Grant & Herbststimmung

Viel Qualitätsarbeit aus heimischer Produktion hat sich - naturgemäß, wie man ohne Verlegenheit sagen darf - im Lauf des vergangenen halben Jahres angesammelt. Eine Rundschau (Teil 1).

Von
4. November 2024

Stilvolle Promo für Ines Wursts EP „Zufällig" (© Feber Wolle)

Ines Wurst ist an dieser Stelle schon einmal gebührend gewürdigt worden: Zwei gefühlvoll-melancholische Singles hat sie im Frühjahr veröffentlicht, „Schneeregen“ und „Zufällig“. Beide sind auch auf einer EP versammelt, die im Herbst erschienen ist und neuerlich den Titel „Zufällig“ (Feber Wolle) trägt. Neu sind die Songs „Abschiedstschick“, „Seebestattung“ und „Verbrennen“ und anhand der Titel sollte die inhaltliche Tendenz hinlänglich beschrieben sein, ok?

Melancholisch, aber nicht ohne Dynamik: Ines Wurst (© Harald Ranftl)

Die Musik indes offenbart – das tritt im größeren EP-Format stärker zutage als bei einzelnen Songs – eine eigentümlich-reizvolle, auf trockene Gitarren, sparsame Keyboards und eine relativ robuste Rhythmus-Achse gebaute Dynamik, die ein bisschen so tun will, als wäre sie nicht da, aber (vielleicht gerade darum) nicht zu überhören ist.

Von Culk, mit denen Ines Wurst bisweilen assoziiert wird, gibt es auch Neues: Das Quartett um Sängerin Sophie Löw/Blenda beteiligt sich am Sampler „Death To The 00s“ und begibt sich damit in die Gesellschaft heimischer Größen wie Mira Lu Kovacs, Sophie Lindinger und My Ugly Clementine, die allesamt Songs aus den Nuller-Jahren covern. Culk bearbeiten „Overload“ von den Sugababes. Das klingt, obwohl im Text von einem One-Way-Ticket Richtung Wahnsinn die Rede ist, weniger düster als vielmehr ziemlich grantig.

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Nachgerade vorbildlich schlecht gelaunt gibt sich die lärmige Wiener Post-Punk-Band Modecenter, die heuer ihr erstes Album mit dem schönen Titel „Altes Glück“ (Siluh Rec.) herausgebracht hat. Das aufbrausende, von einem agilen Bass befeuerte und von kratzigen Gitarren interpunktierte „Salto“ ist einer der besten Tracks daraus.

Von der musikalischen Tausendfüßlerin Mira Lu Kovacs erscheint in Kürze das zweite Album unter eigenem Namen: „Please Save Yourself“ (Ink Music) wird es heißen, und so heißt, der Vokabel „Please“ beraubt, auch die erste daraus ausgekoppelte Single: Was als sehr sanfte, besinnliche Bedenk-oh-Mensch-Ballade beginnt, endet in einem Inferno aus Schreien und Lärm. Der wird nicht allein durch verzerrte E-Gitarren generiert, sondern auch durch die zweckentfremdete Stimme der Sängerin.

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Kovacs Kollegin in der „Supergroup“ My Ugly Clementine, Sophie Lindinger, hat bereits im Frühjahr mit einem neuen, eher gedämpften und daher recht passend „Half Asleep“ (Ink Music) betitelten Album ihrer (vielleicht nur mehr vermeintlichen) Stammformation Leyya von sich hören lassen. „Pumped Up High“ tut mit seiner forcierten, von kräftigen Drums und Elektronik getriebenen Gangart dem Album als kleiner Energieschub recht gut.

Auch zu einer Art Supergroup – nämlich österreichischer Punk-Pioniere – haben sich „Musikarbeiter“ und Sänger Rainer Krispel (musikalisch bekannt durch 7Sioux, Target On Demand und Schwester), Schlagzeuger Christian Unger (Willi Warma), Bassist Tom Niesner (Schweine im Weltall) und Gitarrist und Hintergrund-Stimme Robert Wolf von Chuzpe formiert. POST nennt sich dieses Ensemble (in Anspielung auf Wolfs früheren Brotberuf?).

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Musikalisch orientiert man sich an Pubrock im Stil von Dr. Feelgood – die grimmigen Dialekttexte aber stehen klar im Zeichen eines großen einheimischen Verblichenen, nämlich Sigi Maron. „Umzingelt“ und „97%“ (Voller Sound) sind die Vorboten des Albums „Go Boomer Go!“: „97 Prozent oller Mensch’n san Trottl’n / 97 Prozent san irgendwo aug’rennt / des Traurige is / die meist’n glaub’n / sie g’hern zu de ånder’n drei Prozent“.

Manchmal entstehen selbst bei der PR-Arbeit für Musiker semantische Kunstwerke. „Honig um den Mund geschmiert bekommen und plötzlich von einem Bienenschwarm gestochen werden“ – so wird das Grunge-Trio Oxyjane angepriesen. Und das trifft tatsächlich ins Schwarze! Die hübsche, halbakustische Ballade „Sundown“ (Numavi Records) ist ein gutes Anschauungsbeispiel: Fast liebliche, vor allem von der schönen Stimme von Selina Galka lebende Musik, in der sich unvermittelt Abgründe auftun.

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Laut und ein bisschen lärmig klingt das Wiener Indie-Rock-Trio NEPS auf ihrer eben veröffentlichten Debüt-LP „Common Life“ (Feber Wolle). „All You Do Is Work“ heißt der als Single ausgekoppelte, halb gesprochene bzw. hektisch heruntergeschnatterte und im Refrain lässig-lakonisch intonierte Opener.

Cyon Flex (© Molnar Photography)

Cyon Flex, richtiger Name Tara Allen, ist eine 37-jährige, seit Jahren in Wien wohnhafte Rapperin, Sängerin, Songschreiberin, Autorin und digitale Künstlerin. Vor einiger Zeit hat sie ein neues Mini-Album mit dem Titel „Into the Night“ (SoulCate5) herausgescheibt. Dessen Auftakt „Ego“, das aufgekratzten Rap an der Grenze zum Melodiegesang mit einen Drum & Bass-artigen Rhythmus kombiniert, beschreibt, was es mit jemandem macht, nicht akzeptiert zu werden.

Beseelt

Hoffnungslos romantisch geben sich dagegen unsere angefunkten Freunde aus dem Westen, die unter dem Namen Cordoba 78 historische patriotische Triumphgefühle aufrufen: „Du weißt doch genau, dass ich immer nur an dich denk“ (Assim Records) bekennen sie beseelt & entflammt. Gut so – wozu blöd rumreden?

Ein schönes Duett in der klassischen Tradition des nur von einer Gitarre begleiteten Protestsongs bringen Christoph Jarmer, ehemaliger Gitarrist der großen burgenländischen Indie-Band Garish und seit ein paar Jahren profilierter Dialektsänger, und die Wahl-Neusiedlerin Birgit Denk, Ikone des kontemporären Wienerlieds, als Kristoff & Denk mit der Ballade „Mensch“ (welovemelodies): „Mia is kloa, es is woa / da Mensch is so derrisch und blind / och i waas gonz genau, in jedem von uns steckt a Kind“.

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