Im besten Sinne experimentell
„Humanhood“, das neue Album von The Weather Station, erkundet die Fragilität des Seins in multiplen musikalischen Formaten und Andeutungen.
Manchmal wird eine Situation oder eine Lage erst dadurch klarer, dass gerade nicht Klartext gesprochen – oder etwa gesungen – wird. Sondern indem man sich dem, was ausgedrückt werden soll, auf verschlungenen Pfaden nähert, es andeutet, umkreist, bisweilen auch versteckt. Tamara Lindeman, Sängerin und Mastermind des kanadischen (Band-)Projekts The Weather Station, ist eine Meisterin dieser indirekten Herangehensweise. Und das wahrscheinlich nicht einmal freiwillig oder gar zielgerichtet, was ja auch eine Art von innerem Widerspruch wäre. Es passiert ihr eher, stößt ihr zu, überkommt sie.
(Ihre) Songs entstehen also nicht aus dem Wunsch heraus, ein Lied zu schreiben, sondern eher daraus, dass mittels musikalischer Wege Gedanken, Stimmungen, Verstörungen zu einem Ausdruck finden, den Worte alleine nicht erfassen (können). Zumindest nicht sogleich. Den Schöpfungsprozess von „Humanhood“, dem siebenten Album von The Weather Station, kann man sich also als ein beständiges Hin und Her von Tönen und Worten vorstellen, als ein Ineinanderfließen und Ergänzen von nicht auf einen (Zu-)Griff Erfassbarem.
Sie habe aus diversen Schreib- und Textblockaden erst dann herausgefunden, als sie sich auf klangliche Details konzentriert habe, erzählt Lindeman in einem Interview zum neuen Album. Und mitunter seien aus den Improvisationen, die ihre sechs Mitmusikanten in einem Studio in Toronto vollführten, erst jene Pfade entstanden, auf denen sich ihre Worte niederließen.
Tonspuren ins fast Unhörbare
Und so klingt dieses im besten Wortsinne experimentelle Album auch, nämlich wie ein beständiges Fließen, Entstehen und Auflösen von Strukturen. Das klingt anstrengender als es ist. Denn Lindeman ist bekanntlich (das weiß man nicht zuletzt aus ihren beiden vorangegangenen Alben, „Ignorance“, 2021, und „How Is It That I Should Look At The Stars“, 2022) ein sehr naturverbundender Mensch. Daher ist dieses Kommen und Vergehen innerhalb von Songs und Ideen ein quasi natürlicher Prozess – und so einfach & komplex gleichermaßen hört es sich, lässt man sich einmal darauf ein, auch an.
In die 13 Einheiten dieser Platte (Songs mag man sie nur bedingt nennen) sind vier „Zwischenspiele“ eingebettet, zwischen 48 Sekunden und 1:37 Minuten lange/kurze Soundflächen: frei flottierende, ambienthafte, rauschende, (vorüber-)ziehende Klanggespinste. Daraus schälen sich, in den Übergängen, erkennbare, definitive Songs, mal in mehr traditionellem, folkpop-haftem Gewande, mal in mehr freigeistigen, jazz-verspielten Überwürfen. Zu ersteren zählen das vorab als Single veröffentliche „Neon Signs“, „Mirror“ oder das flott intonierte „Window“; zu letzteren eine Nummer wie „Irreversible Damage“, bei der über einen Zeitraum von 5:36 Minuten hinweg nur eine murmelnde Hintergrundstimme zwischen und hinter flirrenden Sounds, lose zusammenhängenden (und -spielenden) Instrumenten zu vernehmen ist.
Im Zuge dieser Verwandlungen wandern die Referenzen und Vergleiche, die Lindemans/Weather Stations Wirken und Werke(n) einzuordnen versuchen, indes auch von Joni Mitchell oder Fleetwood Mac, die von Beginn (2017, mit dem Album „The Weather Station“) an als Hauptbezugsgrößen meistens genannt wurden, zunehmend hin & weg zu Musikerinnen wie Julia Holter, Laurie Anderson oder Beth Gibbons, die in ähnlicher und verwandter Weise Songräume erweitern und redimensionieren. Und natürlich Talk Talk, deren spätes fragiles Werk durchaus vergleichbare Tonspuren ins bisweilen fast Unhörbare legt.
In psychisch labiler Verfassung
Dass das Verschwimmen von Grenzen nicht nur einem naturwüchsigen Prozess und einer mimetischen Anverwandlung an ökologische Muster geschuldet ist, sondern auch einer psychisch labilen Verfassung und Identitätskrise – auch das deutet Lindeman in diversen Statements mehr nur an, als es konkret an- und auszusprechen. Depersonalisation ist hier nur ein vager assoziativer Begriff für eine Art von Dissoziation, also eine Auflösung in unterschiedliche Selbsts, die in diesem produktiven Zusammenhang, also „Humanhood“, konsequent nur künstlerisch angedeutet oder eingelöst werden (sei’s musikalisch, sei’s im Artwork des Covers).
So mag man sich beim An- und Zuhören dieses Albums mitunter selbst auflösen in allerlei Stimmungen (ohne den Leidensdruck der psychischen Krise, die Lindeman durchlebt haben dürfte, damit kleinreden oder herunterspielen zu wollen), oder aber man verlässt sich ganz buchstäblich auf seinen Resonanz-Körper, der mit diesen teils verstörenden, teils beruhigenden Klängen verlässlich mitschwingen wird. Eine faszinierende Reise ist es allemal – und daher ist dem britischen Kultur- und Musikmagazin „Far Out“ in seinem Fazit des Albums voll zuzustimmen: „The Weather Station throw you into a thunderstorm of styles and sounds, and it’s a beautiful thing to be lost in.“