Nicht mehr so streng
Eine gewisse Leichtigkeit und Lust an Trivialität hat das famose Essener Trio International Music auf seinem dritten Album „Endless Rüttenscheid" gefunden. Und kommt damit am 12. Oktober auch nach Wien.
Irgendwie überrascht dieser Einstieg in seiner fast bescheiden anmutenden Beiläufigkeit: Kein orchestrales Getöse, kein wuchtiger Auftaktakkord, sondern ein graziöses kleines Riff führt in einen flotten, von zwei Vollbremsungen gebrochenen Song, in dem ein fließender, zwischen Blues-Rock und Rockabilly angelegter Beat von psychedelischen Gitarren interpunktiert wird.
Nach dem weltmeisterlichen Album „Ententraum“ (2021) hätte man von International Music unwillkürlich eine dramatischere Ouvertüre für ihr neues Album „Endless Rüttenscheid“ erwartet als „Kraut“ es liefert. Und latent zieht sich solches Understatement durch die ganze Platte. Fast ist man geneigt, das bereits an den Song-Titeln abzulesen: Da wird kein „Fürst von Metternich“ (ein deutscher Sekt) geköpft, keine „Höhle der Vernunft“ tut sich auf, keine „Insel der Verlassenheit“ ist zu erforschen. Stattdessen gibt´s „Kraut“, „Fehler“, „Kieselwege“ und einen „Unterschied“.
Deutschlands beste Rockband neben Isolation Berlin – von denen sie sich mit ihrer fein austarierten und viel weniger auf ein genialisches Individuum wie Tobias Bamborschke zentrierten Musik allerdings fast diametral unterscheidet – widmet ihr drittes Album ihrer Heimatstadt Essen, genauer dem prosperierenden Stadtteil Rüttenscheid.
Um Lebensräume geht es vordergründig viel auf dieser Platte. Aber sie stellen sich nicht als das dar, was die angloamerikanische Populärmusik als „home“ preist, nämlich als stabile Orte des Rückzuges von Mühsal und Unbill. Vielmehr scheinen sie, je provisorischer, flüchtiger, desto besser: „Hier ist ein guter Ort zu leben / hier ist keiner der lang bleibt / eine Zwischenstation die lange war und länger wird / von mir zu dir“, heißt es etwa in „Guter Ort“.
Lebensräume als Kulisse für Beziehungen
Die in „Endless Rüttenscheid“ beschriebenen Lebensräume sind Schauplatz, Kulisse, bisweilen, so hat man den Eindruck, auch Katalysator für menschliche Interaktion, hauptsächlich Beziehungen. Dass hier kein (oder kaum) Platz für soziale Themen – etwa Gentrifizierung – ist, versteht sich unter diesen Prämissen von selbst.
„Es kann wohl sein, dass sich der Himmel öffnet / und sie lassen mich rein“, beginnt der Titelsong „Endless Rüttenscheid“, der am Ende zwar nicht wirklich eine Erlösung anbieten kann, sehr wohl aber perspektivische Veränderungen durch die Umwertung von Dingen mit vermeintlich fixer Konnotation: „Dann hast du mir gesagt / ich solle mich befrein / Grenzen werden Übergänge sein / doch ich bin weggegangen / kannst du mir verzeihn / Grenzen werden Übergänge sein.“
Natürlich ist „Endless Rüttenscheid“ inhaltlich genauso wenig eindeutig zu entschlüsseln wie „Ententraum“ und die Debüt-LP „Die besten Jahre“ (2018). Aber Joel Roters (Schlagzeug) sowie Peter Rubel (Gitarre, Stimme) und Pedro Goncalves Crescenti (Bass, Stimme), die auch das etwas folkigere, substanziell aber International Music ebenbürtige Duo The Düsseldorf Düsterboys bilden, schlagen auch hier wieder Haken in Form griffiger Zeilen in ihre hyper- bzw. surrealen Szenarien. „Haust du auf die Trommel drauf, will ich Trommel sein“. „Das Gehen fällt mir leicht / nur der Abschied fällt mir schwer“. „Heute morgen oder nächstes Jahr / unterschreib ich dieses Formular“. „Fängst du an zu tanzen / fängst du an dich zu dreh’n / fängst du an 100 bunte Farben zu seh’n.“ „Ich hab keine Worte mehr / Melodien zieh’n vor mir her“. „Es ist die Frage, die sich von ganz alleine stellt / wie schafft´s die Katze, dass sie immer auf die Füße fällt.“
Liebesmüh
Schritt für Schritt bilden sich um solche Passagen Stränge und Zusammenhänge, die – nein, kein kohärentes Bild, aber eine Art Kaleidoskop aus verschiedenen Facetten eines Themas ergeben. Wenn jenes von „Endless Rüttenscheid“, wie oben angedeutet, Beziehungen sind, dann ist der besondere Aspekt, der hier zum Leuchten kommt, die Arbeit, die ihr Funktionieren erfordert. Liebesmüh. „All those labours of love / sure take a lot of heart“, wie das Tom Verlaine einmal treffend formuliert hat.
Musikalisch sind International Music seit jeher mit allem und noch mehr aufgefahren, was mit Gitarre-Bass-Schlagzeug-zwei Stimmen möglich ist: Pop, Rock, Post-Rock, Boogie, Shoegaze, Punk/Hardcore (mit leicht satirischem Einschlag), Folk und, soll´s trotz evidentem Klischeeverdacht sein, Krautrock. Und Psychedelia natürlich. Was grosso modo den Unterschied zwischen den einzelnen Platten ausmacht, ist die Dramaturgie.
„Endless Rüttenscheid“ ist von Olaf O.P.A.L. deutlich weniger streng produziert und fokussiert als seine Vorgänger. Man gestattet sich die eine oder andere Trivialität wie das lustvolle Suhlen in Wiederholungen („ja ja / ja ja / ja ja“) im klassischen Rockabilly-Song „International Heat“ und sogar blanken Populismus im „Sha la la“-Gassenhauer „Liebesformular“. Ja, auch das mächtig-schleppende „Fehler“ müsste mit seiner einschmeichelnden Melodie in der hier schon einmal zitierten besseren Welt ganz klar ein Hit sein.
Den Clash der Gegensätze zelebrieren IM in der Ballade „Lass es Ziehn“, in deren Finale eine Distortion-Gitarre brutal hineinschneidet. Indessen überzeugen die langsamen Songs mehr, wenn sie wie der Titelsong oder „Im Sommer bin ich dein König“ konsequent auf unterer Zimmertemperatur gehalten werden. Am Ende schließt sich eine Klammer, wenn „Unterschied“ leichthändig die divergierenden Kräfte des Albums aufnimmt und in einem Strudel absorbiert.
Live am 12. Oktober in Wien, Flucc Wanne (19 Uhr)
International Music spielen alles, was ihr Minimal-Format nur hergibt. Was ihre einzelnen Platten unterscheidet, ist die Dramaturgie.