Peace, PC, Pisse – alles eins
Eine spektakuläre Mischung aus maschinellen und handgemachten Arrangements, aus Ernst und Detail-Witz legt die israelische Sängerin Noga Erez mit ihrem Major-Debüt „The Vandalist" vor.
Schon der Start war spektakulär: Ihr Debütalbum „Off the Radar“ begeisterte Kritiker, fand auch erstaunlich viel Publikum und belegte Spitzenplätze in vielen Besten-Listen des Jahres 2017.
Sieben Jahre und eine LP („Kids“, 2021) später ist Noga Erez eine Ikone der modernen Popmusik und zählt Größen wie Billie Eilish, Dave Cameron oder Missy Elliott, mit der sie auf ihrer 2022 erscheinen Single „Nails“ zusammengearbeitet hat, zu ihren Bewunderern. Wie sehr ihr Status über die Jahre hinweg gestiegen ist, lässt sich auch an der Tatsache ablesen, dass ihr neues Album, „The Vandalist“, bei einem Major erscheinen ist (und nicht mehr wie seine Vorgänger beim Berliner Indie-Label City Slang).
Und dennoch befindet sich Noga Erez gegenwärtig in einer wenig beneidenswerten Situation: Als Israelin, als die sie am Beginn ihrer Karriere möglicherweise sogar einen kleinen Exoten-Bonus genossen haben mag, hat sie derzeit nicht nur privat Kummer, sondern auch gravierende Probleme als Person öffentlichen Interesses. Denn natürlich ist sie permanent angehalten, sich zur Situation in ihrem Land infolge des bestialischen Anschlags der islamistischen Terror-Organistaion Hamas zu äußern. Wie immer sie das tut – irgendjemand findet daran garantiert etwas auszusetzen. Und in solchen Fällen braut sich Kritik schnell zu einem Shitstorm zusammen.
Auf „The Vandalist“ ist der blutige Nahost-Konflikt kein Thema – jedenfalls nicht in offensichtlicher Weise. Stattdessen geht es viel um öffentliche Präsentation und damit zwangsläufig auch um die sogenannten sozialen Medien, aber natürlich auch um die Differenzen und kleinen Freunden im engeren zwischenmenschlichen Bereich, Sexualität nicht ausgenommen.
Erez, vor 34 Jahren in Tel Aviv geboren, ist Rapperin, Sängerin, Songschreiberin, Produzentin und beherrscht zahlreiche Instrumente. Ihre Musik verfolgt, grob vereinfacht, zwei Stränge: einer ist prononciert maschinell, baut auf scheppernde Rhythmuserzeuger, Synthies und elektronische Klangwände/-spitzen und erinnert bisweilen ein wenig an die einst wegweisende tamilischstämmige britische Künstlerin M.I.A.
Demgegenüber legt Erez aber auch (beinahe ostentativ) viel Wert auf handgemachte Musik. Ihrem Erstling „Off The Radar“ schickte sie unter dem Titel „Radar Reworked“ sogar eine Neudeutung in orchestraler Ausführung hinterher; außerdem lässt sie sich gerne von Bläser-Ensembles begleiten. Die verspielt-eigenwilligen Arrangements, die Erez solchen Formaten abgewinnt, erinnern wiederum an manche Arbeiten von Björk.
Gewissermaßen als Seitenstrang ihres organischen Zugangs kann Erez aber auch bemerkenswerte Pop-Songs schreiben und singen – und „The Vandalist“ legt mit Songs wie dem Liebeslied „Come Back Home“, dem Duett „Danny“ mit Robbie Williams (!) als Partner und dem ein wenig im Stil von Astrud Gilberto gehaltenen, von einer melancholischen akustischen Gitarre basierten „Mind Show“ umfangreich wie nie zuvor Zeugnis von dieser Fertigkeit ab.
Erez´ wahre Stärke liegt aber in der Nonchalance, mit der sie bizarr, bisweilen fast verrückt anmutende Stilmittel in ihre Stücke einbringt. „GODMOTHER“ zum Beispiel, dessen Titel (wie sechs andere der insgesamt 16 Tracks) aus nicht wirklich klar ersichtlichen Gründen in Versalien geschrieben und tatsächlich von der „Pate“- (original: „Godfather“-)Film-Trilogie inspiriert ist, versprüht mit Streichern, hohen, in Sentiment gebadeten Frauenstimmen und zart gezupfter Gitarre tatsächlich mediterrane Stimmung; „Smiling Upside Down“, als Rap angelegt, erhält durch eine melodiöse Wendung und eine kleine zusätzliche Dosis Sound-Volumen im Refrain einen attraktiven psychedelischen Spin.
Bei „SAD GENERATION, HAPPY PICTURES“, inhaltlich fraglos ein Schlüsselstück, das von der Diskrepanz zwischen äußerem Schein auf Bildern für Soziale Netzwerke und miserabler innerer Verfassung handelt, sind die Stimmen so arrangiert, dass man sie je nach Dafürhalten als roboterhaft oder infantil begreifen kann – auf jeden Fall wird klar, dass selbstbestimmt, mündig, intelligent, you name it, so nicht klingt.
Man muss dabei die Inhalte nicht immer auf die Waagschale legen. „PC People“ zum Beispiel ist, wenn man den Text rein semantisch analysiert, nichts weiter als eine der vielen Verweigerungen gegen Political Correctness (PC), mit der sich schon viele Reaktionäre als Tabubrecher in Pose geworfen haben. Erez aber inszeniert solche Verwerfung als witziges Wortspiel mit phonetisch ähnlich klingenden Begriffen: „I’m pissing on your PC {„pisi“}, cancel me or diss me / PC people piss me off / I’m pissing on your PC , this isn’t fucking Disney / pissing on your peace and love“.
„Dumb“, „dumm“ also, lebt von der Verwechselbarkeit des titelgebenden Adjektivs mit der Füllfloskel „dam dam“, die hier auf eine Weise, wie man das auf manchen Sparks-Platten hören kann, orchestral aufgeblasen wird.
Dazu hat „The Vandalist“ einen charmant-originellen Abschluss, indem Erez die Danksagungen an nahestehende Privatpersonen und andere Künstler nicht wie üblich über die LP-Hülle oder das CD-Booklet ausbreitet, sondern rappt. Wie in solchen Fällen üblich, ist auch Noga Erez‘ Liste elendslang, daher wäre es unfair, an dieser Stelle einzelne Namen herauszugreifen (Mazzy Star sind dabei!!). Festzuhalten bleibt, worin das Verdienst der Gewürdigten besteht: „Because of you and your work we just made the best fucking album in the world.“
Erez´ Stärke liegt in der Nonchalance, mit der sie bizarr, bisweilen fast verrückt anmutende Stilmittel in ihre Stücke einbringt.