht bereits zur Gänze selbst.

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Nur ja keine weitere Klavierballade wollte der britische Sänger und Songwriter Tom Odell veröffentlichen. Mit einer solchen, nämlich „Another Love“, war er 2013 weltberühmt geworden (und lieferte 2022 ein im Bukarester Bahnhof eingespieltes Remake, als Ermunterung für den ukrainischen Widerstand). „Black Friday“, Eingangssong seines neuen, ebenfalls so betitelten Albums, beginnt folglich mit schüchternen akustischen Gitarren, bevor die hohe, vor Rührung stets leicht vibrierende Stimme des Südengländers erklingt, die sich – von Streichern tatkräftig unterstützt – rasch in ein Furioso steigert, dem man – ist man zumindest halbzart besaitet – kaum widerstehen kann, derart eindringlich zieht einen der blonde Sänger in seinen hymnischen Freitagsfrust hinein. O yes, I like Fridays, wenn sie nur derart solemn beklagt werden.

Streaming-No 

Vom „Black Friday“ weiter zu einer „Bad Idea“, die trotz negativer Konnotation ebenfalls die Laune zu heben vermag. Das liegt einerseits an der sonoren Stimme der amerikanischen Sängerin Vera Soler, andererseits an der diese in einen weiten Klangraum einbettenden Instrumentierung (mit Banjo, Fiddle & Trompeten), womit Solers zweites Album, „Peacemaker“, anspielungsreich eröffnet wird. Eine bad idea ist es allerdings, jedenfalls nach Einschätzung der 1989 als Danielle Akroyd in L. A. geborenen Musikerin (übrigens als Tochter des Filmschauspielers Dan Akroyd – „Blues Brothers“, „Ghostbusters“!), diesen Song einzeln aus dem Album herauszulösen, da dieses – wie sie in einem Interview vehement vertrat – nicht für Streaming gemacht & gedacht sei, sondern in einem Stück durchgängig gehört gehörte. Gut, wer dieser Aufforderung zu gehorchen gewillt ist, möge den Song als Einstieg ins Ganze nehmen, andere zumindest als pars pro toto (denn es folgen ähnlich geartete Songs in halbdunkler Atmosphäre).

Cowboy-Hütchen

Ganz gewiss fürs Streaming gemacht (und gedacht) ist so gut wie jeder Song von Beyoncé, so auch „16 Carriages“, neben „Texas, Hold’ Em“ die zweite Vorveröffentlichung aus dem Ende März erschienenen Album „Cowboy Carter“, das mit 27 Songs ausgiebig von der wohl nur vorübergehenden Hinwendung des US-Superstars zur Country-Szene kündet. Mir gefällt „16 Carriages“ am besten, da dieser schwungvolle, wortreiche, in mehrstimmige Choräle ausreitende Song weniger Spezifika des traditionellen Genres aufweist (als etwa der deutlicher im Country-Gezupf-Heartland platzierte Texas-Song), sich quasi nur ein kleines Cowboy-Hütchen aufsetzt. Neben der inzwischen vielfach diskutierten Frage einer etwaigen kulturellen Aneignung (und ob Country nicht auch schwarze Wurzeln hat) erscheint mir ein anderer Aspekt bisher unterbelichtet: Nämlich ob die Hinwendung zum stilisiert Ländlichen nicht, neben erwartbar kommerziellem Kalkül, auch ein augenzwinkerndes Signal im Duell der beiden rezenten US-Superstars ist! Kann es wirklich Zufall sein, dass sich Beyoncé, unumstrittene Regentin im R’n’B-Gewerbe, nun ausgerechnet jenem Genre zuwendet, aus dem Taylor Swift einst aus- und in lichte Höhen emporstieg? Mrs. Knowles erobert dieses Terrain mit 16 Wagen (und 27 Songs) nunmehr jedenfalls sehr erdnahe und im Sturm.

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In ganz anderen Regionen, jedenfalls weit abseits derart populärer Höhenkämme, bewegt sich die die britische Singer/Songwriterin Marika Hackman. Ihr gediegener Folk-Pop eignet mit jedem Schritt (= Album) sich noch mehr sich selbst und den eigenen Vorgaben an, indem er konzis-kluge Ansichten aus dem eigenen Leben (in dem Hackman u.a. einst Model für Burberry-Moden war) preisgibt. Aus „Big Sigh“ (kein Grund zum Seufzen!), ihrem fünften Album, ragt besonders der Song „Slime“ heraus, der zwar durchaus schlüpfrig angelegt ist („Climb me like a peach tree …“), aber dank federnden Pop-Schritts (bitte nicht ohne Bindestrich!) mehr flutscht als (aus)rutscht …

Olympia & Lorbeeren

In flotterer, direkterer Gangart kommt musikalisch wie inhaltlich „Say It Like You Mean It“ daher, das eingängigste, poppigste Stück des neuen, insgesamt elften Albums („Little Rope“) der zum Duo geschrumpften US-Altvorderinnen Sleater-Kinney. Das aus Olympia (Washington) stammende einstige Frauentrio (Drummerin Janet Weiss ist mittlerweile ausgestiegen) strebt weder nach kunstvoll Höherem noch nach ästhetischem Pop-Lorbeer, liefert dafür mit verlässlicher Ausdauer stampfend-kratzbürstigen Rock. Well done.

