Requiem aufs Patriarchat
Culk-Sängerin Sophie Löw knüpft als Sophie Blenda mit ihrem zweiten Solo-Album „Die Mitte der Vereinzelung“ nahtlos an den Erstling „Die neue Heiterkeit“ an.

Sophia Blenda: Die Summe der Vereinzelung (Siluh Rec.)
Nun, als Quell des Frohmuts war Sophie Löw schon in ihrer Funktion als Sängerin, Texterin und Frontfigur des im gesamten deutschen Sprachrum hoch geschätzten Wiener Shoegaze-Quartetts Culk kaum zu verkennen. Aber ihre Solo-Projekte als Sophia Blenda haben der Tristesse noch eine paar Nuancen hinzugefügt: So wie der (zynisch betitelte) Erstling „Die neue Heiterkeit“ mutet auch dessen kürzlich erschienener Nachfolger „Die Summe der Vereinzelung“ wie ein Requiem an.
Auf gewisse Weise kann man beide Platten sogar als genau das begreifen: Als Abgesang auf eine patriarchalische Gesellschaftsstruktur. Die Trauer freilich gilt nicht dieser, sondern ihren Opfern.
Es passt da durchaus dazu, dass sich beide Alben musikalisch stark ähneln: Das Klavier ist, sporadisch aufgepeppt durch ein wenig kammermusikalischen Zierat und zusätzliche Stimmen, die wichtigste Stütze für Blendas düsteren, verletzten und öfters wie erstickt oder wie am Rand des Erstickens klingenden Gesang.
Die Musik ist, von vereinzelten Tempo-Intermezzi abgesehen, stets langsam; wenn überhaupt Rhythmus-Instrumente eingesetzt werden, geschieht das meist so dezent, dass man es zunächst zu überhören geneigt ist.
Die zehn Songs von „Die Summe der Vereinzelung“ sind halb deutsch und halb englisch betextet und sprachlich in eigentümlich einnehmender Dramaturgie sequenziert: Am Anfang abwechselnd, bilden sie von der Mitte weg eine längere Strecke auf Englisch, die einen derartigen Flow entwickelt, dass sich fast Irritation einstellt, als Blenda am Ende (für zwei herausragende Stücke) wieder ins Deutsche geht.

Sophie Löw alias Sophia Blenda (© Siluh Rec.)
Eine Differenzierung, was auf Englisch und was auf Deutsch transportiert wird, ist nicht auszumachen, denn Sophia Blenda hat nur ein umfassendes Thema: die Verletzungen, die das Leben Frauen antut – auf „Die Summe der Vereinzelung“ unter Einbeziehung queerer und sogar historischer Perspektiven.
Im letzten Song, „Brief einer Unbekannten“, geht es um eine nur auf das (genialische) männliche Subjekt zentrierte Wahrnehmung, die von Präsenz, Handeln und Empfinden involvierter Frauen nichts weiß, viel besser gesagt: nichts wissen will. „Ich wurde nie gesehen, aber ich war immer hier“, beschreibt Blenda die Schattenhaftigkeit ihrer Existenz und und formuliert die bittere, zu Passivität verurteilende Konsequenz: „Wer nicht leben kann muss träumen / wer nicht sprechen kann muss glauben.“
Sad Girl Music
Ein Schlüsselsong ist gewiss auch „Sad Girl Summer“: Vom Social Media-Phänomen der Sad Girl Aesthetic abgeleitet, hat sich im Pop ein Subgenre mit dem Namen Sad Girl Music gebildet, das Künstlerinnen bezeichnet, die leiden: an Beziehungen, deren Zerbrechen, am Leben, an allem zusammen. In Sängerinnen wie Lana del Rey, Billie Eilish, Phoebe Bridgers, Soko, Ethel Cain und Nico sieht Blenda dieses Phänomen verkörpert, das gegenwärtig eine fragwürdige Konjunktur erlebt: Diese Frauen leiden – gewissermaßen unbehandelt, weil meist nicht für voll genommen – zum Mitklatschen und -singen vor zehntausenden Leuten.
Blenda wählt die hier recht effektive, weil tatsächlich krasse Methode des Werk-Zitats, um ein heftiges Missverhältnis zwischen individueller Misere und kollektiver Ergötzung zu exponieren: „Billie’s too intoxicated to be scared / Lana’s born to die / and sings women are beautiful when they cry / Phoebe’s hardly feeling anything at all / Ethel’s used and abused / and sings that she’s unpunishable / Soko’s adding scars to a heart that’s her own / Nico’s heart was empty / and sings that sometimes love does not show.“
Sexueller Missbrauch ist in verschiedenen Formen ebenfalls ein Thema – von seinen seelischen Folgen bis zu seiner gesellschaftlichen Verhandlung (siehe Lindemann etc.), die Opfern ein weiteres Mal Gewalt antut.
Im Zentrum – in der Mitte des Albums – steht aber eine schöne, entschlossene Absage an steinzeitliche Denkmuster, an deren Zombie-Wiedergeburten sich gegenwärtig Heere von reaktionären Schreihälsen und Rattenfängern heftig abarbeiten: „Eure lautesten Parolen taugen nicht für meine weite Strecke / sie schaffen es nicht weiter, über mehr als eine einzige Ecke (…) Ich bin, ich bin, bin ich nicht wie du mich willst.“
Live in Österreich: 9.5. Wien, Radiokulturhaus (Release Show); 17.10. Salzburg, Arge, 18.10. Graz, Orpheum extra

Sophia Blenda: Die Summe der Vereinzelung (Siluh Rec.)
An die Schreihälse und Rattenfänger: „Eure lautesten Parolen taugen nicht für meine weite Strecke“