Mit frischem Schwung ins seelische Elend
Unfröhliche Geschichten in vitalem Pop-Design: Panda Bear, Schlagwerker des Animal Collective, fügt seinem großen Solo-Werk mit „Sinister Grift“ einen weiteren Meilenstein hinzu.

Panda Bear: Sinister Grift (Domino)
Außer dass es den Begriff „Psychedelia“ neu definiert hat und rundherum eine sympathische Band ist, die ein paar sehr gute und ein paar recht mühsame Platten herausgescheibt hat, zeichnet das Animal Collective ein aussagekräftiger Name aus. Okay, nicht was dessen ersten Teil angeht – aber als Kollektiv präsentieren sich die vier tatsächlich: Jeder ist wichtig, jeder schreibt Songs, und jeder kommt auf der Bühne prominent zur Geltung.
Natürlich bilden sich selbst in ausgewogenen Organismen subtile Hierarchien und Hegemonien. Innerhalb des Animal Collective manifestieren sie sich in einer dezenten Hegemonialstellung des Sängers und Gitarristen David Portner aka Avey Tare, der die meisten und im Regelfall auch prägnantesten Songs („Cuckoo Cuckoo“, „For Reverend Green“ etc.) schreibt.
Es gibt indes, zumal alle Mitglieder Solo-Aktivitäten verfolgen, auch ein Leben außerhalb der Band. Und in diesem erweist sich eindeutig Panda Bear – der Einzige des Tierkollektivs mit tatsächlich einem Tiernamen als künstlerischem Alias – als schillerndste Figur.
Das Animal Collective hat von den oft spektakulären und dementsprechend akklamierten Alleingängen des Noah Lennox, wie der im Juli 1978 in Virginia geborene Musiker bürgerlich heißt, insofern nicht wenig profitiert, als diese ihm neugierige Novizen zuführten. Und die ersten zwei Alben des Kollektivs – Kooperationen von Lennox und Portner -, waren zunächst als Panda Bear-Platten vertrieben worden und wurden erst später zu AC-Werken umgebrandet.
Klammert man diese zwei Veröffentlichungen, denen noch im vorigen Jahrtausend, nämlich 1999, ein titelloses Debüt vorangegangen ist, aus, so ist das eben erschienene Album „Sinister Grift“ Lennox‘ siebentes als Panda Bear. Dazu schlägt eine gemeinsame, auch mit viel Anerkennung geadelte Platte mit Peter Kember aka Sonic Boom, früher Mitglied der epochalen britischen Neopsychedelia-Spacerock-Shoegaze-und-alles-mögliche-sonst-noch-Formation Spacemen 3, zu Buche.
Überdies ist Lennox ein gefragter Partner für Kooperationen und hat u.a mit Deerhunter’s Bradford Cox (für dessen Zweitprojekt Atlas Sound), Solange, Jamie xx, dem deutschen Elektronik-Künstler Pantha du Prince oder Daft Punk, mit denen er sogar einen Grammy gewonnen hat, zusammengearbeitet.
Beach-Boys-Obsession? Nicht so extrem, wie man glaubt
Bei Animal Collective bedient Lennox alles, was scheppert, also Percussion und Schlagwerk. Als Solist bedient er zusätzlich alles, was Saiten, Tasten und Regler hat. Dass sein gefeiertes, mittlerweile schon legendäres Album „Person Pitch“ von 2007 hauptsächlich auf Samples beruht, aus denen mittels Verfremdungen schwungvolle, Motown-artige Beats und Westcoast-Sounds mit Industrial-Einsprengseln montiert wurden, ist, wie der Musiker dem Portal vice.com in einem Gespräch verraten hat, dem portugiesischen Grenzschutz zu verdanken: Beim Umzug von Baltimore, wo Lennox wie die anderen Mitglieder des Animal Collective aufgewachsen ist, nach Lissabon, wo er seit zwei Jahrzehnten lebt, blieb seine Gitarre beim Zoll hängen. Einen Boss SP-303-Sampler aber durfte er mitnehmen.

