Männer als tönende Randerscheinung
Von Taylor Swift bis Beth Gibbons: In Sachen Aufmerksamkeit wie Qualität war das Popjahr 2024 durchgängig weiblich dominiert – eine persönliche Bilanz (Folge 2).
Auch wenn wir mittlerweile wissen, dass der politische Einfluss der aktuell weltweit größten weiblichen Popstars, die sich vor der US-Wahl bekanntlich allesamt für Kamala Harris ausgesprochen hatten, nicht entscheidend ins Gewicht fällt, so bleibt 2024 trotzdem jenes Jahr, in dem Frauen mehr denn je den Ton angaben. Zumindest in der Popmusik. Egal, ob im Bereich der bis in Fantastilliarden reichenden Aufmerksamkeits-Ökonomie der Reichweiten-Königinnen (à la Taylor Swift, Beyoncé oder Billie Eilish), oder im mehr am Ästhetischen ausgerichteten Qualitätspop (wofür etwa Beth Gibbons, Cassandra Jenkins oder Julia Holter stehen): Es sind die interessantesten, relevantesten und in weiten Teilen auch überzeugendsten Beiträge, die heuer von Musikerinnen der unterschiedlichsten Richtungen stammten. (Als Gegengewicht dazu fungieren nur teils abgehalfterte Popstars wie Kate Nash oder Lily Allen, die neuerdings mit Nacktfotos – und stammten diese auch nur von ihren Füßen – auf diversen Plattformen Geld machen.)
Gören und Drama-Pop
Was wir von den Globalphänomenen Taylor Swift, Charli XCX oder der Hit-Maschine Dua Lipa halten, haben wir hier, auf dieser Plattform, ausgiebig kundgetan. (Zu Charli und ihrem Album „Brat“ nur noch eine eher soziologische bzw. individualpsychologische Anmerkung, auf die Geistesgegenwärtige schon anderswo hingewiesen haben: Dass nämlich Kamala Harris eben gerade nicht brat, also görenhaft, ist, sondern Donald Trump dieses Ungehörig-Ungezogene viel überzeugender verkörpert…).
Unsere Hauptaufmerksamkeit galt aber mehr und zahlreicher der immens hohen Dichte an qualitativ ausgereiften und beeindruckenden Veröffentlichungen weiblicher Popkünstler, wozu u.a. die Alben & Songs von Beth Gibbons, Cassandra Jenkins, Nilüfer Yanya, Jessica Pratt, St. Vincent oder Adrianne Lenker zähl(t)en. Vor allem die Rückkehr der britischen ehemaligen Portishead-Sängerin, mit ihrem ersten Soloalbum nach 16 Jahren, „Lives Outgrown“, war – zumindest in meiner Sicht (und wir sind hier, trotz anklingender scheinbarer Kollektivformeln und -urteilen, schonungslos subjektiv) – eines der herausragenden Ereignisse & Hörerlebnisse des abgelaufenen (Pop-)Jahres.
Die Männer hatten es im Vergleich dazu schwer(er). Sie kamen über die Rolle von mehr oder weniger bemerkenswerten Randerscheinungen kaum hinaus. Der große globale männliche Popstar fand heuer einfach nicht statt (und es gab ja auch kein neues Album von Harry Styles!). Ein paar Einzelkünstler und Männerbands brachten sich immerhin wieder nachdrücklich in Erinnerung, darunter Nick Cave, The Cure, Vampire Weekend, International Music aus Deutschland oder Fontaines D.C. aus Irland.
Es gab ein erfreuliches Wiederhören mit dem Ex-Wild-Beast-Bassisten und -Sänger Tom Fleming alias One True Pairing. Und ein Jahr, in dem ein neues Album von Richard Hawley erscheint, kann grundsätzlich kein schlechtes sein.
Neuentdeckungen kamen vor allem aus dem Drama-Pop, etwa mit dem kalifornischen Tragöden Loren Kramar oder den Smiths-Wiedergängern Brigitte Calls Me Baby. Bleibt als makabres Kuriosum des Jahres nur noch das Auftauchen von Cassetten mit bisher unveröffentlichten Songs von Michael Jackson (aus den Jahren 1989-91). Und angeblich bleibt das aufgrund einer Verfügung der Erben auch so – nämlich unveröffentlicht. Das warten wir freilich einmal gespannt ab.
Anfangseuphorie & Sonntagsblues
Das österreichische Popjahr startete fulminant, mit – zackig hintereinander erscheinenden – teils neuen, teils erstmaligen Alben von Ja, Panik, Endless Wellness, ZINN oder Christl. Dann riss der Faden etwas – und es dauerte fast bis zum Jahresende, bevor zuerst mit dem Debütalbum der Wiener Formation Gardens und dann mit dem Coveralbum „Torso“ von Soap&Skin noch ein – paradox zum Titel – durchgängig starkes Stück erschien.
Mein Song des Jahres stammt allerdings von einem gänzlich anderen heimischen Popmusiker, und zwar dem steirischen Sänger, Songschreiber und Gitarristen Bertram, der mit „Sonntag“ einen hinreißenden Abgesang auf den überschätztesten und (wieder höchst subjektiv!) unnötigsten Tag der Woche ablieferte.
Dieser Song eröffnet auch meine beigefügte Playlist mit 35 flotten Songs 2024 – allerdings aus rein alphabetischen Gründen (denn die Reihung folgt hierbei ausschließlich diesem Schema). Eine weiteres Mix Tape – mit 25 langsameren Gustostücken des Jahres („Songs 2024 – slow“) – gibt es hier an- & nachzuhören.
Die besten Popalben 2024 international:
1. Beth Gibbons: Live Outgrown (UK)
2. Cassandra Jenkins: My Light, My Destroyer (US)
3. Beyoncé: Cowboy Carter (US)
4. Vampire Weekend: Only God Was Above Us (US)
5. Nilüfer Yanya: My Method Actor (UK)
6. International Music: Endless Rüttenscheid (D)
7. Richard Hawley: In This City They Call You Love (UK)
8. Billie Eilish: Hit Me Hard And Soft (US)
9. One True Pariring: Endless Rain (UK)
10. King Hannah: Big Swimmer (UK)
Die besten österreichischen Popalben 2024:
1. Ja, Panik: Don’t Play With The Rich Kids
2. Endless Wellness: Was für ein Glück
3. Christl: Green Blue Violet / Grün Blau Violett
3. Ischia: Leave Me To The Future