Volldröhnung nach Frischzellenkur

The Jesus And Mary Chain gastieren zum 40. Band-Jubiläum mit neuem Album beim Donaufestival in Krems.

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12. April 2024

The Jesus And Mary Chain: Glasgow Eye (Fuzz Box / Cooking Vinyl). Foto: Mel Butler

Sonnenbrillen, desinteressiertes Gehabe, null Kommunikation mit dem Publikum und dazu Dröhn-Sounds: Das alles ist so abgestanden wie Bier von vorgestern. Aber Veranstalter wie Publikum erwarten sich davon einen Höhepunkt des heurigen Donaufestivals. Sie wissen schon: lebende Legenden. Und außerdem sind The Jesus And Mary Chain eine dermaßen unsympathische Band, dass man sie einfach gern haben muss.

Sogar ein neues Album bringen die Brüder Jim (Stimme, Gitarre) und William Reid (Gitarre, Stimme), die den Kern von The Jesus And Mary Chain bilden, beide schon deutlich über 60 Lebensjahre hinter sich haben und wie andere Rock-Brüder (Davies, Gallaghers) nicht das beste Auskommen pflegen, am 19. April mit nach Krems. „Glasgow Eye“ ist der achte reguläre JAMC-Longplayer in 40 Karrierejahren.

Der Monolith: „Psychocandy“

Im Prinzip rührt die historische Bedeutung des Quartetts, das sich 1984 um die Reid-Brüder im schottischen East Kilbride formiert hatte und dem in der Frühphase auch der spätere Primal-Scream-Sänger Bobby Gillespie als Drummer angehörte, von einem einzigen Album: Ihrem Debüt „Psychocandy“ (1985), auf dem sie nach Art des genialisch-wahnsinnigen Produzenten Phil Spector einen diesfalls von aberwitzig übersteuerten Gitarren generierten Wall of Sound um anheimelnde Melodien herum auftürmten.

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Von seinem Erscheinen an hatte „Psychocandy“ einen monolithischen Status inne – umso mehr, als sich The Jesus And Mary Chain später nie wieder einer dermaßen extrem zugespitzten, spezifischen Musiksprache bedienten wie hier. Dennoch waren auch die nachfolgenden, immer noch dröhnigen, aber auf allerheftigste Distorsion-Effekte verzichtenden LPs wie „Darklands“ oder „Honey’s Dead“ insofern wichtige Statements, als sie klarstellten, dass JAMC anders als The Velvet Underground oder selbst The Stooges, in deren Nachfolge man sie verschiedentlich hätte sehen mögen, auf keinen Fall in einem Kunst-Kontext zu verorten waren.

Bruderzwist im Hause Reid

Kein John Cale oder Ron Asheton war hier zugange, um der Musik den Stempel von „Besonderheit“ aufzudrücken; es gab keine richtigen Gitarrensoli, der Gesang war meist mehr gemurmelt als dass er „Ausdruck“ vermittelt hätte, und die Texte hatten nichts von literarischen Referenzen oder ähnlich bedeutsamem Zeug: Von harten Drogen befeuert, gierten sie nach Sex, erstiegen sich in Selbstzerstörungs- oder gar Märtyrerphantasien („I wanna die just like Jesus Christ / I wanna die on a bed of spikes“) oder gefielen sich in desktruktiven Verhaltensweisen, die Thomas Pynchon seinen nicht so netten Figuren angedichtet haben könnte.
Und noch auf dem bisher letzten JAMC-Album „Damage And Joy“ (2017) spielt Jim Reid genüsslich auf die vielkolportierte brüderliche Rivalität an: „I hate my brother and he hates me / that’s the way it’s supposed to be.”

Höchste UK-Charts-Platzierung der Band-Geschichte

Mittlerweile sind nicht nur die Reids weitgehend entgiftet, sondern ist es auch, wie diskret durchgesickert ist, ihr wechselseitiges Verhältnis. Vielleicht auch, weil momentan alles gut läuft: Ihr neues Album „Glasgow Eyes“ ist mit Spitzenplatz 7 in den UK-Charts hitparadenstatistisch sogar ihr erfolgreichstes überhaupt. Dazu hört es sich, dank Frischzellenkur durch elektronische Infusionen, animiert an wie schon lange kein Produkt der Band mehr.

Nicht dass man Gefahr liefe, JAMC nicht wiederzuerkennen. Die Lust an der eigenen Verkommenheit, die die Reids stimmlich wie auch textlich zelebrieren, das Schwelgen in „Venal Joy“ (käuflicher Freude), billigem Sex, die Drogenvergangenheit mit Zusammenbrüchen und daraus resultierender langer Zwangspause von Ende der 1990er bis zur Reunion-Tour 2007 – das ist alles noch in voller Pracht da.

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Demgegenüber gibt es auf „Glasgow Eye“ aber auch ein paar helle, fast freundliche Momente. Der Riff-Rocker „The Eagles And The Beatles“ ist eine Hommage – wenn auch weniger an die namensgebenden Acts als viel mehr an die Rolling Stones. Auch das abschließende, musikalisch in einen schnelleren Teil und einen langsamen raumgreifenden Ausklang gesplittete „Hey, Lou Reid“ ist eine – gleichwohl nicht ganz ironiefreie – Verbeugung: Einerseits huldigt der Titel natürlich dem großen New Yorker Songschreiber Lou Reed, andererseits stellen sich die Reids mit der saloppen Namens-Paraphrase ungeniert auf die gleiche Stufe. Das könnte man kühn finden. Passt andererseits zu The Jesus And Mary Chain wie die hier recht passend als Sprichwort strapazierte Faust aufs Auge.

Live in Österreich am 19.12. beim Donaufestival in Krems, Stadtsaal, 22.30 Uhr.

The Jesus And Mary Chain: Glasgow Eye (Fuzz Box / Cooking Vinyl). Foto: Mel Butler

... Und außerdem sind The Jesus And Mary Chain eine dermaßen unsympathische Band, dass man sie einfach gern haben muss.