Panda und Hund – verträgt sich das? Aber sicher: Bei Lennox geht vieles vermeintlich Unvereinbare zusammen. ©Chris Shonting
Wie oben zwingend indiziert, ist Lennox nicht der höchstfrequente Songschreiber bei Animal Collective. Ein Merkmal allerdings, das das Kollektiv spätestens seit seinem Erfolgsalbum „Merriweather Post Pavilion“ (2009) für viele Jahre charakterisiert hat, trägt eindeutig seine Handschrift: ein vermeintlich geradezu obsessiver Hang zu Beach–Boys-artigen Vokalarrangements.
Lennox, ehemaliger Kammer-Chorknabe, bestreitet einen gewissen Einfluss der Wilson-Brüder und ihrer Helfer nicht, meint aber, er werde übertrieben dargestellt: Der Effekt, dass sich sein Gesang insbesondere auf den Alben „Tomboy“ (2011) und „Panda Bear Meets The Grim Reaper“ (2015) nach hochgepitchten Beach-Boys-Überstimmen anhört, stelle sich, sagt er, nachgerade automatisch ein, wenn man Stimmen übereinanderschichte und noch Hall darüber lege.
Als Panda Bear 2019 auf dem Album „Buoys“, das auf reizvolle Weise akustisches Gitarren-Geschunkel mit maritimen elektronischen Effekten verquirlt (als würde ein leichtgewichtiges Boot auf munteren Meereswellen tänzeln), auf stimmtechnische Mätzchen verzichtete und einfach natürlich sang, war er nicht wiederzuerkennen. Es war, als habe Panda Bear vordem, metaphorisch gesprochen, wie durch eine Maske gesungen.
Auf seinem neuen Longplayer „Sinister Grift“ ist bisweilen wieder etwas Hall auf der Stimme – aber das ist einfach dem Klangvolumen der Produktion (Lennox gemeinsam mit seinem AC-Kollegen Josh Dibb aka Deakin) geschuldet, die so ausgefeilt und sauber ist wie bei keinem Panda Bear-Album zuvor.
Dabei ist der Personalaufwand nominell relativ gering: Lennox schupft alles Basische an Gitarren, Bass, Keyboards & Synthis, Drums & Percussion; ihm stets zur Seite steht sein Band-Kollege Brian Weitz (aka Geologist), in den Credits als zuständig für „Sounds“ – wohl besondere Klangspitzen und -effekte – ausgewiesen. Für spezielle Einlagen – ein lärmiges Gitarrensolo hier, ein spezieller Synthi-Part da, eine weitere Stimme dort – kommen Gast-Musiker zum Einsatz, die portugiesische Sängerin Maria Reis etwa, und neben Dibb auch David Portner, womit alle Mitglieder des Animal Collective zum Entstehen des Albums beigetragen haben.
Verstörung
Es ist bisher bei Panda Bear den Inhalten nie viel Bedeutung eingeräumt worden. Lennox‘ langjährige Praxis der Stimmverfremdung spielt gewiss eine nicht unwesentliche Rolle für den weithin herrschenden Eindruck, Worte seien bei ihm weit eher klangmalerischen Zwecken als der Vermittlung von Aussagen überantwortet.
Das ist bei „Sinister Grift“ drastisch anders. Selbst bei beiläufigem oder oberflächlichem ersten Hören – danach hört man nicht mehr beiläufig oder oberflächlich – erschließt sich, dass Noah Lennox hier etwas erzählen will. Nicht unmittelbar von sich, aber – in dem Sinn, dass auch nicht-autobiographische Komponenten in Geschichten Wesentliches über einen Autor aussagen können – über sich.

Relaxed: Noah Lennox lebt seit zwei Jahrzehnten in Lissabon. © Ian Witchell
Zwei Dinge fallen dabei besonders auf: Der Protagonist leidet offensichtlich am Bruch einer Beziehung, vermutlich sogar einer Ehe. Mehr aber noch leidet er am Leben – dem Druck, den es auf das Individuum ausübt, dem Ver- und Zerstörungspotential, das selbst minimalen Missstimmigkeiten innewohnt. Stimmen schwirren in seinem Inneren herum, krankheitserregende Gifte sickern schmerzhaft in seinen Organismus ein. Dazu kommt die lakonische Einsicht, dass das Leben von sich aus nichts Besonderes zu offerieren hat (oder zu offerieren bereit ist): „Left in cold / left to grow old“.
Ergreifender Gesang
Es gibt wenige Songs, in denen die Inhalte mit der musikalischen Form korrelieren: Das eben anzitierte „Left In The Cold“, das wie eine melancholischere, sorgfältiger ausformulierte Version der Musik von „Buoys“ anmutet, ist einer; mehr noch das phänomenale „Elegy For Noah Lou“, in dem die „Sounds“ des Brian Weitz um unaufgeregte Gitarren herumschwirren, während Lennox‘ Stimme gleichzeitig die tiefen Regionen ihres Registers wie die himmlischen Bereiche spiritueller Inbrunst zu erforschen scheint.
Über weite Strecken jedoch ist „Sinister Grift“ im Kontrast zu seinen Inhalten eine schwungvolle Pop-Platte mit tollen, spielerisch leicht in Szene gesetzten Melodien, sonnigem Karibik-Einschlag und Sounds, die viel zu entdecken offen lassen – wie überhaupt der Musik in all ihrer Eingängigkeit eine erstaunliche Abnützungsresilienz innewohnt.
Und dazu dieser Gesang! Noah Lennox kann nicht nur „wirklich singen“ – er kann es vielmehr so ergreifend und beschwörend wie nur ganz wenige andere (Money Mark vielleicht). Um das gebührend vorführen zu können, hat er sich so tief wie noch nie in den klassischen Pop versenkt. Und weiß gleichzeitig immer noch eine Andeutung zu hinterlassen, dass er aus einer Ecke kommt, in der schon die heftigeren Lüfterln der Avantgarde zu spüren sind.

Panda Bear: Sinister Grift (Domino)
Über weite Strecken ist „Sinister Grift“ im Kontrast zu seinen Inhalten eine schwungvolle Pop-Platte mit tollen, spielerisch leicht in Szene gesetzten Melodien und sonnigem Karibik-Einschlag.