Pop fürs Literaturseminar

Kann man sich dem weltweiten Phänomen Taylor Swift überhaupt entziehen? - Versuch einer Annäherung und Distanzierung zugleich.

Von
25. April 2024

Taylor Swift: The Tortured Poets Department (Taylor Swift)

Ein Kollege meinte, ihm würde ein Banner wie „Sensationell! Ohne Taylor Swift!“ oder so was Ähnliches gefallen. Aber selbst damit naschte man noch an der allgemeinen Aufmerksamkeit mit, die diese Künstlerin zurzeit weltweit generiert wie niemand anderer sonst. Ganz kommt letztlich aber kein Medium um Taylor Swift herum. Manche lassen Pro- & Kontra-Meinungen veröffentlichen, wie etwa das „profil“, in dessen Redaktion sich für beide Pole namhafte Autorinnen finden: Während Eva Sager sich als Swift-Fan outet, ohne gleich ein „Swiftie“ zu sein, und kein Verständnis für geschmackspolizeiliche Ermittlungen zeigt („Seit wann muss ich zu einem Ö1-Greatest-Hits-Boomer-Gremium, um meinen Musikgeschmack zu verifizieren?“), ätzt Angelika Hager über die „Rose aus Pennsylvania“, ihre „lustig lackierten Zehennägel“ und ihr „nahezu rührendes Spießertum“.

Jedenfalls sind 1,4 Millionen verkaufte Alben und über 300 Millionen Streams am ersten Tag (!) der Veröffentlichung von „The Tortured Poets Department“ (zuerst in der 16-, dann in der 31-Songfassung) Zahlen, die eine generelle Ignoranz nicht gerade vereinfachen. Anders als die armen Tageszeitungs-Kollegen, die ihre Spontanurteile sogleich am ersten Erscheinungstag (19. April) in die Tasten hauen mussten (wobei einigen entging, dass etwas später an diesem Freitag nochmals 15 Songs in der „Anthology“-Fassung nachgereicht wurden), kann man nun, ein paar Tage danach, einige Signifikanten etwas genauer ins Auge nehmen. Weniger ins Ohr, denn die Musik ist hierbei absolut nicht das Wichtigste. (Wobei ein mehrmaliges Hören bei der Urteilsfindung nicht schaden kann – anders, als wenn man die 2-Stunden-Großpackung in einem einzigen Durchgang verdauen muss. Kein Wunder, dass fast alle Kritiker über die Fülle stöhnten und damit überfordert waren.)

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Am Bemerkenswertesten erscheint, was die schiere Menge an Worten, die TS in den 31 Songs versammelt, alles an Reaktionen auslöst. Denn längst stehen die Texte der manischen Schreiberin im Zentrum des globalen Interesses. Nicht nur, wen – also welche abgelegten lover & boyfriends – die anspielungsreichen und mitunter mysteriösen Beziehungslyrics betreffen, wird erforscht, sondern auch welche Ausdrücke dabei in Verwendung sind. Der ORF hat auf seiner Website Ergebnisse einer Daten-Analystin veröffentlicht, die präsentiert, welche Begriffe auf Google in besagtem Zeitraum (den ersten Veröffentlichungstagen des neuen Albums) besonders auffällige Häufungen aufweisen. Dazu gehört etwa „sanctimoniously“ (aus dem Song „But Daddy I Love Him“), was so viel wie „scheinheilig“ bedeutet. Der Ausdruck zeigt bei den Suchanfragen eine gewaltige grafische Nadelspitze nach oben.

An der Harvard-Uni gibt es ein eigenes Literaturseminar, das sich ausschließlich mit Swift-Lyrics beschäftigt. Kein Wunder, denn die „vielen, vielen Verse, die sie (…) mit ihrem oft eher an Sprechgesang erinnernden Duktus deklamiert, sind in der Regel prallvoll, bis zur letzten Silbe“, schreibt Joachim Hentschel in der „Süddeutschen Zeitung“ (in einem der besten und kenntnisreichsten medialen Schnellschüsse nach dem monströsen Song-Niederschlag – im doppelten Wortsinn).

Aber was tun, wenn einen all die vielen Zeilen & Bezüge – und seien sie noch so kunstvoll verrätselt (was sie, genauer betrachtet, zumeist gar nicht sind) – überhaupt nicht interessieren!? Dann hört man halt doch eher auf die Musik – und die ist, auch nach mehrmaligem Hören, leider enttäuschend. Sie ist nicht wirklich schlecht, denn Swift selbst, und erst recht ihre Hauptbegleiter, Aaron Dessner (von The National) und Jack Antonoff, sind gewiefte Musikanten – und doch wirkt das neue Album wie ein schaler Aufguss von allem, was dieses Trio bereits erschaffen hat, etwa auf den Folk-Alben „Folklore“ (2020) und „Evermore“ (ebenfalls 2020, auch so ein unerwarteter Nachschub damals), mit u.a. den eingängigen Songs „Cowboy like me“, „Long Short Story“ oder „Gold Rush“ (meinem absoluten Favoriten, der in Melodieführung und exakter Phrasierung alles enthält, was diese Sängerin kann & ausmacht).

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Zwar klingt das Allermeiste auf „The Tortured Poets Department“ nun irgendwie ähnlich – aber halt doch nur „irgendwie“, und darin liegt das (Haupt-)Problem, denn es sind Annäherungen (an Erwartungen), die selbst bei einem geneigten Hörer keine wirkliche Freude aufkommen lassen. Schon gar nicht in dieser Menge. Da wird das Ganze – um den (auch etwas rätselhaften) Titel zu paraphrasieren – mitunter zur Tortur. Aber das spielt keinerlei Rolle: Individuelles Gefallen oder Missfallen sind längst keine aussagekräftigen (Beurteilungs-)Kriterien bei einem solchen Ultra-Massenphänomen (mehr), das alleine aufmerksamkeitsökonomisch zählt (und das nicht nur bei Streaming-Raten). Und dazu haben wir ja nun auch etwas beigetragen.

Taylor Swift: The Tortured Poets Department (Taylor Swift)