Dystopien, sonisch verschleiert
Ein nicht allzu optimistisches, musikalisch eingedämpftes Bild unser Zeit zeichnet John Cale auf seinem neuen Album „POPtical Illusion“.
John Cale hat es noch nie geschafft, eine richtig schwache Platte zu machen. Mit „M:Fans“, einer elektronisch auffrisierten Neudeutung seines großen Klassikers „Music For A New Society“ von 1982, ist er dem Unvorstellbaren zumindest nahegekommen, aber richtig abzusaufen hat er selbst in dieser quasi-dekonstruistischen Soße nicht vermocht.
Und natürlich ist auch sein 18. Longplayer unter eigenem Namen alles andere als schlecht. Genauso wenig allerdings wie sein Vorgänger, „Mercy“, ist „POPtical Illusion“ zu Cales besseren Werken zu zählen.
Wie „Mercy“ setzt „POPtical Illusion“ stark auf Samples und Synthies – im Gegensatz zu diesem allerdings gefällt es sich nicht mit einem Auflauf von einschlägigen Gaststars wie Animal Collective, Weyes Blood, Sylvan Esso oder Actress, sondern begnügt sich mit zwei Begleitern (Dustin Boyer, Gitarre, und Nita Scott, Programming, Samples, Keyboards, Noises, Drums).
Das Klangbild ist indes neuerlich eigentümlich… verwischt. Ein nicht übertrieben dichter, aber wahrnehmbarer Schleier bremst Cales Vortrag auf dem Weg zum Hörer. Und das unterminiert des Walisers ureigenste Stärke: die Urgewalt, mit der er raue Bluesrock-Hämmer wie „Gun“ oder selbst Balladen wie „Fear Is A Man´s Best Friend“ herausgebellt hat. Die schiere Intensität in umstands- und umwegloser Unmittelbarkeit machte klar, dass es hier um existenzielle Ausnahmezustände ging.
„Die Probleme unserer Zeit“
Auf „POPtical Illusion“ geht es um „die Probleme unserer Zeit“. Das zu erkennen, bedarf es keiner besonderen Hintergrundinformation, das machen ein paar zufällig aufgeschnappte Textfetzen klar: „I want you to explode“… „Can you hear the pain in all those lies“… „He would like to make you sick / make your skin crawl“… „I’m angry, angry and alone / I can’t stop it, stop it all night long“… „Cesar sharpens knives in the back of a van“… „I’ve got nothing / nothing to say to you“… „The words failed to come“. Auch ein guter alter Bekannter begegnet uns wieder: „Fear is a man´s best friend“, geschrieben und erstmals gesungen 1974, vor einem halben Jahrhundert.
In Summe fügen sich solche Zitatfetzen zu einem durchaus brauchbaren Bild über Geistes-, Seelen- und Gesellschaftszustände, die unser Zusammenleben erschweren. Doch an die Worte heften sich Synthienebel, Samples und allerlei trickreiche Arrangements; und Cale als meist eigentümlich zurückhaltender Sänger tut wenig, um sich aus diesem sonischen Schleier besonders hervorzuheben.
Es gibt Momente und Abschnitte auf der LP, da reißt der Schleier: etwa im zügigen Rocker „Shark-Shark“, dem auch recht geradeaus herausgeklopften, fast poppigen „Davies And Wales“ oder in der abschließenden, Cales lebenserfahrenen Gesang glücklicherweise unversehrt lassenden, klavierbasierten Ballade „There Will Be No River“.
Grundsätzlich ist John Cale, der heute 84-jährige musikalische Nonkonformist, der von der Klassik herkommt, der Grenzgänger zwischen Stilen und zwischen „U“- und „E“-Musik überhaupt, der musikalische Avantgardist der wegweisenden New Yorker Rock-Band The Velvet Underground, der Komponist von Dutzenden Soundtracks, der Produzent epochaler Debütalben von Patti Smith, den Stooges und übrigens auch Element Of Crime, mit Modernismen nicht besonders gut beraten. Und zwar einfach deswegen, weil er große, ausgefallene, hakenschlagende Arrangements besser kann als sie. Man denke nur an „Damn Life“ (aus „Music For A New Society“), wo er die „Ode an die Freude“ als Klavier-Leitmotiv zu einer grantigen Melodie und einem ganz und gar misanthropischen Text einsetzte.
Mit Modernismen ist John Cale nicht besonders gut beraten. Einfach deswegen, weil er große, ausgefallene Arrangements besser kann als sie.