Erfolgreiche Himmelfahrt

Dem neuen Album der US-Band Vampire Weekend wird weltweite Aufmerksamkeit zuteil - zurecht, wie ein mediales Tableau zeigt.

Von
19. April 2024

Vampire Weekend: Only God Was Above Us (Sony)

Der Himmel ist mehrfach nahe auf dem neuen Album von Vampire Weekend, „Only God Was Above Us“. Der Titel bezieht sich auf den – am Cover als Zeitungsmeldung verewigten – Ausspruch eines Passagiers auf dem Flug nach Hawaii im Jahr 1988, als der Maschine plötzlich ein Teil des Daches davonflog (das gab es also auch schon damals, nicht erst bei jüngsten Boeing-Pannen!) und eine unerwartet freie Sicht nach oben gewährte. (Das Flugzeug konnte übrigens heil landen.)
Und unter freiem, wenngleich kurzfristig verdunkeltem Himmel stellte die aus New York stammende Band dann auch ihr jüngstes, insgesamt fünftes Album kürzlich in Austin live vor: nämlich bei einem Konzert während der totalen Sonnenfinsternis in den USA am 8. April.

Himmelstürmend verlief die Karriere der 2008 erstmals in Erscheinung tretenden Gruppe aber schon von Beginn an: Ihr (namenloses) Debüt wurde nicht nur von der einstigen „Wiener Zeitung“ als fantastisch eingestuft; mit ihrem sagenhaften Stilmix aus tribalen Polyrhythmen, Afrobeats, flotten New-Wave-Klängen und vaudevillehaften Tableaus eroberten die vier damals etwas überadrett wirkenden College-Knaben die Indie-Szene im, tja eben, Sturm. Und nur zwei Jahre später, nach „Contra“ (2010), galten Vampire Weekend bereits als „biggest rock band in America“ („Washington Post“), wobei auch ein mit „VW“-Klängen unterlegter Honda-Werbespot das Seinige zur allgemeinen Popularität beitrug.

Fünf Jahre Pause

Auch das 2013 folgende Album „Modern Vampires Of The City“ gelangte an die Spitze der Billboard-Charts und festigte, trotz mancher Stilwechsel, den Ruf der „Wochenend-Blutsauger“ (Sänger Ezra Koenig hatte einst in Studententagen ein Filmprojekt namens „Vampire Weekend“ erwogen) als eine der kreativsten Quellen zeitgenössischen Popschaffens.
Erst der nachmalige Ausstieg des Multiinstrumentalisten Rostam Batminglij (der auf dem neuen Album nun wieder als Gast mit dabei ist) und ein nach längerer Pause 2019 von Ezra Koenig mehr oder weniger im Alleingang eingespieltes, etwas überambitioniertes Doppelalbum („Father Of The Bride“) ließen die Sterne des bis dahin in jeder Hinsicht abgehobenen Projekts ein wenig sinken.

Nunmehr, fünf Jahre später („Ich verstehe diese Leute nicht, die jedes Jahr ein Album herausbringen. Ich will nicht so viel arbeiten!“, verriet Ezra Koenig dem Schweizer Sender SRF den Grund für sein eher gemächliches Tempo), zeigen wiederum alle Anzeichen nach oben, also in Richtung Himmel. Dem Anfang April veröffentlichten Album, ab nun kurz & bündig „OGWAU“ genannt, war sogleich weltweite Aufmerksamkeit sicher, was sich in unzähligen Besprechungen niederschlug. Wir können daher im Folgenden, in guter, alter postmoderner Tradition, den eigenen Eindruck von diesem Album mit einer Collage aus medialen Stimmen und Urteilen illustrieren, unterfüttern und abgleichen, also eine Art Meta-Kritik der vormaligen Überflieger vornehmen.

Aus datenschutzrechtlichen Gründen braucht YouTube eine Zustimmung, um geladen zu werden. Für weitere Information, bitte unsere Datenschutzerklärung lesen.
Inhalte laden

Dass es sich bei „OGWAU“ um einen „Triumph“ bzw. ein „Meisterwerk“ handelt, ist der Mehrzahl der internationalen Reaktionen zu entnehmen, auch wenn nur wenige derart weit ausholen wie die heimische „Presse“, die in pop-astronomischer Zeitrechnung davon ausgeht, dass dieses Album „noch in 50 Jahren Bestand haben“ wird. Das sieht die Hamburger „Zeit“ nüchterner, wenn sie auf dem fünften Album nur noch die Smartness früherer Werke heraushört, und ihren Eindruck von „kunstvoll zerbröckelnden Liedern“ ambivalent fasst: „Klingt kaputt, steckt aber voller Hoffnungen“.

Dieses Urteil deckt sich in gewisser Weise mit der (Selbst-)Einschätzung von Ezra Koenig, der das Album als „a journey from cynicism to optimism“ einstuft. Es beginnt mit dem kernigen Ausruf „Fuck the world“ (im etwas zappelig-eintönigen Opener „Ice Cream Piano“) und endet mit dem ruhig dahinfließenden, volltönenden Song „Hope“ (auf dem mantraartig „I hope you let it go“ wiederholt wird – was auch immer, am besten wohl gleich alles…).

