Kopfkino und Bildschirm-Präsenz

Zwischen verschleppten Rhythmen und Song-Poesie für den Mutterbauch: Über Konzerte der Tindersticks und von Tobias Pötzelsberger in Wien.

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4. Oktober 2024
„ZiB“-Star unter Sternen im Porgy: Tobias Pötzelsberger (c) Barnabas Wilhelm

Kann man sich Stuart Staples als Nachrichten-Sprecher, etwa der „ZiB“, vorstellen? Nein, mit seinem Schlapphut und dem Calafatti-Bärtchen ähnelt der Sänger der Tindersticks schon eher dem berühmten Biertrinker aus der Moretti-Werbung. An Bier war für Staples am ersten Tag von drei Konzerten der britischen Band im Wiener Theater Akzent aber nicht zu denken. Da musste es schon Tee sein, denn die Stimme des Sängers, an sich immer leicht angegriffen klingend, drohte an diesem Abend vollends zu kippen. Ein Hustenanfall inmitten eines Songs im ersten Drittel des Konzerts war, neben einem zuvor fälschlichen Einsatz des Drummers, der bis dahin lebendigste Moment nach einem ungemein zähen Beginn, der Teile des bereits hinwegdämmernden Publikums zumindest kurzzeitig wieder aufweckte.

Entschleunigung & Klangschalen-Therapie

Seit Anbeginn ihrer Karriere (vor mehr als 30 Jahren) allgemeiner Entschleunigung und verzögerten Rhythmen zugetan, die sich seitdem durch das Tindersticks-Gesamtwerk buchstäblich ziehen, war die Auswahl an verschleppten, teils nur in Sprechgesang dargereichten Nummern (wie „How He Entered“ gleich zum Einstieg) diesmal aber schon ein Anti-Klimax der besonderen Art, den man sich auch erst einmal trauen muss. Vogelgezwitscher und Klangschalen-Gedöns brachten das Ganze hart an den Rand eines semi-therapeutischen Seminars („Langsames Atmen für Großstadt-Hektiker“).

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Erst mit Songs aus dem neuen, kürzlich veröffentlichten, insgesamt 14. Album, „Soft Tissue“, kam ein wenig Schwung und Bewegung in die steifen Hüften von Staples und seiner vier Musikanten. Vor allem die Eröffnungsnummer, „New World“, mit fanfarischen (hier freilich auch nur vom Synthi generierten) Bläsersätzen und souligem Edelsamt ausstaffiert, zeigt, zu welch melodischer Eleganz die Briten im Normaltempo fähig sind. Die mehrfach mehrstimmig intonierte, fast schon kraftvoll gesungene Zeile „I’ wont let my love become my weakness“, eine Art Beschwörungsformel, war an diesem Abend freilich auch nicht zutreffend: Es war nicht die Liebe, die zur Schwäche von Staples und seinen Mannen führte bzw. hätte führen können, sondern eine unglückliche Song-Dramaturgie und eine mangelhafte Abstimmung der Musiker untereinander (so lebhaft, wie er seinen Drummer mitunter anfuchtelte, agierte Staples sonst zu keinem Moment des Konzerts). Es war ja auch erst der zweite Gig einer wahren Monstertournee quer durch Europa, die die Tindersticks in den nächsten Wochen und Monaten noch vor sich haben. Da kann – und muss – sich einiges, im wahrsten Wortsinne, erst einspielen. Falls Staples Stimme durchhält.

Cineastischer Kammerpop

Aber, o Wunder, selbst wenn so viel schief läuft wie an diesem Abend, bleibt letztlich doch immer noch ein Hauch von Magie dieser zauberhaften Band in Auge, Ohr und Herz des Betrachters hängen, erzeugt von einer dezent-gedämmten Lichtregie und einem satten Strom warmer Klänge, wie er etwa aus Stücken wie „Turned My Back“ oder „Pinky In The Daylight“ dringt.

Ein Hauch von Magie: Gedämmtes Licht & Soul-Samt von den Tindersticks. (c) Schmickl

Wie bei kaum einer anderen Band vermögen hier Stimmung, Schein und Atmosphäre viel zu bewirken (und über viel hinweg zu täuschen). Der cineastische Kammerpop der Tindersticks ist auf so raffinierte wie erfolgversprechende Weise darauf angelegt, viel der Phantasie und dem Kopfkino des Hörers zu überlassen. Und dieses Zusammenspiel funktioniert so oder so fast immer perfekt.

