Eine (Art) Fan-Biografie
Wolfgang Pollanz macht sich mit einem Buch über unterschiedlichste Facetten der Pop-Kultur ein schönes Geschenk zum 70. Geburtstag.
Wolfgang Pollanz wird 70. Ja, man darf die frohe Botschaft laut verkünden, um bewusst zu machen, wie umfangreich und vielfältig das Tätigkeitsprofil dieses mehrfach preisgekrönten südsteirischen Kulturtreibenden ist. Er war Gründungsmitglied der sowohl in physischer wie auch substanzieller Hinsicht großformatigen Kulturzeitschrift Sterz. In den frühen 80ern war er Sänger der eigentlich beim traditionellen Rock zu verortenden, aber dafür wieder textlich eindeutig zu cleveren Formation The Isolierband.
Und er ist seit ewig und drei Tagen Herr über ein kulturelles Imperium, nämlich die Kulturinitiative Kürbis Wies. Zu dieser gehören das Theater im Kürbis sowie das Label Pumpkin Records und der Verlag Edition Kürbis. Dazu betätigt sich die Initiative als rühriger Vermittler und Förderer Bildender Kunst.
Pop als Lebensbegleiter
Als Autor und Herausgeber hat Pollanz über 20 Bücher veröffentlicht – Gedichte, Erzählungen, Romane, Anthologien und Essay-Bände. Für diese ist sein favorisierter Topic eindeutig Pop. Nicht Pop als Berieselungsmedium und Beschallung für Verkaufsflächen natürlich, sondern als Kultur, als Begleiter von Lebensentwürfen.
„Von Arschlöchern, weißen Fahrrädern, Scheißfilmen und Zebrastreifen“, aus Beiträgen für Anthologien, Magazinen, Tageszeitungen und eigens für dieses Buch verfassten Texten kompiliert, kann als eine Art Resümee seines Schaffens und seiner Biografie als Hörer/Fan gelesen werden. Es könnte solchermaßen etwa auch „Wolfgang Pollanz oder wie ich lernte die Pop-Kultur zu lieben“ heißen.
Pollanz widmet sich verschiedenen Bereichen: Teils sind sie schon im Titel genannt, weitere Schwerpunkte sind Song-Klassiker, Schauspiel-Ikonen oder seltsame Phänomene wie Yacht-Rock – die Musik, mit der die Superreichen ihre Luxusschiffe beschallen.
Was immer Pollanz fokussiert – er nimmt dabei immer auch das thematische Umfeld in Augenschein; wenn es sein muss, auch mit ziemlich weitläufigen historischen Exkursen. So viel Bildungsdünkel ist heute schon nachgerade erfrischend.
Von Marlene Dietrich zu den Zellen der RAF-Terroristen
Beispielhaft exekutiert Pollanz diesen Zugang an einem Hit, der bestimmt nicht dem Kanon der genuinen Pop-Meisterwerke zugerechnet wird, aber irgendwie auch kaum jemanden völlig kalt lässt: „Where Do You Go To (My Lovely)“, die Geschichte einer aus armen Verhältnissen kommenden Jet-Setterin, geschrieben und gesungen von Peter Sarstedt, dem 1941 in Indien geborenen (und 2017 in Sussex an progressiver supranukleärer Blickparese verstorbenen) Sohn eines britischen Kolonialbeamten.
Allein wegen seines üppigen Namedroppings eröffnet der Song großzügig Platz für Schlussfolgerungen, Vermutungen und Spekulationen: Marlene Dietrich, Sascha Distel, Zizi Jeanmarie, Picasso, Aga Khan, das Modeimperium Balmain gehören zu den – teils noch geläufigen, teils vergessenen – Menschen und Marken, die hier aufs Tapet gebracht werden. Die rätselhafte Identität der Protagonistin Marie-Claire gibt einen zusätzlichen Anreiz für Gedankenspiele, die Pollanz zu weiten Exkursen durch die Kulturgeschichte und das Show-Biz, in den Pariser Louvre, die Zellen der RAF-Terroristen oder das Londoner Appartment von Jimi Hendrix führen und nebenher auch noch Kritik am französischen Bildungssystem verbreiten lassen.
Mit dem im Buchtitel angerissenen Fahrrad – für Pop ein vermeintlich eher unergiebiger Topic – geht es zu einem weiteren superben Beitrag. Wenn auch sein Weg ins Thema – der Schweizer Chemiker Albert Hofmann erlebte auf dem Vehikel erstmals die Rauschwirkung des von ihm entdeckten und später in der Pop-Szene scharenweise konsumierten Halluzinogens LSD – ein bisserl fadenscheinig anmutet, bringt dieser Essay jedenfalls einen fundamentalen inneren Widerspruch westlicher Wohlstandsgesellschaften auf den Punkt; eine Chimäre, die die Pop-Kultur in Wort und Musik eifrig zu fördern geholfen hat.
„Was (…) die Mobilität im 20. Jahrhundert betrifft, war in Wahrheit natürlich das Auto das eigentliche Thema vor allem anglo-amerikanischer Pop- und Rockmusik, war es doch in dieser Ära des ,rasenden Stillstands‘ (…) ein Symbol für Weite und Freiheit, hat aber nichts anderes getan, als die Menschen in wirtschaftliche Zusammenhänge zu zwingen, in denen symbolisch aufgeladene Geschwindigkeit mit scheinbarer Freiheit gleichgesetzt wurde, die aber in Wirklichkeit nichts weiter waren als Zwangssysteme, die die Menschen funktionieren ließen, indem Pseudofreiheiten produziert wurden, die zusätzlich auch noch sexuelle Konnotationen hatten.“
Die Arschlöcher? Aber gerne!
John Lennon kommt in solchen Listen immer wieder vor, weil er in früheren Jahren gewalttätig gegen Frau, Kind und Mitmenschen gewesen war, aber auch behinderte Menschen zu verschiedenen Anlässen verspottet oder verunglimpft hat. Dass Lennon – was unter Pop-Musikern nicht übertrieben häufig vorkommt – in späteren Jahren „tätige Reue“ geübt und ernsthaft versucht hat, seine Verhaltensweisen und Einstellungen zu ändern, scheint ihn nicht für solche Rankings zu disqualifizieren.
Ebenso permanent unter Arschloch-Verdacht stehen die Gallagher-Brüder, der extrem reaktionäre Rocker Ted Nugent, Redneck Kid Rock, Axl Rose, Courtney Love oder Kanye West. Wie relativ allerdings solche Zuschreibungen sind, zeigt Pollanz am Beispiel des geistreichen amerikanischen Sängers, Autors, Humoristen und Politikers Kinky Friedman: Für seinen Songtitel „Get Your Biscuits In The Oven And Your Buns In The Bed“ („buns“ bezeichnet neben Gebäck im amerikanischen Slang auch Pobacken) wurde Friedman von Frauenrechtsorganisationen als Sexist gebranntmarkt . Dem Verdikt konterte der Künstler allerdings beredt: mit dem Song „Yes, I’m The Sexiest“.
Wolfgang Pollanz feiert sein rundes irdisches Jubiläum am 5. Juni unter dem Titel „Songs & Stories“ im Literaturhaus Graz.
Die angefügte Playlist gibt Songs wieder, die im besprochenen Buch vorkommen oder in engem Zusammenhang damit stehen
Das Buch könnte auch auch „Wolfgang Pollanz oder wie ich lernte die Pop-Kultur zu lieben" heißen.