Nabokov ja, Scorsese nein
Gewohnt sophisticated und versponnen in den Texten, musikalisch indes ausnehmend druckvoll gibt sich Conor Oberst auf dem zehnten Bright-Eyes-Album „Five Dice, All Threes“.
„Five Dice“ ist ein Würfelspiel und im Prinzip nichts anderes als unser guter alter Würfelpoker. In der hier zur Disposition stehenden Variante „Threes“ geht’s aber nicht darum, hohe Grandes, Poker, Full Houses, Straßen etc. zu würfeln, sondern möglichst niedrige Scores zu erzielen. Und Dreier zählen null.
Ein Sample aus dem Film „Suddenly“ („Der Attentäter“) mit Frank Sinatra erklärt das Spiel und eröffnet das zehnte Album von Bright Eyes.
Ein Auftakt nach Maß. Denn Sänger, Gitarrist, Pianist und Hauptsongschreiber Conor Oberst hat immer das Besondere gesucht. Das zeigte sich schon bei dem „experimentellen“ Elektronik-Gefrickel von „Digital Ash In A Digital Urn“, das als Komplementäralbum ihren erfolgreichsten, wie die meisten ihrer Platten in Folk, Rock und Country geerdeten Longplayer „I’m Wide Awake It’s Morning“ (2005) ergänzte/konterkarierte.
Dazu hat sich Oberst immer einer – durchaus sympathischen! – oberschlauen Attitüde befleißigt: Jedes Sample ein Zeichen. Jeder Ton seiner trauerumflorten, gerne aber auch ins Sarkastische kippenden Stimme aufgeladen mit Bedeutung jenseits des Sagbaren.
Die Inhalte? Keine Beziehungskiste ohne Anspielungen auf Politik, Kultur- und Zeitgeschichte. Dazu virtuose Verdrehungen von Begriffen, Paraphrasen auf Redewendungen und erlesene Weisheiten fürs Poesiebuch: „You’ll be free, child, once you have died / from the shackles of language and measurable time.“
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Auch „Five Dice, All Threes“ lässt wenig Wünsche offen: Aus der „starry night“, wie Vincent van Goghs „Sternenklare Nacht“ auf Englisch heißt, macht Oberst eine „scarry night“, also eine Nacht mit reichlich Narben; er referenziert die märchenhafte Filmkomödie „Field Of Dreams“ („Feld der Träume“), schweift zurück zum mittelalterlichen Ablasshandel, bringt auf etwas absurde Weise Elon Musk buchstäblich ins Spiel („I kill him in an alley over five dice“), thematisiert die Verbannung Mark Twains aus öffentlichen Schulen im Namen politischer Korrektheit.
„I can“, offenbart sich Oberst, „relate to Nabokov’s virtue“ – nicht aber auf „another shitty Scorsese movie.“
„Feeling like the color of the sky“ umschreibt er, was man gemeinhin „feeling blue“ nennt; glänzt mit kontradiktischen Wortspielen wie „another unicorn in a uniform“ – das stereotype Einzigartige vs. das einzigartig Stereotype – und quasi genialischen, wenn auch faktisch fragwürdigen Zeilen wie „every single book I read always had the same ending“.
Wirkliche Anker in den Inhalten haben solche Geistesblitze freilich nicht – allein deswegen, weil besagte Inhalte keine schlüssigen Narrative abgeben. Wie in solchen Fällen üblich, hilft vor allem der grobe Überblick über Bilder, Reizphrasen und Erzählfragmente, um zumindest eine Stimmungslage, Tendenzen und thematische Stränge ausmachen zu können.
Vergänglichkeit, US-Kritik, Überdruss
Auf „Five Dice, All Threes“ ist einer davon Vergänglichkelt – relativ krass erörtert in „Tiny Suicides“, ziemlich gelassen hingenommen in „Tin Soldier Boy“, mit galgenhumoriger Resignation aufbereitet in „The Time I Have Left“ mit Matt Berninger von The National als gut passender Gaststimme und Co-Autor.
Immer wieder auch offenbart sich auf „Five Dice…“ das kritische Verhältnis des 1980 in Omaha, Nebraska, geborenen Conor Oberst zu seinem Heimatland. Das kann sich in ein und dem selben Song („Bells And Whistles“) recht grausam äußern, wenn auf die vielen, von unterschiedlichen Präsidenten zu verantwortenden Drohnen-Opfer bei US-Militäraktionen in fremden Ländern Bezug genommen wird, oder ziemlich lustig, wenn es um das notorisch erfolglose Baseball-Team New York Mets geht: „You shouldn’t place bets on the New York Mets“.
Ganz klar ist die Botschaft in der pianobasierten, von Gitarren anheimelnd interpunktierten Ballade „Hate“, dem musikalisch eingängigsten Song des Albums: So wie John Lennon in „God“ keine Fragen über seine Distanz zu Idolen, Konfessionen und Ideologien offengelassen hat, zählt Oberst ausführlich auf, wer und was ihm gestohlen bleiben kann. Indessen vermittelt seine Tirade vielleicht nicht so sehr Hass als eher puren Überdruss: so geifert einer, dem alles zu viel ist.
Dieser Verdacht stellt sich jedenfalls ein, als sich Oberst’s Ressentiment gegen die eigene Profession, verkörpert in der eigenen Person im Spiegel, wendet: „I hate the protest singer, staring at me in the mirror / there’s nothing left worth fighting for, hasn’t that come clear“.
Recht aufgekratzt wirkt demgegenüber die Musik, die Oberst mit Mike Mogis und Nathaniel Walcott eingespielt hat und deutlich als Band-Effort angelegt ist. Stürmische Gitarren erzeugen Druck, Tempo und Dynamik; in den langsameren Momenten übernimmt ein weitläufiges, bisweilen fast jazziges Klavier das Kommando. Unterstützt durch Samples von Gesprächsfetzen und Hintergrundgeräuschen vermitteln solche Momente bisweilen das Gefühl, man sitze in einer Bar.
Als Sänger gibt Oberst, dem neben Berninger auch Chan Marshall (Cat Power) als vokale Hilfskraft zur Seite steht, oft mehr Druck, als seiner Stimme gut zu tun scheint. Diese latente Anmutung, der Welt einen oder mehrere Haxen ausreißen zu wollen, legt sich wie ein feuchter Schleier um sein irgendwie kurzatmig klingendes Organ und seine (obendrein durch einen S-Fehler beeinträchtigte) Aussprache – man möchte bei den Gesangs-Aufnahmen eher nicht in der Nähe des Mikros gestanden sein.
Auf der anderen Seite sprechen solche Defizite als Dokumente des Verfalls auch eine destruktive Ader in uns an. Hat nicht Jim Morrison superb wie nie sonst geklungen, als er sich heiser und kaputt durch „L.A. Woman“ krächzte?!?
Sänger und Songschreiber Conor Oberst hat immer das Besondere gesucht. Und befleißigt sich, durchaus sympathisch, einer oberschlauen Attitüde.