Eine kühle Offenbarung

Auf seinem dritten Album brilliert das US-Trio Loma mit subtilen Akzenten und tiefen Einblicken in die Conditio humana.

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11. Juli 2024

Wem würde bei so einem Bild nicht warm ums Herz? Dan Duszynski, Emily Cross und Jonathan Meiburg von Loma (© Emily Cross)

Diese Band kann bei Plattenaufnahmen auf Helfer* wie Brian Eno oder Laurie Anderson zählen. Elbow-Sänger Guy Garvey lobte sie in den heisersten Tönen, und renommierte Medien wie Pitchfork  oder das öffentliche US-Rundfunk-Syndikat NPR  haben sie schon früh ins Visier genommen.

Und natürlich kennt Loma hierzulande keine Sau.

Loma ist entstanden als Liebesehe zwischen Jonathan Meiburg, dem Sänger und Songschreiber der verdienten Indie-Folk-Rock-Formation Shearwater, und dem Duo Cross Record. Betont jedenfalls Meiburg expressis verbis: Er sei 2016 auf einer Tour, bei der Cross Record den Support für Shearwater gaben, für das damals auch privat liierte, zu beiden Teilen multiinstrumental begabte Paar Emily Cross und Dan Duszynski entflammt.

Tatsächlich pflegten Cross Record eine ziemlich einzigartige Musiksprache, an der vor allem ihre Sprödigkeit hervorstach – einen von Elektronik, kratzbürstigem Rock und noisigen Elementen unterwanderten, keinen Moment lang um den Gefallen des Hörers* buhlenden Folk-Sound, dem Cross´ eigentümlich sperrig anmutende, dabei eigentlich nicht un- oder amelodiöse Intonation von eigenartigen Inhalten über Tod/Endlichkeit, bedrohliche Sinneswahrnehmungen/Wahnvorstellungen, Anziehung/Zurückweisung und ähnlichen Gegensätzlichkeiten gewissermaßen die Krone der Weirdness aufsetzte.

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Loma klingen vergleichsweise verträglicher, aber um nichts weniger eigen. Cross´ Stimme, grundsätzlich jener Angel Olsons nicht unähnlich, verweigert sich jeglicher Exaltiertheit und verströmt gerade darum eine distinguiert unterkühlte, bisweilen ans Morbide anstreifende Aura.

Auch die Instrumentierung setzt auf subkutane Akzente: Cross´unheimlich-geisterhafte Einlagen auf der Bassklarinette, vertrackte Polyrhythmen. Keyboards, die „Atmosphäre“ schaffen, vom Bodennebel bis zum munteren Lüfterl. Gitarren ziehen Spuren, über die gelegentlich eine Violine grätscht. Ihren Teil zum Klangbild trägt die Fauna in der Umgebung des Aufnahmeorts bei: auf den bisherigen, auf einer Ranch im Hügelland um Austin aufgenommenen LPs „Loma“ (2018) und „Don´t Shy Away“ (2020) waren das Eseln, Hühner, Pfauen sowie die Papageien aus einem nahegelegenen Vogelhaus.

Loma: How Will I Live Without a Body? (Sub Pop)

Beim neuen, in England entstandenen Longplayer „How Will I Live Without A Body?“ kommen die sonischen Beigaben aus aller Welt. Das liegt daran, dass die Akteure zu Beginn der Aufnahmen, die noch in die Zeit coronabedingter leibhaftiger Kontaktbeschränkungen fielen, über verschiedene Gegenden verstreut waren: Deutschland, wo der mittlerweile auch als Autor profilierte Meiburg für ein neues Buch recherchierte, ist durch ein Percussion-Ensemble vertreten; Texas, wo Duszynski in seinem Studio geblieben war, wird durch ein Eulen-Paar repräsentiert, und aus der englischen Grafschaft Dorset, wo sich Cross angesiedelt hat, ist die Brandung von Chesil Beach zu hören.

Nachdem längere Zeit kein Treffen möglich gewesen war, schlug Cross vor, in ihrer Wahlheimat England in einem kleinen kalten Steinhaus aufzunehmen. In diesem hatte einst ein Sargmacher seine Werkstatt gehabt. In Emily Cross hat die Behausung eine würdige Nachwohnerin mit wesensverwandter Profession gefunden: Cross arbeitet hier nämlich als Death Doula.

Dieser Beruf, für den es gegenwärtig noch keinen angemessenen deutschen Terminus gibt und der üblicherweise etwas patschert mit „Todes-Hebamme“ übertragen wird, umfasst alle vorbereitenden, begleitenden und nicht zuletzt praktischen Aspekte um den Abgang von dieser Welt: eine frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Tod als Transformator, psychologische Betreuung und Hilfe bei organisatorischen Abwicklungen wie testamentarischen Verfügungen.

