Liebesbrief und Leuchtturm

Die britische Singer/Songwriterin Anna B Savage ist auf ihrem neuen Album, „You & i are Earth“, hingebungsvoll in Irland – und in noch wen – vernarrt.

Von
29. Jänner 2025

Einer irischen Schulter bedürftig: Anna B Savage (c) Katie Silvester

Muss man um diese Frau fürchten? Ich fürchte: ja.
Zur Vorgeschichte: Auf ihrem vor zwei Jahren, 2023, erschienenen zweiten Album, „in|FLUX“, sang Anna B Savage von einer toxischen Beziehung: „Stop haunting me – please!“, hieß es in dem Song „The Ghost“ eindrücklich-schauerlich. Und schon auf ihrem Debütalbum „A Common Turn“ (2021) waren – neben allerlei Selbstzweifeln („Creating in a vacuum … Will I ever record this? Is anyone listening?“, lautete eine Zeile in dem Song „Dead Pursuits“) – mehr als deutliche Hinweise auf im wahrsten Wortsinne unliebsame Erfahrungen und amouröse Missgriffe enthalten.

Fundamentale Zuneigung

Und nun das: Auf Fotos zu ihrem neuen, in diesen Tagen bei City Slang erschienenen Album, „You & i are Earth“, sieht man die britische Singer/Songwriterin einmal mit versonnenem Blick an der kräftigen Schulter und einmal am noch kräftigeren Arm eines anscheinend ziemlich großen Mannes lehnen (der selbst nicht erkennbar abgebildet ist) – und in einer Presseaussendung zur Platte bezeichnet sie diese als „a love letter to a man and to Ireland”.

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Die Reihenfolge ist somit klar – und doch erfährt man in der Folge nur noch über den zweiten Adressaten dieses tönenden Liebesbriefs Genaueres. Das ist auch vollkommen in Ordnung, trotzdem wirkt diese nur angedeutete Botschaft aufgrund all der Vorgeschichte(n) irgendwie mehr bedrohlich als beruhigend. Denn die Zuneigung ist sozusagen fundamental: „He’s my lighthouse, he is home“, heißt es in dem Song „Lighthouse“ – und da geht es nicht um Irland, oder zumindest nicht in erster Linie …

Anna B. Savage: You & i are Earth (City Slang)

Möge der englischen Musikerin (die als Tochter eines klassischen Sänger-Ehepaars in London aufgewachsen ist, viel mehr verrät ein mittlerweile vorhandener dünner Wikipedia-Eintrag nicht über sie) also ein Licht aufgegangen und sie ihr persönliches Glück mit wem und wo auch immer gefunden haben: Das alles geht uns ja eigentlich gar nichts an. Aber sie singt halt so unüberhörbar fast nur (noch) davon. Das freilich auf unverwechselbare Weise. Wirkt Savage auf Fotos eher schüchtern (und auf den aktuellen auch etwas gar landmädchenhaft), so ist ihre tief tönende, mit edlem Vibrato versehene Stimme eine kräftige Ansage und Wucht. Auf früheren Aufnahmen noch bisweilen flüsternd oder hauchend angelegt, ist der stimmliche Vortrag – wohl auch ein elterliches Erbe – nun voll ausgereift und kommt auf „You & i are Earth“ in elegant souveräner Weise zum Ausdruck.

Bukolische Klänge & orchestraler Wind

Und an dieser Stimme gilt es sich an- und festzuhalten, denn sie ist das tragende Prinzip & Gerüst der gesamten Unternehmung. Die Instrumentierung der zehn neuen Songs (wobei zwei davon nicht einmal eineinhalb Minuten lang sind) ist zumeist karg: Gitarrengezupfe und ein wenig Gebläse rundherum, von allerlei irischen Musikanten beigesteuert (und vom irischen Produzenten John „Spud“ Murphy, der auch die brachial-virtuose Kelten-Combo Lankum unter seinen Fittichen hat, ausgesteuert).
Nur in „Donegal“ – einer nun wirklich einem Stück Irland gewidmeten Nummer – kommt orchestraler Wind, ja bisweilen fast Sturm auf und trägt diesen Song mehrstimmig und mit popaffinem Refrain bis zu einem schönen & ruhigen Finale.
Ansonsten überwiegen bukolische Klänge, die freilich in fast schon anheimelnder Weise zu Irland passen (wo Savage nunmehr seit einigen Jahren lebt und – wir wissen es – ihre neue Heimat, und zweifellos auch ihre neue Liebe gefunden hat) und dessen musikalische Traditionen aufnehmen und sanft weiterspinnen.

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Anna B. Savage ist – auch das weiß man aus ihren ersten beiden Alben (eines war mehr der Vogelschau, eines mehr dem Baumbestand gewidmet) – eine sehr naturverbundene Musikerin, und nicht nur darin der kanadischen Sängerin Tamara Lindeman von The Weather Station (seelen-)verwandt. In den Fotosessions zum neuen Album, das seine Erdverbundenheit ja schon im Titel trägt, sieht man die Künstlerin fast buchstäblich in der Erde verschwinden: In einem – natürlich irischen – Wald aufgenommen, liegt Savage ganzkörperlich in Moos und Farne eingebettet. Das Bild passt zu dem Song „Agnes“, dem neben „Donegal“ besten des Albums, in dem es um eine beunruhigende Erfahrung geht, die Savage während einer Meditation gemacht hat, die aber laut Selbstauskunft in einem eindringlichen, wunderschönen Gefühl gipfelte: „I felt like I was part of the earth, completely connected to the mycelium network, I felt like I was where I was meant to be.”

Bei so viel inniger Eingebundenheit mag man als Hörer, der dieses Gefühl bei dieser Platte nicht durchwegs (nach-)empfinden kann, nicht weiter stören – und macht sich sozusagen still vom (irischen) Acker.

Einer irischen Schulter bedürftig: Anna B Savage (c) Katie Silvester

Wirkt Savage auf Fotos eher schüchtern, so ist ihre tief tönende, mit edlem Vibrato versehene Stimme eine kräftige Ansage und Wucht.