Dreiklang mit Brille

Dem holländischen Musiker Blaudzun fällt auf seinem neuen Album „Latter Days“ leider nicht viel Neues ein – Protokoll einer Enttäuschung.

Von
17. Oktober 2024

Johannes Sigmond alias Blaudzun © Tony Dočekal

Es war vor zehn Jahren, im Frühjahr 2014, als ich im Kölner Stadtgarten (dem Veranstaltungslokal, nicht im Park) einer Band ansichtig und – im mehr wörtlichen denn übertragenen Sinne – hörig wurde, von deren Existenz ich bis dahin nichts gewusst hatte: Blaudzun aus den Niederlanden. Da standen damals fast zehn Leute auf der Bühne, rund um einen Sänger mit dicker, massiv gerahmter Brille gruppiert, und legten in & mit einem Furioso los, wie ich es bis dato allenfalls bei Arcade Fire in solch energetischer Stringenz gehört hatte. Zwei Stunden Power- und Überwältigungs-Pop, der – auch wenn man, so wie ich, keinen Song davor je gehört hatte (sie stammten zum Großteil vom damals gerade veröffentlichten Album „Promises of No Man’s Land“) – sofort verfing und elektrisierte.

Als ich die Band, die mehr einem Kollektiv ähnelte, einige Wochen später im Wiener Chelsea nochmals sah & hörte (dort, im engen Gewölbe des Gürtellokals, mussten sich die vielen Musiker ordentlich zusammendrängen, um alle Platz zu finden), war der Eindruck schon nicht mehr ganz so explosiv wie bei der Erstbegegnung in Köln (wo auch die frenetische Stimmung im Saal viel zum euphorischen Gesamteindruck beigetragen hatte). Und in weiterer Folge hatte ich – obwohl einige weitere LP’s herauskamen – die Holländer bald wieder vergessen.

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Heuer im Sommer spitzte ich allerdings die Ohren, als erste Vorboten eines weiteren Albums von Blaudzun erschienen, darunter die Single „Bonfire“. Und da war er plötzlich wieder, dieser druckvoll-hymnische Sound, mehr heilsam als unheilvoll aufgedonnert, gnadenlos vorwärts drängend und mit einem catchy Kurzrefrain versehen, der einem nicht & nicht aus dem Kopf gehen wollte. Umso gespannter war ich, wie sich das komplette neue Album, „Latter Days“, anhören würde – und ging in dementsprechende Erwartungshaltung.

Blaudzun: Latter Days (pop-up Records)

Aber, o weh, welch’ Enttäuschung: „Bonfire“ ist das einzige musikalisch lodernde (Lager-)Feuer von insgesamt elf Songs, die fast alle – einmal angehört – rasch zu Asche zerfallen. Johannes Sigmond, unter dessen Aliasname Blaudzun (übrigens nach einem dänischen Radrennfahrer benannt) das Projekt mit wechselnden Musikern läuft, ist diesmal leider nicht viel (Neues) eingefallen: Alles klingt irgendwie ähnlich, nach ziemlich hohlem Pathos – und ist mit den stets naheliegendsten harmonischen Lösungen versehen, sodass keinerlei Überraschungseffekte eintreten. In besseren Fällen („Shades“) wirkt das, mit stampfenden Bass-Synthis aufgepimpt, wie Depeche Mode für Arme, aber zumeist macht sich schon nach wenigen Takten (auch die Tempi variieren kaum) Fadesse breit, wenn die ein oder zwei sogleich erkennbaren Dreiklang-Motive im melodischen Gleichschritt dahinmarschieren (wie etwa bei „Faint Of Heart“).

Schluss- und Tiefpunkt ist „Summer Song“, in dem ein rührend schönfärberischer Pressetext Anklänge an R.E.M. und den Bowie der 80er Jahre entdecken will, wir hingegen nicht viel mehr als ein zeitloses Schlagermotiv ausmachen können. Nein, so wollen wir den Sommer lieber nicht in Erinnerung behalten. Aber uns, und da zwinkern wir dem fälschlichen Herrn Blaudzun aufmunternd durchs dicke Brillenglas zu, bleibt ja immer noch Köln . . .

Johannes Sigmond alias Blaudzun © Tony Dočekal

„Bonfire“ ist das einzige musikalisch lodernde (Lager-)Feuer von insgesamt elf Songs, die fast alle – einmal angehört – rasch zu Asche zerfallen