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Passenderweise war die Zelle, in der Cross ihre Vokalpassagen sang, ein gepolsterter Sarg. Nicht dass die Musikerin, die übrigens auch den größten Teil der meist wunderschönen, oft in naturhaften Settings spielenden Loma-Videos selbst inszeniert, ein todessehnsüchtiger Gruftie* wäre: Zwar hat sie sich in Interviews zu einer Faszination für den Tod als großen Verwandler bekannt, auf der anderen Seite aber auch klar ihren Unwillen zu sterben bekundet. Und im Video zur letzten Loma-Single  „How It Starts“ präsentiert sich Cross, die noch auf der ersten Loma-LP „I don´t want children“ gesungen hat, mit neuem Leben im bereits umfangreichen Schwangerschaftsbauch.

Laurie Andersons künstlicher Doppelgänger

Bei „Don´t Shy Away“ half Loma der große Elektronik-Pionier Brian Eno als Produzent eines Songs und hauptsächlich als Mutmacher. Bei „How Will I Live Without A Body?“ bekam das Trio kreative Unterstützung durch die Performance-Künstlerin, Avantgarde-Pop-Musikerin und Autorin Laurie Anderson. Besser gesagt: von deren gut trainierter KI, die es ihr etwa ermöglicht, „Konversationen“ mit ihrem verstorbenen Ehemann Lou Reed zu führen.

Meiburg schickte Anderson Bilder aus seinem Buch-in-progress, das sich mit dem Leben in der Antarktis befasst – Anderson bzw. ihre KI antwortete mit zwei Gedichten, von denen Teile in die Songs „How It Starts“ und „Affinity“ fanden und eine Zeile – eben „How will I live without a body?“ – als LP-Titel verwendet wurde.

Zeitlupentempo

Ist das exzellente titellose Loma-Debüt-Album noch mit Momenten der Unruhe – dem nervösen „Dark Oscillations“, dem flotten „Relay Runner“ – geädert, setzte sich bereits auf „Don´t Shy Away“ eine Tendenz zu betonter Langsamkeit durch. Dynamik, Verdichtungen und Intensitätsverschiebungen werden da, wie in „Octillo“ beispielhaft vorgeführt, auf wenige Punkte konzentriert.

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„How Will I Live Without a Body?“ verfolgt weitgehend den selben Weg, mit dem kleinen Unterschied, dass hier die Gangart stärker variiert wird. Es gibt nämlich durchaus auch flotte Songs wie „A Steady Mind“ oder, besonders reizvoll, „Arrhythmia“, das im Zusammenwirken von munterer Percussion, sphärischen Hintergrundstimmen und finaler Zuspitzung durch Synthies und Gitarren frappierende Verfremdungseffekte erzielt. Aber Cross´ bisweilen fast apathisch anmutende Zurückhaltung als Sängerin hält selbst solche Stücke geerdet und erzeugt einen ruhigen Sog, der alle Aufregung usurpiert und die durchaus nicht optimistischen Inhalte in eine gewiss meist resignative, aber in ihrer Art unerschütterliche Gelassenheit taucht.

Es ist relativ schwierig, aus einzelnen Songs klare Aussagen zu destillieren. Cross´ Texte operieren – siehe oben – viel mit Gegensatzpaaren und Widersprüchen, Natureindrücken und Wahnvorstellungen, exponieren die Protagonistin als Spielball der Elemente oder auch plötzlicher Eingebungen. Stück für Stück aber lassen sich diese divergierenden Momente zu einem Ganzen zusammensetzen, aus dem die zeittypische Entwurzelung und Orientierungslosigkeit des „heutigen“ Menschen strömt: Misstrauen gegen die eigenen Wahrnehmungen, ein Gefühl permanenten Verlusts; eine an Unmöglichkeit grenzende Unfähigkeit, belastbare Beziehungen aufzubauen.

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Solcher existenziellen Malaise folgt die Musik, wenn sie sich mühsam über unwegsame Passagen zu schleppen scheint, durch rhythmische Brüche taucht, Einkehr hält, in Echos widerhallt. Der vergleichsweise dynamische, gitarrenbetonte, scheinbar mit den Wassern der kalifornischen Westküste gewaschene Opener „Please, Come in“ sendet in diesem Sinn etwas irreführende Signale aus – annehmen sollte man die darin ausgesprochene Einladung aber auf jeden Fall.

 

 

Wem würde bei so einem Bild nicht warm ums Herz? Dan Duszynski, Emily Cross und Jonathan Meiburg von Loma (© Emily Cross)

Die Musik folgt der existenziellen Malaise der Inhalte, wenn sie sich mühsam über unwegsame Passagen zu schleppen scheint, durch rhythmische Brüche taucht, Einkehr hält, in Echos widerhallt.