Von der Rampe ins Nichts und zurück

Patrick Wolf in Wien: Im Interview und zwei Mal auf der Bühne im Haus der Musik.

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13. April 2024

Patrick Wolf im Haus der Musik. Fotos: Klaus Totzler

Es ließ sich an wie eine Traumkarriere: Mit vielseitigen instrumentalen Kompetenzen, weitläufigem, im Wesentlichen wohl im Bereich des Kunstpop verortetem, von keltischem Folk interpunktiertem Stilspektrum und queerem Auftreten, als queeres Auftreten noch gar nicht richtig als Diskursthema umlief, wurde der Brite Patrick Wolf Anfang der Nuller Jahre zu so etwas wie einem Szene-Liebling. LPs wie „Lycanthropy“, „Wind in the Wires“, oder „The Magic Position“ haben, zwischen 2003 und 2007 entstanden, heute bereits klassischen Status – auch in dem gewissen, solcher Zuordnung latent immanentem finalen Sinn.

Für Wolf sind sie nämlich wie Echos aus einer anderen Zeit. Denn in den frühen Zehner-Jahren erlitt der Künstler eine Art Total-Zusammenbruch auf allen erdenklichen Ebenen: Burn-out, Drogensucht, Alkoholismus, dazu finanzieller Ruin und der Tod seiner Mutter.

Bevor er für mehrere Jahre von der Bildfläche verschwand, legte Wolf noch den Deckel über sein Frühwerk: Auf dem Doppel-Album „Sundark and Riverlight“ von 2012 präsentierte er alternative, akustische Versionen von Songs aus den bis dahin erschienenen Longplayern.
Mit diesem Album beging ich meinen zehnten Jahrestag als Platten-Künstler“, erzählt Wolf am Nachmittag vor dem ersten von zwei ausverkauften Konzerten im Haus der Musik. „Und da gab es Diskussionen um eine Kompilation. Da wusste ich im Inneren bereits, dass ich für eine Weile verschwinden würde; ein Teil meines Hirns sagte, ich will das nicht mehr machen, der negativste Teil von mir sagte sogar, ich will nicht mehr leben. Und so habe ich ein Album gemacht, das auf gewisse Weise ein Begräbnis für meine Karriere war. Dieses Album hat mir einen vollen Stopp über meine Arbeit gewährt, für so lang wie ich es brauchte. Damit war nach zehn Jahren die Tür zu und ich ging durch einen lange Phase von Abtauchen und Erholung. Aber ich bin wirklich glücklich mit dem Album, ich denke, es war ein gutes Schlussstatement unter meine erste Phase.“

Patrick Wolf: „Ich habe nie aufgehört zu schreiben“

Prämisse: Wieder Fuß fassen

Nach Überwindung seiner Süchte und Depressionen sind alle Aktivitäten des Patrick Wolf darauf gerichtet, sich das Handwerk des Plattenmachens und -produzierens wieder anzueignen und im Business neu Fuß zu fassen.

EP als erster Schritt

Ein erster Schritt dazu war die 2023 veröffentlichte EP „The Night Safari“ – seine erste Platte mit neuem Material seit über zehn Jahren.

Ich hatte Jahre von Arbeit aufzunehmen und zu finalisieren“, erzählt der heute 40-jährige, großgewachsene, in weite Shorts, ein etwas angekleckertes Hemd („die Segnungen des Tourens“, wie er ironisch kommentiert) und sehr kräftiges Schuhwerk gehüllte, leuchtend rot behaarte Wolf, dessen erstaunlich faltenfreiem Gesicht man die überstandene Krise nicht (mehr) ansieht. „Ich habe über alle die Jahre nie aufgehört, zu schreiben. Aber lange war ich nicht imstande, etwas fertigzukriegen, da fehlte es mir an finanziellen Mitteln, am Selbstvertrauen, an Energie. Und da war nun ein Werkskörper, der eine erste oder zweite Hälfte eines Albums abgeben konnte, aber da war noch vieles andere, und ich dachte, wenn ich all das los werde, kann ich vielleicht ein kohäsives Album machen.“

Freilich fehlten dazu einige Voraussetzungen, allen voran ein Management. „Ich habe meine Wohnung in London verkauft, und steckte einen Teil des Ertrags in die Fertigstellung des Albums. Dann fand ich auch wieder ein Management. So hat mir diese EP ein bisschen die Tür zurück in die Musikindustrie aufgemacht, und das hätte ich womöglich mit einem Album nicht machen können, daher dachte ich: EP first. Es war, wie einen Halbmarathon vor dem richtigen zu laufen. Und da war so viel mit der EP verbunden: Das Verhältnis zum Touren, zu finanziellen Dingen, zu Publicity – alle diese Dinge waren zu klären, bevor man in die Vollen geht.“

