Verlässlichkeit in rascher Abfolge
Ästhetisch hybrid und musikalisch einprägsam: Mit „Cutouts“ wirft The Smile, das Radiohead-Nebenprojekt von Thom Yorke und Jonny Greenwood, heuer bereits das zweite Meisterwerk auf den Markt.
In der Pop-Musik, das vergessen wir in heutigen Zeiten, wo dank Streaming das Cover auf Daumennagelgröße reduziert ist, zählt das Bild kaum weniger als der Klang. Denn das, was wir hören, verbindet sich mit dem Artwork, welches das Album ziert. Visuell ausgefallene Designs, evokative Bilder auf der Plattenhülle verkörpern einprägsame Musik, gleichsam als ästhetisches Hybrid. Und das gilt nirgends mehr als für jene Alben, mit denen uns Thom Yorke seit nunmehr drei Jahrzehnten beschenkt, denn sie alle zieren Kunstwerke, die der Radiohead-Sänger gemeinsam mit Stanley Donwood, einem alten Studienkollegen, angefertigt hat.
Kein Wunder insofern, dass mir im Mai 2022 das Album „A Light for Attracting Attention“ einer mir unbekannten Gruppe namens The Smile sofort ins Auge stach. Die Stimme war unverkennbar das heisere Falsetto von Yorke, die Musik eine bestechende Mischung aus Post-Punk, Post-Rock, Jazz, Prog Rock, Math Rock, Afrobeat und Electronica, die stark an Radiohead erinnerte, aber zugleich völlig eigenständig klang. Yorke und sein Radiohead-Kollege Jonny Greenwood hatten sich mit dem Jazzdrummer Tom Skinner gleichsam eine frische Rhythmusmaschine an Bord geholt.
Diese Neukonstellation schlug kreative Funken – müssen wir nunmehr seit acht Jahren auf den Nachfolger von „A Moon Shaped Pool“ warten, so werfen The Smile, ganz wie zu besten Radiohead-Zeiten, ein Meisterwerk nach dem anderen in schneller Abfolge auf den Markt: keine zwei Jahre nach dem Debüt erschien diesen Jänner das wunderbare „Wall of Eyes“, dessen Cover eine gelb-orange Farbkomposition zierte, die an die Landkarte einer Wüstenlandschaft erinnerte, und keine neun Monate später nun also „Cutouts“.
Beide heurige Alben entstanden während derselben Aufnahme-Sessions, was aber nicht heißt, dass sie gleich klingen. The Smile verstehen es, mit jedem Album einen anderen musikalischen Fokus zu setzen, was sich auch im Cover von „Cutouts“ ausdrückt, das in dunklen Farbtönen gehalten ist, die durch zwei sonnenartige Rundflächen aufgelockert werden. Songstrukturen treten auf Album Nummer 3 etwas zurück, wovon schon der atmosphärische Ambient-Opener „Foreign Spies“ zeugt. Im Gegensatz dazu steht ein Stück wie das hektische „Zero-Sum“, auf dem Skinner wie ein Irrer auf seiner Donnerkiste hämmert, während Yorke in bester paranoider Hysterie zu hyperaktiven Gitarren seine kryptischen Texte herausbellt. Die Bar-Atmosphäre der ruhigen Ballade „Tiptoe“ wiederum kontrastiert auf der Vortrefflichste mit „Colours Fly“, einer nervösen Improvisation des Trios.
Ganz nach Radiohead klingt dann der Closer „Bodies Laughing“, was insofern nicht erstaunt, da der Song schon zwanzig Jahre alt ist. Erst mit The Smile fand Yorke das richtige Bandvehikel, um ihn fertigzustellen. Ob das wohl ein Menetekel ist, dass es demnächst mit Radiohead weitergeht? Oder könnte es andeuten, dass seine musikalische Zukunft nun The Smile gehört? Wir dürfen gespannt sein, und werden so oder so, unverändert und verlässlich, mit allerbester Musik beglückt.