Englands musikalisches Geheimnis

Eine Kompilation erinnert an das Label Él Records, das nur fünf Jahre (1984-89) währte – und vor allem in Japan Spuren hinterließ.

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15. April 2025
él Records

VA: The Rubens Room - Él Records: In Camera (Tapete Records)

Momus war der griechische Gott der Schmähkunst, ein Tadler und Nörgler wie gleichzeitig auch ein Ratgeber des Zeus, der wegen seiner beständigen Klagen von ebenjenem Zeus (gemäß Philostratus) aus dem Olymp geworfen wurde. Momus ist auch das Alias des schottischen Musikers Nicholas Currie, dessen Debüt „Circus Maximus“ mit dem wundervollen „Lucky Like St. Sebastian“ 1986 auf dem Label él Records erschien. Für den Schriftsteller Jonathan Coe war él Records „Britain’s great musical secret”. Nun erinnert eine Kompilation, zusammengestellt von Labelgründer Mike Alway, an dieses Geheimnis.

Labelgründer Mike Alway (c) Nick Wesolowski

Él wurde 1984 gegründet und währte bis 1989, in welchem Jahr das Label unter die Haube von Cherry Records kam. Alway war bereits vor él für Cherry Records tätig und konnte dort Acts wie The Monochrome Set oder Everything But The Girl verpflichten. Obwohl él eine Handvoll hervorragender Singer-/Songwriter um sich versammelte und von Kritikern gefeiert wurde, blieb der große kommerzielle Erfolg aus – mit einer geographischen Ausnahme. Der verspielte Stil des Labels, zu dem auch ein bestimmter Look und ein spezifisches Design der Cover gehörten, wofür die Fotografen Nick Wesolowski und Pete Moss verantwortlich waren, beeinflussten die Shibuya-kei Bewegung (u.a. Pizzicato Five, Kahimi Karie – produziert u.a. von Momus – oder Cornelius) als einer Unterform des J-Pop in Japan. Der Franzose Philippe Auclair aka Louis Philippe, der auch bei él unter Vertrag stand, war so etwas wie ein Pate für den Shibuya-Sound.

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Den Anfang der Kompilation macht denn auch Louis Philippe, der zuletzt mit der Band The Night Mail zusammengearbeitet hat, der u.a. der Österreicher Robert Rotifer angehört. Für diesen Mai ist ein neues Album angekündigt. Vor knapp 30 Jahren klang Auclair auf jeden Fall leicht und beschwingt, ein wenig nach Bossa Nova, gepaart mit einem Hauch Theatralik, wie man es etwa von The Divine Comedy kennt. Ein besonderes Highlight ist der Song „Touch Of Evil“ vom Album „Appointment With Venus“, dessen Retrosound an Chansons der 1960er Jahre erinnert.

Von Italowestern bis Bubblegum-Pop

Das Album versammelt neben Stücken von Momus („John The Baptist Jones“, „Paper Wraps Rock“) Songs von Julia Gilbert, die sich nach einem US-amerikanischen Spielfilm von 1936 Anthony Adverse nannte und durch ihren Musical-Stil auffiel, der auch gut in die 1940er Jahre gepasst hätte. Vom Schauspieler und Filmkomponisten Simon Fisher Turner aka The King of Luxembourg stammt dann der Song, der dem Album den Namen gab: „The Rubens Room“, vom Album „Sir/Royal Bastard“, ist eine angejazzte Ballade, umweht vom Americana-Stil.

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Zu den besonderen Highlights gehört sicherlich Jessica Griffins Projekt Would-Be-Goods, mit The Monochrome Set als Begleitband, deren „The Camera Loves Me“ den Bubblegum-Pop wiederbelebt. Die Band Marden Hill versammelt filmästhetische Coolness, deren „The Execution of Emperor Maximilian“ jedem Italowestern zur Ehre gereichen würde. Besonders hervorzuheben ist auch die von Alway gegründete Band Bad Dream Fancy Dress, ein Duo bestehend aus Cally Davis und Catrin Rees, deren Gesang Lichtjahre weit von jeglichem Autotuning entfernt ist.

Das Duo Bad Dream Fancy Dress (c) Nick Wesolowski

„Where Have All the Schoolboys Gone“ oder „Lemon Tart“ dürften als Klassiker dieses charmanten Imperfektionismus in die Musikgeschichte eingegangen sein. „The Rubens Room“ erinnert mit einem zwinkernden Auge, aber auch mit einer gewissen Gelassenheit an dieses spannende Kapitel.

Momus ist übrigens immer noch aktiv. Erst Im Jänner erschien sein jüngstes Werk „Quietism“.

él Records

VA: The Rubens Room - Él Records: In Camera (Tapete Records)