Vertraute Soundpalette

Inwieweit sich Vampire Weekend in den zehn Stücken des neuen Albums musikalisch selbst treu geblieben sind, auch darüber herrscht weitgehend Einmütigkeit. Während nur die „Oakland Post“ etwas rätselhaft konstatiert, VW „is a band that is always changing“ (wo hören die hin?), finden alle anderen, den Autor dieser Zeilen eingeschlossen, dass die Soundpalette, obgleich abwechslungsreich und immer wieder überraschend, doch „very familiar“ klingt, wie die Rezensentin des „Daily Utah Chronicle“ feststellt: „… catchy melodies, clever lyrics and overwhelming instrumentals“ – all diese altbekannten VW-Stärken werden hier schamlos selbstreferenziell ausgespielt.

Auch wenn die 47 Minuten Laufzeit mitunter wirken, als bestünden sie aus einem einzigen – mit allerlei Zwischenspielen versehenen – Song, klingen einige Stücke doch noch etwas VW-üblicher und vertrauter als andere, etwas „Classical“ (Nr. 2, eine Reflexion über die mediale Karriere des Bösen) oder „Connect“ (Nr. 4, über den Zusammenhang von Drogen & Spiritualität), mit perlenden Pianoläufen und vertrackten synkopierten Rhythmen, überwölbt – wie alle Stücke – von Koenigs unverändert juvenilem Gesang, der – auch daran hat sich nichts geändert – ein wenig sehr an Paul Simon erinnert.

Aus datenschutzrechtlichen Gründen braucht YouTube eine Zustimmung, um geladen zu werden. Für weitere Information, bitte unsere Datenschutzerklärung lesen.
Inhalte laden

Der „Daily Utah Chronicle“ bringt noch MGMT und Bleachers (die beide heuer ebenfalls neue Alben herausgebracht haben) als Vergleichsgrößen ein, fragt aber auch etwas keck: „When will Vampire Weekend try something new?“ Und: „How many more of these albums can the band put out before fans want something more?“ – Tja, das bleibt abzuwarten, wobei nach derlei langen (Veröffentlichungs-)Pausen die Gefahr einer Übersättigung auf Fanseite wohl überschaubar ist.

Liebesbrief an New York

Interessant(er) ist, dass Koenig (der diesmal übrigens nicht alles alleine gemacht hat: Produzent Ariel Rechtshaid hatte bei „OGWAU“ ebenso seine Finger mit im Spiel wie Chris Baio, Bass, und Chris Thompson, Drums, neben Gästen wie dem erwähnten Rostam Batminglij oder Dev Haynes von Blood Orange) trotz seines nunmehrigen Standorts, nämlich Kalifornien, New York die Treue hält. Denn ein Großteil der Songs ist eindeutig mit dem Big Apple verknüpft. Ja, man kann das Album wohl – wie der „Irish Independent“ – als „Koenig’s love letter to his native New York“ bezeichnen. Auch wenn Koenig, aus New Jersey stammend, ebenso wie seine Bandkollegen erst in den Nullerjahren in der Stadt aufschlug, scheint die damalige Zeit bei allen größtmöglichen Eindruck hinterlassen zu haben, was bis in die Soundästhetik hinein hörbar ist, wie der „Zeit“ aufgefallen ist: „Die Songs klingen kunstvoll marode, wie eine Hommage an die damalige Infrastruktur und Bausubstanz der Stadt.“

Aus datenschutzrechtlichen Gründen braucht YouTube eine Zustimmung, um geladen zu werden. Für weitere Information, bitte unsere Datenschutzerklärung lesen.
Inhalte laden

Vor allem im Track „Mary Boone“ (Nr. 8), über eine einstige, wegen Steuervergehens verurteilte New Yorker Galeristin, brechen sich Erinnerungen an frühere Zeiten unüberhörbar Bahn: „Deep inside the city, your memory remains – Mary Boone, Mary Boone – I’m in the dark side of your room.“ Dass der Song mit einem Kirchenchor ausklingt und davor noch mit Mustern des indischen Raga liebäugelt, zeigt den leichthändigen Umgang der Band mit universellen klanglichen Traditionen und ihre Lust am Experiment.

Im vorletzten Song der Platte, „Pravda“, geht es kurzzeitig nach Moskau, bevor die Reise, wie gesagt, mit der großen achtminütigen Hoffnungs-Hymne endet, in der es u.a. heißt: „There’s no one left to criticize – I hope you let it go.“

Dem schließen wir uns vollinhaltlich an: Es gibt nichts (mehr) zu kritisieren, also lassen wir es bleiben – und halten „Only God Was Above Us“ zwar nicht für den Himmel auf Erden, aber doch für eine verdammt große & tolle Annäherung an diesen Zustand.

Vampire Weekend: Only God Was Above Us (Sony)

Auch wenn die 47 Minuten Laufzeit mitunter wirken, als bestünden sie aus einem einzigen – mit allerlei Zwischenspielen versehenen – Song, klingen doch einige der zehn Stücke noch mehr nach Vampire Weekend als andere.