Sterne, von Tränen verdunkelt

Altern, Sterben, Verlust: Das neue Album von The Cure, „Songs of a Lost World“, ist ein resignatives Album über die Vergänglichkeit.

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5. November 2024

The Cure: Songs of a Lost World (Polydor/Universal)

Kein Album von der britischen Band The Cure hat bisher im Vorfeld der Veröffentlichung so viel Aufsehen erregt wie „Songs of a Lost World“: sei es aufgrund einer geschickten Marketing-Strategie, sei es aufgrund der langen Wartezeit von 16 Jahren. Oder sei es auch aufgrund der Vorfreude auf das „Düsterste, das The Cure je geschaffen haben“, wie Frontman Robert Smith über das Album vorweg kundtat.

Robert Smiths Talent, Musik und Worte zu verwenden, die berühren, ist unverändert. (c) Universal

Die Erwartungen waren jedenfalls hoch. Und Erwartungen führen oft zu Enttäuschungen. Enttäuscht könnte man ob der vielen Lobgesänge im Vorfeld des Albums durchaus sein, denn „Songs of a Lost World“ ist kein Qualitätssprung, etwa zum oft verglichenen Cure-Album „Desintegration“ aus dem Jahr 1989. Aber es ist eine Platte, die einmal mehr menschliche Universalien mit Text und Sound zu einer Einheit verknüpft, wie man es von The Cure gewohnt ist. Musikalisch eher üppig denn minimalistisch, und inhaltlich schwergewichtig, zeugt das aktuelle Album einmal mehr von Robert Smiths Talent, Gefühlswelten in Musik zu gießen – und mit Worten zu versehen, die ein jeder versteht, die berühren, verstören und durch die sich viele Fans der Band verstanden fühlen.

Nichts währt ewig

Lieder über das Ende, über Träume und Hoffnungen, die im Nichts enden. Vögel, die vom Himmel fallen, Feuer, das als Asche endet, Sterne, von Tränen verdunkelt. Nichts bleibt beim Alten. Nichts währt ewig. Dabei hätte es so gut begonnen, wie Robert Smith im Opener „Alone“ von den Träumen eines Jungen singt, der in einer Zeit aufwächst, in der die Mondlandung Aufbruchsstimmung vermittelte und ein neues Zeitalter einläuten sollte, das Hoffnung gab. Gekommen ist es anders – und Smith fragt sich, was „aus dem Jungen geworden ist“. Seine verzweifelt wiederholte Frage „Where did it go?“ aus dem Eröffnungstrack beantwortet er schließlich in der Schlussnummer „Endsong“: „I’m outside in the dark, wondering how I got so old / It’s all gone, nothing left of all I loved“.

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„Alone“ und „Endsong“ sind thematisch und klanglich miteinander verbunden, bilden die Klammer dieses Albums. Beide Stücke haben ein bedächtiges Tempo, und sie eint darüber hinaus eine große, dunkle Wolke aus Synthesizern und Klavier, scharfen Gitarrenriffs und ein Schlagwerk, das langsam pocht wie der Herzschlag durch ein Stethoskop. Und beide haben ein episches Intro, das sich in „Endsong“ auf mehr als sechs Minuten ausdehnt, bis Smith zu Wort kommt, um sein schmerzhaftes Bewusstsein für die verlorene Zeit zu beklagen.

Verlust von Bruder & Gleichaltrigen

Die sechs anderen Songs des Albums fügen sich musikalisch wie inhaltlich in diese Klammer ein. Sie erzählen von gebrochenen Versprechen, von Abschied und Loslassen, von der Zerbrechlichkeit der Liebe, und von der Schwierigkeit, bewusst in der Gegenwart zu leben. Vergänglichkeit bestimmt das Album, ein Thema, dem Smith, mittlerweile 65 Jahre alt, nun aus einem anderen Blickwinkel begegnet. Denn mittlerweile macht es (ihm) im Unterschied zum Klassiker „One Hundred Years“ aus dem Jahre 1982 durchaus etwas aus, dass wir alle sterben. Der Verlust von Gleichaltrigen, aber vor allem der Tod seines Bruders („I Can Never Say Goodbye“) und seiner Eltern werden auf dem aktuellen Album schonungslos offen und ehrlich behandelt. Damit einhergehend das zunehmende Bewusstsein der Unausweichlichkeit des eigenen Untergangs; die Erkenntnis, dass ein immer kürzer werdender Teil des eigenen Lebens auf eine immer weiter entfernte Vergangenheit zurückblickt, lässt Smith resignieren. Kein Ausweg. Kein Lichtblick wie auf „Desintegration“. Abschiede ohne Wiederkehr.

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Konsequent bleiben The Cure auf diesem Album auch musikalisch: Anstelle der klaren Sounds älterer Cure-Songs gehen die Instrumente wie schon auf den Vorgängeralben ineinander über. Simon Gallup, neben Smith der einzige Musiker seit den Anfangsjahren der Band Ende der 1970er, steuert wie gewohnt kühle, harte Basslines bei, der Synthesizer von Roger O’Donnell sorgt im dunklen Klangteppich für mitunter funkelnde Momente im Enya-Stil, das Schlagzeugspiel von Jason Cooper ist donnernd kraftvoll und langsam, während Lead-Gitarrist Reeves Gabrels immer wieder lange Soli zum Besten gibt. Allerdings lässt dieses intensive Zusammenspielt Smiths Ausdruckskraft an der Gitarre beinahe verschwinden, seine schönen Melodien gehen im Riff-Wah-Wah und Distortion-Tsunami von Reeves unter. Auch die langen Intros und Ausklänge entfalten sich – anders als auf „Disintegration“ – nicht und stecken wie in einer Wiederholungsschleife fest.

Unverwechselbarer Gesang

Neben dem typischen Bass-Sound von Gallup und dem eindringlichen Gitarrenspiel von Smith ist von den „alten Cure“ der unverwechselbare Gesang eine bleibende Konstante. So singt Smith auch heute noch mit einer Stimme, die sich seit „10:15 Saturday Night“ aus dem Debütalbum aus dem Jahr 1979 nicht wesentlich verändert hat. In dem Song geht es um einen jungen Mann, der vergeblich auf einen Telefonanruf seiner verschwundenen Freundin wartet. Der Protagonist ist in einer ewigen Gegenwart gefangen, er hat nur einen tropfenden Wasserhahn und seine quälenden Gedanken als Gesellschaft. Die Macht quälender Gedanken findet sich auch auf dem aktuellen Album wieder, so kommt in „All I Ever Am“ die Angst vor der Konfrontation mit dem wahren Selbst zum Ausdruck, wenn man aufhört, zu viel nachzudenken. Denn der Kreislauf gedanklicher Unordnung kann als Form der Selbsterhaltung fungieren, als eine Barriere gegen die unbekannte Leere im Inneren, gegen die „dunkle und leere Bühne“.

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The Cure: Songs of a Lost World (Polydor/Universal)

Enttäuscht könnte man ob der vielen Lobgesänge im Vorfeld des Albums durchaus sein, denn „Songs of a Lost World“ ist kein Qualitätssprung, etwa zum oft verglichenen Cure-Album „Desintegration“ aus dem Jahr 1989.