Gefühlige Balladen

Das ist bei Tobias Pötzelsberger naturgemäß anders. Da bleibt im Kopf nicht viel Platz für andere Bilder. Dort ist der Mann seit einigen Jahren (seit seinem Spontan-Einsatz bei der „Ibiza“-Berichterstattung) als „ZiB“-Moderator fix eingeplant & abgespeichert. Und man muss sich von diesem Bild fast zwanghaft lösen, wenn man ihn nun – wie an diesem Donnerstag Abend – als Musiker auf der Bühne des Wiener Porgy&Bess-Clubs sieht – und hört. Dabei ist Pötzelsberger viel länger schon Popmusiker als Nachrichten-Sprecher. Mit seiner Salzburger Band The More or The Less hat er bereits 2009 („We, The People“) und 2012 („Keep Calm“) zwei Alben eingespielt. Zwölf Jahre später folgte kürzlich mit „Prudence“ sein drittes, nunmehr unter seinem eigenen Namen veröffentlicht, no na, bei dem Bekanntheitsgrad mittlerweile.

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Allzu sehr muss man sich vom eigenen Bildschirm-Eindruck indes doch nicht lösen, denn Pötzelsberger ist auch auf der Bühne jener nette, sympathische, bübisch-gewitzte Typ, wie man ihn vom Fernsehen her kennt. Und so klingt auch seine Musik: eine nette, gefällige, rundum harmonische Sammlung teils gefühliger Balladen, teils flotterer Popsongs (wie etwa der Vorab-Single „Carry You“). Gemeinsam mit vier versierten Musikern dargebracht (von denen Niklas Apfel, der auch das Album produziert hat, der bekannteste ist, u.a. von Oehl), die auch nicht immer auf Anhieb alle Einsätze erwischen (was hier aber wesentlich spielerischer & unkomplizierter abgeht als bei den in jeder Hinsicht ernsthafter agierenden Tindersticks), erkennt man rasch, dass das schon deutlich mehr ist als nur ein Nebenbei-Hobby. Vergleiche (wie im Pressetext zum Album) mit Fleetwood Mac, Death Cab for Cutie oder Kings Of Convenience sind zwar deutlich zu hoch gegriffen, aber vom Iren Glenn Hansard oder dem US-Sänger John Mayer ist das Ganze nicht (mehr) allzu weit entfernt.

Häme und Rührung

Natürlich kann man das alles auch für viel zu harmlos halten und sich darüber belustigen, wie das in einigen hämischen Netz- und Medienkommentaren erfolgte („Pollunder-Pop“, „Glatt wie ein Kinderpopo“), aber man kann es auch für eine sympathisch authentische Kongruenz von Schein und Sein halten, wenn sich hier einer einfach so präsentiert, wie er ist und sein will, ohne Verbiegen, ohne Verstellen. Und wenn er seinem – damals (vor 9 Jahren) noch ungeborenen – Sohn im Mutterbauch „Blackbird“ von den Beatles vorspielt &-singt, damit der nicht allzu früh mit „Schlagern, etwa vom Unaussprechlichen…“ (O-Ton Pötzelsberger) konfrontiert wird, mag das lächerlich finden, wer mag, aber es ist auch eine rührend vorsorgliche Geste.

Finale mit kollektivem Chorus: Pötzelsberger & Band (c) Barnabas Wilhelm

Dass das Porgy nicht derart aus allen Nähten geplatzt wäre (darunter natürlich viel ORF-Publikum, aber auch Musiker, wie etwa der Nino aus Wien), hätte der Auftretende nicht diese Art von „geborgter Prominenz“, versteht sich freilich auch von selbst. Aber so kam wenigstens Stimmung ins Haus, und wer sich nicht mitten ins Getümmel stürzen wollte, konnte im hinteren Teil der Location dem Konzert auch per Stream auf einem Bildschirm folgen. Und hatte auf diese Weise den Pötzelsberger wieder in jenem Rahmen, aus dem man ihn am besten kennt.

„ZiB“-Star unter Sternen im Porgy: Tobias Pötzelsberger (c) Barnabas Wilhelm

Pötzelsberger ist auch auf der Bühne jener sympathische, bübisch-gewitzte Typ, wie man ihn vom Fernsehen her kennt. Und so klingt auch seine Musik: nett, gefällig, rundum harmonisch