Ewig lebe die Vergänglichkeit
Die US-Band Brigitte Calls Me Baby vertont auf ihrem Debütalbum Existenzängste in sehnsüchtig schmachtenden Retro-Rock.
Wer Berührungsängste mit Morrissey hat, dem ehemaligen Smiths-Sänger, nachmaligen Edelcrooner und nunmehrigen Ungustl (nach einer Reihe nicht nur politisch schwer unkorrekter Aussagen), konnte ihm schon bisher aus dem Wege gehen, indem er ähnlich klingende Interpreten bevorzugte, wie etwa den Kanadier Murray Lightburn (und seine Montrealer Band The Dears) oder den Schotten Hamish Hawk (von dem Mitte August ein neues Album erscheint, “A Firmer Hand”).
Nun gibt es Zuwachs im sounds-like-Morrissey-Club – und zwar mit dem US-Amerikaner Wes Leavins und seiner Band Brigitte Calls Me Baby, die dieser Tage ihr Debütalbum veröffentlicht.
Schon lange hat man kein derart druckvoll schwelgerisches, sehnsuchtsvoll schmachtendes Vokal-Vibrato mehr gehört wie auf den elf Songs von „The Future Is Our Way Out“. So viel Pathos bringen ansonsten allenfalls noch The Killers auf die Tonnenwaage. Und natürlich handelt dieser vor Dramatik bebende Vortrag fast ausschließlich von den weniger sonnigen Seiten des Daseins: von Ängsten aller Art, aber vor allem von einer alles durchdringenden Todesangst, die den 28-jährigen Wes Leavins von frühen Kindestagen an verfolgt.
Dementsprechend geht’s auf dem Album auch gleich final los: „Now the end is here…“ sind die ersten Worte des Eröffnungssongs, der der Platte auch den Titel verleiht („The Future Is Our Way Out“ ist angeblich ein Spruch, den Leavins als Teenager auf sein T-Shirt gekritzelt hat). Und auch der Rest gibt sich mit kaum weniger zufrieden als ständigen Beschwörungen der Vergänglichkeit – von Beziehungen, Träumen und dem Leben ganz allgemein. Ach ja.
Tief aus der Erde von Graceland
Dass dieser nihilistisch angeraun(z)te Existenzialismus einen gegenwärtigen Nerv trifft, zeigen aber nicht nur ziemlich euphorische Reaktionen auf die 2023 erschienene EP „This House Is Made Of Corners“ (deren fünf Songs übrigens allesamt auf der Debüt-LP wieder zu finden sind), sondern auch Gastauftritte des in Chicago ansässigen Quintetts (wobei Leavins aus dem südlichen Texas stammt), das immerhin bereits als Supporter für Kaliber wie Yeah Yeah Yeahs, Strokes oder Muse einheizte.
Auch bei den Livegigs dreht sich im Grunde alles um die nicht nur vokalen Inszenierungen des charismatischen Sängers, dessen stimmliches Echo freilich noch viel weiter zurückreicht als bis zu Morrissey. Unverkennbar, wie tief aus der Erde von Graceland geschöpft, klingt da Elvis durch – und das ist auch schon dem australischen Regisseur Baz Luhrmann aufgefallen, der Leavins als Sänger für seinen „Elvis“-Film (2022) engagierte, wobei auch Grammy-Produzent Dave Cobb (Jason Isbell, Brandi Carlile) auf den jungen Mann aufmerksam wurde. Und so kam alles ins Laufen, denn Cobb ist nun auch Produzent des Albums, das zum Teil im RCA Studio A in Nashville aufgenommen wurde.
Zehn Songs lang – darunter die aktuelle Single „We Were Never Alive“ (die den Killers fürwahr alle Ehre machen würde) – dominiert freilich weniger Rock’n’ Roll der Presley-Schule als mehr zackiger Post-Punk und forcierter Indie-Gitarrenrock, bevor bei der letzten Nummer, „Always Be Fine“, das Tempo jäh gedrosselt wird – und das Album mit einer l’amour-hatscherten Ballade mit Beserlschlagzeug zum Kehraus lädt (wobei einem dabei auch Vergleichsgrößen wie Richard Hawley oder Chris Isaak einfallen könnten – was nur zeigt, welchen Referenzrahmen der doch erstaunlich vielstimmige Wes Leavins aufspannt). Auch wenn der Titel dieses Schlussstücks eine vermeintlich positivere Einstellung zu suggerieren scheint, gibt einem genaues Hinhören rasch eine Belehrung im Besseren, d.h. Schlechteren: „Life can’t always be fine“, heißt es da resignativ. Na gut, das ist ja auch schwer zu widerlegen.
Haben wir auf derlei gewartet? – Nein, aber wenn sie nun schon einmal da sind, nämlich dieses Debütalbum und diese Band (deren leicht wunderlicher Name – wiederum angeblich – auf eine Brieffreundschaft von Leavins mit Actrice Brigitte Bardot aus frühen Tagen zurückgeht), dann schließen wir sie beide gerne in unser großes, retroseliges und resonanzfähiges Herz – und vermuten einmal, dass wir damit nicht die Einzigen sein werden. Es scheint sogar vielmehr so, als würde sich im Vorfeld dieser Veröffentlichung bereits eine gewaltige, an manche Surfwellen (wie gegenwärtig bei den Olympischen Spielen in Tahiti) gemahnende Woge der Begeisterung auftürmen, wie sich anhand einer Vielzahl von – vorläufig zwar nur in den USA stattfindenden, dafür bereits teils ausverkauften – Headliner-Konzerten zeigt. Die Zukunft dieser vergangenheitsfixierten Band scheint gesichert. No Way Out!
Natürlich handelt dieser vor Dramatik bebende Vortrag fast ausschließlich von den weniger sonnigen Seiten des Daseins: von Ängsten aller Art, aber vor allem von einer alles durchdringenden Todesangst