Nix is fix, alles geht
Songs aus Österreich, Teil 2: Von Pippa über die Gesangskapelle Hermann und Der Kleine Tod bis zu Vereter.
Eine „Filigrane Gschicht“ (Omdrom) hat die wunderbare Gesangskapelle Hermann aus ihrem superben Album „Sehr sogar“ ausgekoppelt. Diesmal ihren vielstimmigen Gesang mit einem insistenten Piano-Riff koppelnd, fokussieren die fünf mit Röntgenblick eine allzu flexible Lebenseinstellung – das was man gerne „situationselastisch“ nennt oder einfach auch als unverbindlich bezeichnen könnte: „Nix is fix, åba ålles geht / des is des Mantra, des jeda glei vasteht“.
Philippa Galli kommt, wie die hier unlängst gewürdigte Ines Wurst, ursprünglich vom Schauspiel. Als Pippa verfolgt sie indes schon länger und recht konsequent eine Karriere als Sängerin. Mit „Alles Ok“, einer Singleauskopplung ihres vorjährigen dritten Studioalbums „Blick“, brachte sie es heuer bei den Amadeus Awards sogar zu einer Nominierung als beste Songwriterin.
Aus-/Aufbruch
Zwei Songs sind dieser Tage als Vorboten ihres für Februar 2025 angekündigten Albums „Träume auf Zement“ (Voller Sound) erschienen: „Nichts tun“ ist eine überraschend mainstreamrockig gehaltene, gerade darum charmante Ode an den Müßiggang; „Reise“ ein etwas anspruchsvollerer, zwischen Chanson und Elektronik angelegter Song mit sehr hübschem Text im Zeichen des Aus-/Aufbrechens: „Sag dem Schicksal doch, es soll sich besser raushalten“.
Seit längerem schon erfreuen die Laundromat Chicks unsere Gemüter. Und ihre neue Single „Cameron“ (Siluh Records) tut, frisch mit der Unbefangenheit der frühen Blondie und Modern Lovers heruntergeklopft, nichts, um den Wohlsinn zu beeinträchtigen.
Roh und energetisch vermengt das Wiener Quintett Follow The Zebra auf „Get Me In the Mood“ (Voller Sound) heftige Gitarren-Riffs mit Old-School-Synths wie aus alten Prog-Rock-Tagen.
Das Herbst-Modell
In jeder Jahreszeit (oder so ähnlich) scheint eine neue Single von Maria Burger alias OSKA obligatorisch. „It Happens Either Way“ (Paramatta) ist die Herbst-Ausgabe – eine (Klavier-)getragene, trotz der fast fast elegischen Anmutung lebensfrohe Ballade.
Die in Graz geborene, in Berlin und L.A. lebende Musikerin, Produzentin und Künstlerin Berit Gilma, die 2023 für ihre Arbeit als Art Director für den Filmkomponisten Danny Elfman in der Kategorie “Best Boxed or Special Limited Edition Package“ (sprich: Album-Artwork) für einen Grammy Award nominiert worden war, hat sich in musikalischer Mission mit dem von Bands wie Fetisch 69, Bunny Lake, Black Palms Orchestra, Der Scheitel oder Neigungsgruppe Sex, Gewalt und gute Laune bekannten Musiker, DJ und FM4-Moderator Christian Fuchs für Duette zweier Stimmen, die beide nicht nach Sonnenschein und Frohsinn klingen, zusammengetan. Der Kleine Tod heißt ihr gemeinsames Projekt, „Styx“ (SeaYou Records) das zweite hörbare Resultat nach einer gelungenen Adaption von Nancy Sinatras/Lee Hazlewoods „Sand“: Eine mächtige, unheilbeschwörende Ballade mit Wellen aus Drums und (g)rollenden Sythesizern.