Sieht sich nicht mehr als Popmusiker

„The Night Safari“ ist also ein Probelauf für größere Projekte. Geplant ist nämlich, wie Wolf erzählt, eine Serie von vier thematisch miteinander verbundenen LPs, deren erste im Juli dieses Jahres herauskommen soll. Worum es dabei genau geht, will er derzeit noch nicht verraten. Dass die ziemlich komplexen Arrangements der EP ein Fingerzeig für die künftige Richtung sind, ist indes ziemlich klar aus Wolfs aktueller Standortbestimmung abzuleiten:
Ich habe jetzt als Produzent und Arrangeur eine Reife erlangt, mit der ich – ohne mein früheres Werk denunzieren zu wollen – Hörern immer etwas Neues bieten und ihnen wirklich spannende Arrangements geben möchte. Daher fände ich es falsch, meine Arbeit noch als Popmusik zu klassifizieren. Was mich wirklich interessiert, ist, als jemand bekannt zu seine, der Grenzen bei Arrangements und Produktion überwindet.“

Wolf, der heute an der Südostspitze Englands lebt – „Ich kann nach Frankreich hinübersehen und bin auf den Cliffs im französischen Telefonnetz“ – bestreitet seine gegenwärtige Tour, die ihn nach den bereits absolvierten Stationen Amsterdam, Berlin, Warschau und Wien noch nach Prag, Südeuropa und heim ins UK bringen wird, gänzlich allein. Sogar die Bühnenkostüme – am zweiten der Wien-Auftritte ist das ein schwarz-roter Umhang, den er ab und zu dramatisch zurückwirft – hat er selbst entworfen und gefertigt.

Es ist eine Art Liebesbrief an die Person, die ich war, als ich mit 20, 21 zu touren begann. Wo ich ins Flugzeug gestiegen bin mit einem transportablen Klavier und einem Koffer. Ich war von einem unabhängigen Geist beseelt. In den letzten Jahren habe ich mir diese Form zurückerobert. Es weckt die Erinnerung, was ich an an meiner Arbeit liebe. Ein Faktor ist, Reisen nicht als Job, sondern als Abenteuer zu sehen. Und diese Tour ist sehr danach. Ein recht schwerer Koffer, eine Gitarre, so ziehe ich, meistens mit Nachtzügen, meine Schleife durch Europa.“

Wien hat insofern einen besonderen Status, als er hier 2006 „The Magic Position“ in Patrick Pulsingers Feedback Studios aufnahm. „The Magic Position“ ist nicht, wie die deutsche Wikipedia behauptet, Wolfs meistverkauftes Album – das ist laut seiner eigenen Auskunft „Lupercalia“ von 2011 -, aber sein vermutlich bestreputiertes. „Es war das erste Mal, dass ich Musik außerhalb Englands aufgenommen habe. Es war eine spezielle Zeit in meiner Karriere: bei einem Major zu sein, all das Geld zur Verfügung zu haben, ich war 24 oder 25. Ich machte hier auch Demos für prägnante spätere Songs wie ,The Days‘. Ich empfinde eine große Dankbarkeit für Wien.“

Wolf live: Mächtige Stimme

Diese Dankbarkeit wird auch an den zwei Abenden im Haus der Musik spürbar. Da gibt es keine Kluft, die zu überbrücken wäre. Die Kommunikation zwischen Publikum und dem Künstler, für den das Haus der Musik einen denkbar guten Rahmen abgibt, stimmt von Anfang an. Kaum einen Augenblick lang wird einem hier richtig bewusst, dass nur eine Person auf der Bühne steht. Das liegt zum einen an Wolfs mächtig-raumfüllender, theatralischer Stimme, die ein wenig der des ebenfalls dem großen Drama zugeneigten Divine- Comedy-Vorstands Neil Hannon ähnelt. Zum anderen aber, dass das Instrumentarium – Ukulele, Gitarre, Klavier und eine ziemlich eigenwillig geformte Geige – meist durch computergenerierte, oft und gerne auch dissonante und verzerrte Sounds unterfüttert wird. Was unsereins gern „Klanglandschaften“ nennt, bekommt hier fast eine räumlich Dimension.

Relativ selten folgen Patrick Wolfs Songs einfachen Strophe-Refrain-Schemen. Meistens sind sie verschachtelt, verzweigen sich suiteartig, halten inne, verdichten sich. Sie sind dabei erstaunlicherweise nicht überanstrengend oder gar unhörbar, erfordern nur ein wenig Konzentration – die Wolf mit seiner charismatischen Erscheinung aber sowieso auf gewissermaßen natürlichem Weg generiert.

An diesem Punkt habe ich so viele verschiedene Arten von Arbeit, die ich Leuten präsentieren könnte. Ich könnte sehr experimentelle klassische Elektronik machen, wo sie sich niedersetzen und zuhören müssen, oder 12 ,Hits‘, wo sie tanzen, Spaß haben und Party machen können“, hatte Wolf tags zuvor im Interview gesagt. Das Konzert am zweiten Abend bot ein wenig von beidem: Vertraute Songs wie „The Sun Is Often Out“, Outtakes alter Platten wie „Souvenirs“, die 2023 auf dem Album „The Circling Sky“ kompiliert wurden, das große „Teignmouth“ von „Wind On The Wires“ und zwischendurch auch collagenartige Elektronikflächen. Am Ende hielt es das Publikum nicht mehr auf den Sitzen – standig ovations und Blumen zum Abgang.

Patrick Wolf im Haus der Musik. Fotos: Klaus Totzler