Facettenreich in allen Lagen

Mehr als Langeweile auf hohem Niveau: Norah Jones und ihr überzeugendes neues Album „Visions"

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18. März 2024

Norah Jones: Visions (Blue Note Records/UMI)

Es gibt Musiker, die im Prinzip dem Mainstream-Markt „gehören“ und aus scheinbar unerfindlichen Gründen Sympathien bei Hörern und Kritikern aus jenem spezialisierten Bereich genießen, den wir der Einfachheit halber „Indie-Klientel“ nennen wollen. Robert Palmer, der smarte früh verstorbene Rhythm & Blues-Sänger, war so einer. Und Norah Jones ist auch so eine.

Allerdings sind die Vorzeichen völlig verschieden: Während man sich bei Palmer fragte, wie er mit stromlinienförmigen Charts-Toppern und Disco-Fegern wie „Best Of Both Worlds“, „Johnny And Mary“ oder „Addicted To Love“ das Interesse von Magazinen wie „Sounds“ oder „Spex“ oder auch der Redakteure dieses Portals erregen konnte, kommt Jones aus der entgegengesetzten Richtung: Ihr klavierbasierter, deutlich jazzbeeinflusster Balladenstil scheint grundsätzlich prädestiniert für das Prädikat „Langeweile auf höchstem Niveau“ – ungefähr das, was das Jazzfest Wien stolz in der Oper zu präsentieren pflegt, im allerschlimmsten Fall die Richtung Randy Crawford. Die Tochter von Ravi Shankar und der New Yorker Konzertproduzentin Susan Jones aber hat über die Jahre, 52 Millionen verkaufter Tonträger, Milliarden Streams, 44 Grammy-Nominierungen und 14 tatsächliche Auszeichnungen hinweg den größeren Teil der Kritiker in ihr Lager gebracht. Hauptsächlich weil ihr der Beweis gelungen ist, dass sie eben nicht langweilig ist.

Aufgeweckt, bisweilen sogar lustig präsentiert sich Norah Jones auf ihrem neuen Album „Visions". Foto: Joelle Grace Taylor

Aufgeweckt, bisweilen sogar lustig präsentiert sich Norah Jones auf ihrem neuen Album „Visions“. Foto: Joelle Grace Taylor

Wiederholt hat Jones schon vorgeführt, dass ihre stilistische Reichweite durchaus über Lounge-Jazz hinausgeht. Nicht zuletzt in Form von Kooperationen mit Willie Nelson und der „Supergroup“ Little Willies zeigte sie etwa eine einigermaßen ausgeprägte Affinität zu Country, die ihrer sublim von Tragik unterwehten Stimme vorzüglich ansteht. Genauso kann Jones, die außer Klavier auch Gitarre spielt, auch Rock und ist für experimentellere Formen offen. „Visions“, ihr neuntes (Solo-)Studio-Album, vereinigt in der Produktion von Leon Michels, mit dem Jones auch auch 11 der 12 Tracks geschrieben hat, alle diese Facetten auf einer Platte.

„Staring At The Wall“ etwa ist ein tolles, schnelles Stück mit wendiger Gitarre, großer Melodie und lässiger Intonation – ein potentieller Stadionrock-Knaller. „Queen Of The Sea“, der einzige Song, den Jones allein geschrieben hat, rekapituliert zu einem schunkelnden Blues-Shuffle mit etwas Galgenhumor eine schiefgelaufene Beziehung.

Der Titelsong „Visions“ malt zu einem großartig austarierten, schlagzeuglosen Backing von E-Gitarre und Trompete ein Szenario mit eigentümlichen Sprachbildern („wise like a freight train“) und Schreckensmotiven („everyone is dead“). Demgegenüber kann Jones auch lustig werden: Ein burleskes Klavier-Motiv trägt „I’m Awake“, während das abschließende „That’s Life“ von einem einigermaßen gravitätischen Arrangement zwischen Soul und Gospel in einen leichtfüßigen Ja-Kinder-so-ist-es-nun-einmal-Refrain übergeht.

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Norah Jones: Visions (Blue Note Records/UMI)

Nachdrücklich belegt „Visions", dass Norah Jones viel mehr kann als nur Lounge-Jazz