Abweisende elektronische Signale, vermittelt mit sonorer Stimme, sendet auch das nächste Stück: „stahl trennt nebel“ (Eigen-Release) ist sein Titel – „und ich trenn mich von dir“ sein sinniger Kontext (Anmerkung: Für die nebenstehende Playlist wurde das ebenfalls magnifiziente „du durch die nacht“ ausgewählt). Hinter seiner Interpretin RIO OBSKUR verbirgt sich die Wiener Künstlerin Marion Ludwig, die auch unter den Monikern Out Of Character (OOC) und Nella Lenoir agiert und neben Pop-Songs Musik für Theater, Film und Hörspiele komponiert.
Mit ihrem Bruder Mario bildet Giovanna Fartacek das zurecht viel gelobte, auch schon mit einem Amadeus ausgezeichnete Salzburger Electro-Pop-Duo Mynth. Berglind ist nicht wirklich ein Solo-Effort, zumal der Bruder auch hier im kreativen und produktiven Prozess wesentlich mitmischt, sondern weit eher ein Alternativ-Projekt mit dem wesentlichen Unterschied, dass die Texte hier deutsch sind. Auf „Lostboy“ (Morinoko), ihrer ziemlich tollen neuen Single, geht Berglind mit aufbrausenden Gitarren im Refrain einen Schritt Richtung Rock.
Eine Institution im österreichischen HipHop sind Yasmo & die Klangkantine: „Bringt Tat aufs Parkett!“ fordert die Rapperin und Autorin Yasmin Hafedh in „Trust The Process“ als Gegenprogramm zu leeren Versprechen und Ankündigungen zu eigentlich fast gemütlicher musikalischer Ausstattung.
Bei Harry Dean Lewis treten Austria und Australia tatsächlich in eine enge Beziehung, die über Namensverwechslungen hinausgeht. Lewis ist nämlich als 19-Jähriger von down under nach Europa gekommen und, nach Stationen in Spanien, Berlin und einem kleinen Zwischenaufenthalt in Kufstein, während der Pandemie in Wien gestrandet. Hier änderte sich auch seine musikalische Wegrichtung ein wenig; seine Wurzeln in Rap und HipHop sind zwar noch erkennbar; Einflüsse aus Soul, R&B, bisweilen auch Indie-Pop gewähren ihm aber eine größere stilistische Reichweite. Auf seiner textlich ziemlich kryptischen Single „Caesar“ (Futuresfuture) dominiert zum Wohle der formalen Rahmung die soulige Komponente.
Heavy-Rock mit Goth-Einschlag lässt das Wien-Linzer Duo Glut mit dem „Circles“ (Eigen-Release) von sich hören: Eine Reflexion von Gewohnheiten und der Sehnsucht, aus den durch sie entstehenden Kreisläufen auszubrechen.
Thema Diskriminierung
Vereter – was für ein toller Name! – ist, neben Bosna, ein künstlerisches Alter Ego des Wiener Musikers Pete Prison IV, was auch nicht sehr realnominell klingt. Was alle diese Pseudonyme natürlich klar verraten, ist eine migrantische Herkunft, durch queere sexuelle Ausrichtung zusätzlich mit diskriminierendem Potential behaftet. Das sollte man wissen und mitdenken, wenn man Vereters Single „Gürtel Walzer“ (unrecords) hört: Denn die klingt aufs Erste sowohl in der musikalischen Anlage (Liedermacher) als auch im Vortragsstil (Strizzi-Erzählgesang) auf beinahe dreist wirkende Weise an Voodoo Jürgens an.
Die inhaltliche Ausrichtung ist allerdings eine deutlich andere, denn es geht hier um willkürliche, rassistisch motivierte Polizeischikanen. Und dann löst sich der Song auch musikalisch mit einer schleifenden, fast dämonisch klingenden Fidel aus jeglichen epigonalen Fahrwassern. Und macht enorm neugierig auf Vereters im nächsten Frühjahr anstehende LP „Ihr seit (sic!) alle“.