Oft berühmter als das Original

Zwischen bloßem Abkupfern und kreativem Künstler-Dialog: Coverversionen sind eine eigene musikalische Gattung. Eine Einführung.

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30. Juni 2024
Under Cover

Under Cover, Folge 2 (Siehe auch Einführung und Folge 1 über "Hey Joe"; Cartoon: Margit Krammer)

Manchmal werden einem prägende Erfahrungen aus der Vergangenheit erst Jahrzehnte später bewusst. Wobei nicht ganz ausgeschlossen ist, dass man dabei Späteres auf Früheres projiziert, um Erklärungen für etwas zu bekommen, das vielleicht nicht so recht zu erklären ist. Zum Beispiel meine Vorliebe für Coverversionen.

Es war irgendwann in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre. Ich war Bassist in der Passauer Punkband Heartcore. Mehr als Vorgruppen-Status, vor allem im Umfeld der Linzer Szene, war uns nicht beschieden, und so spielten wir eines Abends in Innsbruck als Warm-Up für die damals recht gefragte Combo EA80 aus Mönchengladbach. Mit meinem Bass stand ich als ruhender Pol links außen auf der Bühne, als ein schon etwas älterer Besucher zaghaft näher kam und mir offenbar etwas mitteilen wollte. Er war wohl eher zufällig hier herein geraten, vielleicht auf der Suche nach einem warmen Plätzchen und nicht nur einem Bier. Jedenfalls winkte er aufgeregt und fragte in schönstem Tirolerisch: „Sog, könnt’s es a ‚Baby come back‘ spüin?“ Mit freundlichem Lächeln ignorierte ich seinen mehrmals vorgebrachten Wunsch, und als ich unserem Leader (Gesang und Gitarre) nach dem Konzert davon erzählte, meinte der nur reichlich humorlos: „Wir spielen nur eigene Sachen.“

Große Spannweite des Phänomens

Nun weiß ich nicht, ob eine punkige Version des Siebzigerjahre-Hits der inzwischen weitgehend vergessenen US-Band Player (außerhalb der USA Paradebeispiel eines One-Hit-Wonders) den Vorstellungen des Besuchers entsprochen hätte. Aber dass für den Kopf der Band ein Coverstück sozusagen unter unserem Niveau gewesen wäre, macht sehr schön die Spannweite dieses Phänomens deutlich. Ist das „Nachspielen“ fremden Songmaterials Ausdruck eigener Hilf- und Einfallslosigkeit? Oder ist das „Covern“ im Gegenteil ein höchst kreativer Vorgang, der sich das Original quasi schöpferisch aneignet? Ist es Arbeit an einer Art Great Global Songbook? Oder der billige Versuch, durch Rückgriff auf Bekanntes die eigene Bekanntheit zu erhöhen?

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Fest steht allenfalls zweierlei: Wer gecovert wird, verdient nicht schlecht daran, denn natürlich bedeuten viele verschiedene Covers nicht nur Ehre und Anerkennung, sondern auch Tantiemen für die Urheberrechte an einem Song. Und es gibt nicht wenige Fälle, in denen die Coverversion berühmter wurde als das Original. Sinéad Oʼ Connors Version von „Nothing Compares 2 U“ (orig. Prince), „Black Magic Woman“ in der Fassung von Santana (orig. Fleetwood Mac), „Me and Bobby McGee” von Janis Joplin (orig. Kris Kristofferson) oder „Über sieben Brücken musst du gehen“ von Peter Maffay (orig. Karat) sind nur einige der bekanntesten Beispiele.

Heino singt Rammstein

Coverversionen gehören jedenfalls zum festen Repertoire in der musikalischen Welt. Was der „Standard“ im Jazz, ist das „Cover“ in der Rock- und Popmusik. Für „Yesterday“ von den Beatles und „Summertime“ von George Gershwin bewegt sich die Zahl der Übernahmen sogar im vierstelligen Bereich. Eine Künstlerin wie Cat Power hat aus dem Prinzip „Cover“ ganze Alben gemacht („The Covers Record“, 2000; „Covers“, 2022; „Cat Power Sings Dylan“, 2023), genauso wie ihre Kollegin Heather Nova („Other Shores“, 2022) oder der große Johnny Cash mit seinen „American Recordings“ (1994-2010). Und nicht zu vergessen: Heino sorgte 2013 für Furore mit dem Album „Mit freundlichen Grüßen“, auf dem er Liedgut von den Ärzten über Rammstein bis zu den Fantastischen Vier interpretierte.

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Songwriter-Größen wie Bob Dylan, Leonard Cohen oder dem noch immer vielfach unterschätzten Townes van Zandt sind zahlreiche „Tribute“-Alben gewidmet, und Metallica haben sogar selbst dafür gesorgt, dass ihr legendäres „schwarzes“ Album zum 30. Geburtstag von insgesamt 53 Künstlern opulent gecovert wurde („The Metallica Blacklist“ enthält allein elf verschiedene Versionen von „Nothing Else Matters“ und sieben von „Unforgiven“).

Neue Serie in loser Folge

Sampler mit „La Paloma“-Songs (Trikont)

Das rührige Independent-Label Trikont füllte zwischen 1994 und 2008 ganze sechs Alben mit zum Teil historischen und seltenen Aufnahmen von „La Paloma“ – und der legendäre Radio-DJ John Peel spielte ein halbes Jahr lang jeden Abend in seiner BBC-Sendung einen La-Paloma-Song aus diesen Compilations. Doch was früher detektivischen Spürsinn und Kennerschaft erforderte, ist in Zeiten des Streamings zu einer recht simplen Übung geworden: Eine Suchanfrage genügt, um – sofern vorhanden – eine reiche Palette an Coverversionen vorgesetzt zu bekommen. Das macht die Sache und Suche einerseits natürlich um einiges langweiliger, eröffnet andererseits aber ganz neue Möglichkeiten der Sichtung und des Vergleichs.

Und so soll an dieser Stelle auf extra-music in lockerer Folge spezifischen Songs und ihrem Cover-Schicksal nachgespürt werden. Welche Songs erfreuen sich bemerkenswerter Beliebtheit? Welche Versionen sind hörenswert oder besonders originell? Wo ist das Covern bloßes Abkupfern und wo gerät es zur Königsdisziplin des musikalischen Dialogs unter Künstlern? Alles nur geklaut? Oder produktive Aneignung zeitlosen Songmaterials? Hommage an verehrte Vorbilder? Oder Selbstverortung in bestimmten Traditionslinien? „Under Cover“ versucht Antworten zu geben auf diese und andere Fragen.

Under Cover

Under Cover, Folge 2 (Siehe auch Einführung und Folge 1 über "Hey Joe"; Cartoon: Margit Krammer)

Coverversionen gehören zum festen Repertoire in der musikalischen Welt: Was der „Standard“ im Jazz, ist das „Cover“ in der Rock- und Popmusik.