Hier stimmt alles
„Flaws" nennt das Wiener Quartett Gardens sein Debüt-Album, das genau das - Mängel, Beeinträchtigungen - nicht hat.
Diese Platte ist eine Sensation! Ein Wunder! Eine Offenbarung!
Natürlich ist solche Schwärmerei „objektiv“ unsinnig. Nicht der zarteste Anhauch von Innovation etwa weht das LP-Debüt der Wiener Band Gardens an; und mit eitlen Verbindlichkeiten wie „zeitgemäße Relevanz“ oder allsowas braucht man ihr auch nicht zu kommen. Es ist eigentlich nur eine normale, sehr gitarrenbetonte, standardmäßig anglophil angelegte Indie-Pop/Rock-Platte.
Aber es stimmt hier einfach alles. Insofern ist der Titel „Flaws“, was ja Mängel, Beeinträchtigungen bedeutet, maximal irreführend. Natürlich aber bezieht er sich nicht auf die musikalische Produktion, sondern auf die Inhalte und meint die Narben, die man aus Beziehungen, der Adoleszenz und anderen Lebensumständen davongetragen hat. Ob und wie offen sie gezeigt werden, das ist hier die Frage: Jedenfalls scheint das Spiel mit Persönlichkeitsmerkmalen – wie sie sich für einen selbst darstellen und wie sie nach außen (re)präsentiert werden – das Thema dieser Platte zu sein.
Die bisweilen etwas an Cowboy Junkies-Sängerin Margo Timmins erinnernde Stimme von Luca Celine Müller ist unvergesslich vom ersten Hören an. Müllers Englisch ist makellos, ohne Akzent, dankenswerterweise auch ohne aufgesetzten, bis Ende nie nervenden, „original“ nach East End London oder Boston, Gegend Newbury Street klingen wollenden Fake-Akzent. Auch ein Beitrag zur bemerkenswerten Klarheit, die diese Platte ausstrahlt.
Die auf eine sichere Rhythmus-Achse gestützten Gitarren sind aufgekratzt und diszipliniert zugleich; die Feelies zur Zeit von „The Good Earth“ könnten hier Pate gestanden sein oder auch Dire Straits, bei denen statt Mark Knopfler ein Tom Verlaine oder Dean Wareham den Ton angegeben hätte.
Sängerin, Songschreiberin und Bassistin Müller wird begleitet vom Gitarristen Peter Mathis, der im gsibergerischen Götzis in dieselbe Schule gegangen ist wie sie, den sie aber erst in Wien kennengelernt hat, Laura Keiblinger an der anderen Gitarre (und fallweise den Tasten) und dem Drummer Patrick Stieger.
Einige Singles sind dem Full-Length-Debüt vorausgegangen, eine, „Waves“, schaffte es 2023 sogar in die FM4-Jahrescharts (auf Platz 99, falls es jemanden interessiert). Aber erst als geballte Ladung entfacht diese Musik ihre Magie: Ein Sog aus suggestiv-beschwörendem/klagendem Gesang und umtriebigen Gitarren, voller Dynamik, aber keinen Moment lang hektisch oder irgendwie „unrund“. Musik, die sich – in scheinbarem Widerspruch zum forcierten Tempo etlicher Songs – Zeit nimmt: Zeit zur Entfaltung nämlich.