Ertrag der späten Jahre
Auf „Make It Right“, seinem ersten Soloalbum seit vierzehn Jahren, überzeugt der US-Singer/Songwriter Steve Wynn als exzellenter Musikant und weiser Geschichtenerzähler.
Steve Wynn fand in der Pandemiezeit nicht nur Zeit und Muße, den ersten Teil seiner Autobiographie zu schreiben, sondern auch, jene Songs zu sichten, die sich im Lauf der Jahre angesammelt haben, aber nie im Rahmen einer regulären Veröffentlichung erschienen waren. Vor wenigen Wochen erschienen nun zeitgleich „I Wouldn’t Say If It Wasn’t True“, der erste Band seiner Memoiren, und „Make It Right“, sein erstes Soloalbum seit vierzehn Jahren.
Auch wenn das Buch mit der zwischenzeitlichen Auflösung seiner Band The Dream Syndicate im Jahr 1989 endet – 2012 erfolgte die Wiedervereinigung – und das Album den zeitlichen Bogen vom Eröffnungssong „Santa Monica“ (der einen Rückblick auf Wynns Jugend bietet) bis zum Schlusssong „Roosevelt Avenue“ (die Straße in Queens/New York, wo Wynn derzeit lebt) viel weiter spannt, korrelieren Album und Buch doch bestens miteinander.
Wie kaum ein Singer/Songwriter der Gegenwart versteht es der 1960 in L.A. Geborene in seinen Songs private Ereignisse und Erfahrungen zu allgemein gültigen Einsichten gerinnen zu lassen. „Es geht in den Songs und im Buch um Erinnerung und um das, was falsch und was richtig lief in meinem Leben“, erzählt der Wahl-New-Yorker in einem Interview anlässlich der Doppelveröffentlichung.
Mit seinen Reflexionen über frühe Lieben, Erfolg und Misserfolg, das Älterwerden, späte Einsichten, der Sehnsucht nach musikalischer Erfüllung und einem Scheitern in Würde, evoziert der weise und noch immer überaus kreative Melancholiker eine Intensität des Gefühls und einen Grad an künstlerischer Überzeugungskraft, die in der Pop-und Rockmusik selten geworden sind.
Musikalisch zeigt sich Steve Wynn überraschend vielseitig. Zu seinem bekannten Mix aus Rock, Folk, Punk, Sixties-Seligkeit und Velvet-Underground-Vibes gesellen sich auf diesem Album noch Spuren von Country, Americana, Latin Jazz und Garagenrock. So gelingt es Wynn, unterstützt von einer illustren Schar wunderbarer Musiker – u.a. Mike Mills von R.E.M., Vicki Peterson von den Bangles, Scott McCaughey von The Minus 5 und Chris Eckman von den Walkabouts –, alte musikalische Tugenden in eine neue Zeit zu überführen, und er beweist damit, dass Erinnerungsarbeit in jeder Hinsicht künstlerisch wertvollen Ertrag abwerfen kann.