Ganz am Anfang (ihrer Karriere) steht hingegen die englische Frauen-Combo The Last Dinner Party, die mit vielen Vorschuss-Lorbeeren (da passt das ehrenwerte Kraut!) und großem Brimborium (u.a. im Live-Vorprogramm der Stones im vergangenen Jahr!) gestartet ist. Das raffiniert und barock inszenierte Quintett klingt neben all dem etwas dick aufgetragenen Art- und Glampop vor allem nach – Abba. Man höre nach der Erfolgssingle „Nothing Matters“ (die schon 2023 in Dauerrotation lief) „Sinners“ vom süffig „Prelude To Ecstasy“ betitelten Debütalbum. In beiden Songs klingt zumindest der Prolog, also die Prelude, unüberhörbar nach Agnetha & Anni-Frid! Danach übernehmen, was Rhythmus und Tempo anbelangt, eher die Sparks das zackige Kommando …

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Nachdem in post-pandemischen Zeiten das Impf-Thema zuletzt an brennender Aktualität verloren hat, ist 2024 kein schlechter Zeitpunkt für die Rückkehr von The Vaccines in die musikalische Hausapotheke. Mit neuen Medikationen hält sich die umbesetzte Britpop-Band rund um Sänger Justin Young freilich nicht lange auf – und liefert mit „Heartbreak Kid“ (vom neuen Album, „Pick-Up Full Of Pink Carnations“) die übliche flotte Drei-Minuten-Dosis, die umweglos in den Blutkreislauf schießt. Abträgliche Nebenwirkungen und Folgeerscheinungen sind eher nicht zu befürchten.

Hängematte & Stimm-Power

Auch das Stuttgarter Duo BRTHR, dessen Verwandtschaftsgrad nicht ganz so direkt ist, wie der zusammengestauchte Namen vermuten ließe (Philipp Eißler & Joscha Brettschneider sind allenfalls seelenverwandt), hält am bereits mehrere Alben lang Bewährten fest: einem höchst entspannten, vor allem an den unvergessenen J.J. Cale erinnernden lazy sound, der einem sogleich Ausschau nach der nächsten Hängematte halten lässt. Auch Soul-Partikel sind in die ausbalancierten Midtempo-Songs eingewoben, wofür „Holding On So Thight“ vom neuen Album („Brother“, diesmal ausgeschrieben, so viel Zeit muss sein!) exemplarisch steht (und nicht fällt).

Und was kommt aus Österreich? Heuer erfreulich viel, wovon in angrenzenden (Album-)Besprechungen auf dieser Plattform ausgiebig die Rede/Schreibe ist. An dieser Stelle sei in erster Linie auf die großartige Christl hingewiesen, deren Debütalbum „Green Blue Violet / Grün Blau Violett“ musikalisch vielleicht etwas zu sehr im Schatten des darin überdeutlich verhandelten Gewaltthemas steht. Gleich der Eingangssong „XX“ zeigt, mit welch stimmlicher Kraft, aber auch sanfter Grazie die 20-jährige Musikerin und Bildende Künstlerin ausgestattet ist, die mit Songwriterin Lylit (Eva Klampfer) und Produzenten Andreas Lettner (5K HD) auch auf bestens qualifizierte heimische Mitstreiterinnen setzt.

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Bernhard Eder war mir bisher oft zu tranig. Auf seinem neuen Album, „Golden Days“, hat sich an der düsteren Grundstimmung der Texte zwar wenig geändert („Hello darkness, I am lost at home…“, heißt es in „Along Alone“ eingangs), aber der musikalische Ton des oberösterreichischen Singer/Songwriters ist reifer, gefälliger und pastöser als früher, schillert in mehr Farbnuancen (auch wenn diese nicht ans grellere Spektrum der Christl heranreichen). Von diesem wunderbar stimmigen Song lässt man sich trotz aller reminiszierenden Lockdown-Dunkelfärberei die Laune jedenfalls nicht verderben.

Wirbelwind & „Nackapatzi“

Und schon gar nicht verdirbt einem die „Hand im Gesicht“ die Laune. Dieser Song von Endless Wellness ist und bleibt der Höhepunkt des ersten Vierteljahres. Was für ein kurioses Lied, das einem in gehetzter Schnöseligkeit das Altwiener Wunderwort „Nackapatzi“ nicht nur in Erinnerung ruft, sondern auch noch – schamlos auf „Spatzi“ gereimt – um die Ohren haut! Damit nicht genug, denn auch davor und danach springen einen irrwitzige Zeilen von überall her an, wie aus einer Botanisiertrommel hypermanischer Kreativität geschleudert. Und man hält sich an der stimmlich langgezogenen Sentenz „Und in der ,Psychologie Heute‘ haben’s erzählt…“ wie an einem Rettungsanker fest. Und bekommt dann nicht nur diese Passage nicht mehr aus dem Kopf. Ein Wirbelwind von einem Song. Grandios.

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