Ganz leicht schwermütig
Musik wie für touristische Werbekampagnen gemacht, mit einem Hauch Melancholie unter der sonnig-meeresluftigen Oberfläche: Die griechische Künstlerin Σtella und ihr großartiges Album „Adagio“.

Stella: Adagio (Sub Pop)
Mehr als einmal streift diese Platte an guilty pleasure an: Musik, die einem gewaltig gefällt, aber in irgendeiner Weise mit negativen, als uncool geltenden Komponenten konnotiert ist.
Im Falle von „Adadio“, dem fünften Album der griechischen Sängerin und Songschreiberin Σtella (ausgesprochen: Stella) ist es, dass es – nie geschmacklos und sowieso nur am Rand der Wahrnehmungsschwelle – wie Tourismus-Werbung anmutet: Diese Musik vermittelt subkutan das Postkartenidyll eines Urlaubs am Meer unter südlicher Sonne.
Verstärkt wird diese Ausstrahlung etwas ironischerweise durch die – eigentlich Selbstbewusstsein und eine Emanzipation von globalen Marktdiktaten bekundende – Tatsache, dass Stella Chronopoulou, wie die auch bildnerisch tätige Künstlerin mit vollem Namen heißt, erstmals in ihrer seit 2015 auf Tonträger dokumentierten musikalischen Karriere zwei Songs in ihrer Muttersprache singt.
Indessen macht Σtella vom musikalischen Fundus ihres Heimatlandes eher sparsam Gebrauch: Eine aufschluchzende Bouzouki im überragenden Schlusssong „Caravan“, hier und da ein Hauch von Rembetiko – das ist es im Großen und Ganzen.
Eher greift sie auf latein- und südamerikanische Einflüsse zurück, wie „Baby Brazil“ schon im Titel indiziert und der Opener und Titelsong „Adagio“ mit lässigem Bossa Nova-Drive beispielhaft vorführt.
Mit mediterraner Musik auf dem US-Hardcore-Label Sub Pop
Seit ihrem letzten Album „Up and Away“ (2022) veröffentlicht Σtella auf dem renommierten US-Indie-Label Sub Pop, das mit Nirvana, Soundgarden, Mudhoney usw. usf. groß geworden ist. Das hat nicht etwa zu einer Annäherung an Rock, geschweige denn harten, geführt. Im Gegenteil hat Σtella auf „Up And Away“ ihre mediterrane Herkunft mit einigermaßen prominenten Anleihen bei der griechischen Folklore so stark wie noch nie ausgestellt.
„Adagio“ folgt, mit dezenter geographischer Verlagerung der maritimen Einflüsse Richtung Südamerika (siehe oben) und noch gelassenerer Gangart (siehe LP-Titel), einem ähnlichen Zugang.

Stella Chronopoulou ist auch Bildende Künstlerin (© Dimitra Tzanou)
Verkehrt proportional zur kurzen Spielzeit (unter 30 Minuten) hatte das Album eine lange Genese.
Erste Song-Skizzen reichen zurück bis 2019, und ein beträchtlicher Teil der Platte entstand während der Pandemie. Die künstlerische Zusammenarbeit mit Helfern geschah per Zoom; ihren wichtigsten Partner Rafael Cohen, der bei !!! Bass spielt, als Solist unter dem Moniker Las Palabras agiert und bei „Adigo“ fünf von neun Stücken mitgeschrieben hat, hat Chronopoulou bis heute nicht persönlich getroffen.
Hitze-gedämpft
Stilistisch kommt hier vieles zusammen und taucht unter in einem sanften Strudel, aus dem keine Dissonanzen, Aggressionen oder Profilierungsakte vorlaut herausblubbern. Die wunderschön-verwehten Synthesizer- und Keyboards-Flächen lassen Affinität zu New Wave erkennen, die Rhythmik laviert zwischen Dream-Pop und sehr dezenter Disco, die Gitarren bewegen sich in einem weiten Kreis zwischen Latino und Psychedelia.
Außer Sonne und Meeresluft atmet diese Musik auch die Gedämpftheit durch die Hitze, in der man sich jede hektische Bewegung zweimal überlegt, und die Melancholie unerfüllbarer Sehnsüchte, die durch Chronopoulous sonore, immer unaufgeregte und ganz leicht schwermütige Stimme noch verstärkt wird: Ein Träumen, was sein könnte und was hätte sein können, das sich in leiser Wehmut auflöst wie eine Fata Morgana über der Meeresoberfläche.
Natürlich ist Σtellas Thema die Liebe – es wäre bei dieser Art von Musik ziemlich komisch, wenn nicht. Fast abseitig und andererseits recht reizvoll wirkt es dann, wenn sie ihre Beziehungs-Szenarien bisweilen mit fast philosophischen Gedanken- und Identitätsspielen infiltriert.
In „80 Days“ etwa stellt sie Geschlechteridentitäten in Frage: „I’m the boy and you’re the girl“.
„Caravan“, einer der drei Songs neben dem Instrumental „Corfu“ und dem griechisch gesungenen „Omorfo Mou“ („Meine Schöne“), die Chronopoulou allein geschrieben hat, begibt sich sogar auf die existenzialistische Ebene: „Time is my only partner / in crime, I think about her / this is a point between us / I can’t explain what hit us.“
Und wenn man weiß, dass „Can I Say“, ein weiterer Höhepunkt der LP, einem gestohlenen Fahrrad gewidmet ist, wird es sogar ein wenig witzig. Vielleicht sogar aus der Sicht der Protagonistin, die so viel Humor hat, solche Zeilen einem Wesen aus Aluminium, Plastik und Gummi zu widmen: „You’re the best I ever had / so please come back, I feel so sad / can I say, I really miss you / what I wouldn’t give to kiss you“.

Stella: Adagio (Sub Pop)
Hier kommt vieles zusammen und taucht unter in einem sanften Strudel, aus dem keine Dissonanzen, Aggressionen oder Profilierungsakte vorlaut herausblubbern.