Wegweiser der Alternative-Kultur
Im Gedenken an den verstorbenen Musiker und Toningenieur Steve Albini.
Es war 1988 im U4: Auf der niederen Bühne rackerte sich ein ausgemergelter Berserker an einer Gitarre ab, die nicht um die Schulter gehängt, sondern tief unten an einem Gürtel oder sowas Ähnlichem befestigt war und brüllte dazu Texte über (u.a.) Sex, Ethnizität und – damals ein sehr beliebter Topic – das Musik-Business ins Mikro.
Weil das, was da wohl als „kathartischer Lärm“ angelegt und stilistisch im Post-Punk-/Hardcore-Bereich zu verorten war, nicht so recht beim Publikum ankam, ätzte er einmal, „I’m sorry, we’re not the Ladykillers from Dinosaur jr.“. Die waren zuvor aufgetreten und hatten mehr Zuspruch eingefahren.
Der Mann auf der Bühne hieß Steve Albini. Und der Name seiner insgesamt dreiköpfigen Formation war auf ähnlich problematische Weise provokant wie er hier Frust abließ: der lautete, basierend auf einer japanischen Comic-Figur, Rapeman. Das kam begreiflicherweise nicht überall gut an, obwohl Albini sich auf die explizit antisexistische und antipatriarchalische Ausrichtung seiner Inhalte berief.
Jahrzehnte später, schon nahe der finalen Phase seines 61 Jahre langen Lebens, das vor zwei Tagen in Chicago zu Ende gegangen ist, äußerte Albini Bedauern über die „unbedachte“ und „nicht zu rechtfertigende“ Namenswahl, die an ihm hängengeblieben sei wie ein schlechtes Tattoo.
Big Black und Shellac
Steve Albini war in Pasadena, Cal., geboren, aufgewachsen in Montana und dann nach Illinois gezogen, wo ihn schnell die vitale Musikszene der Metropole Chicago aufsog.
1981 gründete Albini, der wegen des warnenden Beispiels seines alkoholischen Vaters nicht trank und keine Drogen nahm, die Formation Big Black als Trio mit zwei Gitarren, Bass – und Drum-Computer. Die Band erwies sich in ihrer Mischung aus (Post-)Punk und (strukturiertem) Noise als wegweisend für die Hardcore-Bewegung der 80er Jahre; da der Musik durch den Drum-Computer auch eine gewisse serielle Anmutung innewohnte, werden ihr verschiedentlich sogar Schrittmachermeriten für das Industrial-Rock-Genre eingeräumt.
1987 trennten sich die Wege der Akteure, Albini verfolgte sein einjähriges Intermezzo mit Rapeman. 1992 rief er ein viel konsistenteres, bis an sein Lebensende aktives Band-Projekt in Form des minimalistisch-hypnotischen, hochreputierten Hardcore-Trios Shellac ins Leben, von dem übrigens ins Kürze ein neues Album ins Haus steht. Steve Albinis reguläres Vermächtnis als Musiker (selbst wenn später noch aus den Tiefen irgendwelcher Archive unveröffentlichtes Material hervorgezerrt werden sollte).
Karriere als Toningenieur
Schon Mitte der 80er Jahre war Albini indes auf jenen Pfad seiner Karriere eingebogen, für den er noch bekannter und legendärer wurde als für seine eigene Musik: Er setzte andere Künstler in Szene. Schon eine seiner frühen Arbeiten generierte einen genuinen Rockklassiker: „Surfer Rosa“, das Debütalbum der Pixies, im März 1988 veröffentlicht.
Der Rest ist, wie man diesfalls wirklich sagen kann, Geschichte. Tonnen von Rock- und Pop-Geschichte – so viel wiegen die mehreren tausend Platten, für die er an den Reglern saß: Urge Overkill, The Jesus Lizard, The Breeders, Jon Spencer Blues Explosion, PJ Harvey, die reformierten Stooges, Bush, Low, Guided By Voices, Jimmy Page & Robert Plant, Godspeed You! Black Emporer, Cheap Trick, Neurosis, Gogol Bordello, Jarvis Cocker, The Wedding Present, Black Midi, eine Katze namens Lil BUB (bzw. ihre „Begleit“-Band), aber auch Will Oldham in seinen Inkarnationen als Palace Music und Bonnie Prince Billy. Und viele, viele andere. Und natürlich Nirvanas „In Utero“.
Albini war als Toningenieur, wie er sich selbst in strikter Ablehnung des Begriffs „Produzent“ zu bezeichnen pflegte, insofern besonders beliebt, als er Künstlern ihre Eigenarten ließ und ihnen nicht seine Handschrift aufzudrücken versuchte. Er glaubte an die künstlerische Integrität von Musikern, und er hasste die Musikindustrie, die sie ihnen des Profits willen auszutreiben versuchte. Und er gab dieser Aversion ganz offen und drastisch Ausdruck. Wenn er in jüngeren Jahren dabei oft einmal etwas über das Ziel geschossen hatte, so hatte sich der versierte Pokerspieler im reiferen Alter zu einer Art Elder Statesman der Alternative-Kultur entwickelt. Einer der nicht nur das Musikmachen von Grund auf gelernt hatte, sondern auch den Umgang mit Business-Haien. Er wird fehlen.
Er glaubte an die künstlerische Integrität von Musikern, und er hasste die Musikindustrie, die sie ihnen des Profits willen auszutreiben versuchte.